Migrationsgipfel im Kanzleramt - Die neuen Maßnahmen werden den Zuzug kaum senken

Die auf der Ministerpräsidentenkonferenz zur Migration verabredeten Maßnahmen ändern kaum etwas an der Attraktivität Deutschland für Asylzuwanderer. Die Bundesregierung und die SPD-regierten Länder setzen auf lauten Aktionismus statt Wirkung.

Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD), Boris Rhein (l, CDU), Ministerpräsident von Hessen, Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, nach dem Bund-Länder-Gipfel / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Der alte Bürokratenwitz wurde nun also auf höchster Ebene durch die gestrige Ministerpräsidentenkonferenz als politische Wirklichkeit bestätigt: Und wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründet man ’nen Arbeitskreis. Der heißt in der hohen Politik dann Kommission, und zwar im aktuellen Fall „zu Fragen der Steuerung der Migration und der besseren Integration in Abstimmung mit den Ländern“. Und darin sitzen werden laut Bundeskanzleramt die üblichen Kandidaten für solche Kommissionen, nämlich „gesellschaftliche Gruppen … zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Organisationen, die sich für die Belange von Asylbewerbern einsetzen“. Jedenfalls offenbar niemand, der sich für die Senkung der Zuzugszahlen besonders stark machen dürfte.

Dem Vernehmen nach hat sich vor allem der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann dafür stark gemacht. Die Grünen wissen erfahrungsgemäß am besten, wie man über solche Gremien eigene Sympathisanten platziert und das politische Vorfeld im eigenen Sinne beackert.

Im Vorfeld des Gipfels hatten noch die meisten Ministerpräsidenten und vor allem CDU-Politiker in offenen Aussagen und vor allem in Hintergrundgesprächen deutlich gemacht, dass es bei diesem Gipfel in erster Linie um die unbedingt notwendige schnelle Reduzierung der Zuzugszahlen von Armutsmigranten per Asylverfahren geht. Und dann kommt mitten in der Nacht eben doch wieder nur ein Bündel von Maßnahmen heraus, das sicherlich – da muss man kein Oppositionspolitiker, Migrationsexperte oder Prophet sein – nur eine allenfalls geringe Minderung bringen wird.

Bauplanungsrecht wird ausgehebelt

Bezeichnenderweise stehen in der Verlautbarung des Kanzleramts nun doch wieder die Beschlüsse zur Finanzierung der Migrationskosten an erster Stelle, die auf die Begrenzung überhaupt keine Wirkung haben und außerhalb der Politikblase niemanden, weder Migranten, noch heimische Steuerzahler, interessieren müssen. Der Bund wird also neben einer Pauschale von „den Ländern ab 2024 pro Asylerstantragstellerin bzw. Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale in Höhe von 7500 Euro zahlen“. Das ist für den Steuerzahler nur insofern von Bedeutung, als es einen Eindruck der gigantischen Kosten dieser Asylzuwanderung vermittelt, von denen die Pauschale natürlich nur einen Bruchteil abdeckt. Ein Ministerpräsident bezifferte sie in einem Hintergrundgespräch kürzlich auf 40 Milliarden Euro pro Jahr, was noch sehr zurückhaltend sein dürfte.

Ebenso wenig zur Minderung der Zahlen beitragen (eher im Gegenteil) wird eine andere beschlossene Maßnahme: Für den Bau neuer Flüchtlingsheime darf künftig vom Bauplanungsrecht abgewichen werden. Das ist durchaus erstaunlich, denn sehr oft entgegnen Regierungspolitiker auf Forderungen nach Begrenzungsmaßnahmen, dies sei „rechtlich nicht möglich“. Manchmal scheint das Recht eben doch nicht so unüberwindlich zu sein.

Die eigentlich wichtigen Maßnahmen, nämlich die zur Senkung der Attraktivität Deutschlands für versorgungssuchende Zuwanderer ohne echte Asylgründe und zur Vermeidung von Zuzügen, sind dagegen höchst halbherzig. Die beschlossene Beschleunigung der Asylverfahren ist sogar doppelt fragwürdig: erstens, weil sie eigentlich nur bedeutet, dass Asylverfahren noch weniger gründlich und damit farcenhafter sein werden, als sie angesichts der schieren Masse und angesichts der üblicherweise „verlorengegangenen“ Ausweispapiere der Antragsteller ohnehin schon sind.

Kürzere Verfahren senken die Zuzugszahlen nicht

Vor allem aber: Solange einem abschlägigen Asylbescheid keine Abschiebung folgt, sondern in aller Regel eine Duldung mitsamt sozialstaatlicher Versorgung und langfristig eben doch der Verbleib in Deutschland, könnte sich der deutsche Staat die ganze kafkaeske Asyl-Bürokratie ohnehin komplett sparen. Für Asylzuwanderer jedenfalls dürfte die Verkürzung ihrer Verfahren kein Anreiz zum Verbleib im Herkunftsland oder zur freiwilligen Rückkehr in dieses bedeuten.

Das vermutlich wirkungsvollste Mittel, das die Unionsländer immer lauter einfordern und für das sich mittlerweile sogar einige SPD-Politiker aussprechen, wird die Bundesregierung nur „prüfen“. Nämlich, „ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann“. Man kann also wohl davon ausgehen, dass mancher Prüfende auch dagegen „rechtliche Gründe“ anführen wird. Die Pflicht zur Verhinderung des durchaus möglichen Kollapses des eigenen Sozialstaats und zum Erhalt den inneren Friedens scheint in der Bundesregierung also nur unter Vorbehalt dieser Konventionen zu gelten.

Die Versorgungskürzung ist minimal

Halbherzig ist auch die Einigung zur Kürzung der Versorgungsleistungen. „Anreize für eine Sekundärmigration innerhalb Europas nach Deutschland werden gesenkt“, behauptet das Kanzleramt. Aber die konkrete Maßnahme scheint absichtlich so konstruiert, dass sie gerade keine oder nur eine ganz geringe Reduzierung der Attraktivität bewirkt: „Der bisherige automatische Anspruch auf Sozialhilfe und Bürgergeld wird statt bisher nach 18 Monaten künftig erst nach 36 Monaten möglich sein. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht lediglich ein Anspruch auf die üblichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.“ Das Signal bleibt also: Je länger man bleibt, desto besser die Versorgung.

Auch der seit 2015 als vollkommen wirklichkeitsfremd erwiesene Dauerbrenner deutscher Migrationspolitik findet sich in der Liste: „Ein solidarisches Verteilsystem im Sinne eines funktionierenden und fairen Verfahrens innerhalb der EU muss eingehalten werden.“ Es spricht für die Illusionsverliebtheit der deutschen Migrationspolitik, dass immer noch nicht klar zu sein scheint, dass gerade für ein solches Verteilsystem die Absenkung der Attraktivität der deutschen Versorgungsleistungen auf das Niveau anderer EU-Länder nötig wäre. Und ein strenges innereuropäisches Grenzregime, das verhindern würde, dass sich Migranten eben doch einfach ihr Lieblingsland aussuchen.

 

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Das Migrationskrisenbewusstsein der Bundesregierung ist trotz allem Aktionismus offenkundig immer noch mangelhaft. Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein sagte in seiner abschließenden Bewertung, die Ergebnisse seien ein „Schritt in die richtige Richtung“, dem „noch weitere Schritte folgen müssen“. Das war auch der Tenor der Reaktionen anderer Spitzenpolitiker der Union von Friedrich Merz bis Markus Söder.

Dabei klingt auch Rhein so, als stünde man nicht gerade unter extremem Handlungsdruck. Anfang des nächsten Jahres soll es einen neuen Gipfel geben, um „die Dinge weiter miteinander zu beraten“. Also nicht handeln – beraten! Man scheint also unter den Regierenden im Bund, aber auch in den Ländern, noch immer zu glauben, viel Zeit zu haben, um nur ja nicht allzu drastisch mit der bisherigen Politik brechen zu müssen. Das bedeutet nichts anderes, als lieber den Druck im Kessel der Migrationskrise noch weiter steigen zu lassen, statt endlich entschlossen handeln.

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