Heil und Lindner und das Rentenpaket II - Die Sozialstaatsdichter destabilisieren das Rentensystem

Das Rentenpaket II der Minister Heil und Lindner ist eine Verunstaltung der Idee der Aktienrente. Mit dem Begriff Generationenkapital wird vernebelt, dass es um zusätzliche Staatsschulden geht. Die haben noch kein System wirklich stabilisiert.

Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen, spricht neben Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, bei einem Pressestatement zum geplanten Rentenpaket II, 05.03.2024 / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Wie würden Finanzanalysten wohl ein solches Unternehmen beurteilen? Man stelle sich eine stark überschuldete und strukturell defizitäre Firma vor – nennen wir sie mal „Deutsche Rentenversicherung AG“. Und stellen wir uns nun vor, die Führung dieses Unternehmens, das nachvollziehbarerweise unter einem abnehmenden Vertrauen all seiner Stakeholder leidet, würde stolz ankündigen, sie werde sich nun langfristig finanziell „stabilisieren“. Und zwar, indem sie zusätzlich zu dem riesigen Berg an Schulden, den sie schon zu tragen hat, noch einen weiteren riesigen Kredit aufnehmen will, um mit diesem „Kapital“ nun Aktien zu kaufen. 

Man braucht nicht viel Fantasie oder Kenntnis der Finanzbranche, um sich vorzustellen, dass ein solches Unternehmen an den Märkten wohl kaum als besonders stabil und vertrauenswürdig gelten dürfte. In einem Rating für ein solches Unternehmen würde wohl eher der Buchstabe C statt A und eher Minus- als Plus-Zeichen stehen. Aber natürlich ist es ohnehin kaum vorstellbar, dass irgendein Unternehmen, das tatsächlich eine solche haarsträubende Risiko-Strategie verfolgte, diese auch noch öffentlich als Stabilisierung darstellte. Solche Finanzoperationen – Schulden aufnehmen, um zu spekulieren – machen Hasardeure und Zocker üblicherweise eher im Stillen, denn wenn es schiefgeht, ist womöglich das ganze Unternehmen und das Geld der Gläubiger im Eimer. 

Der schon seit längerem bekannte Plan zur Stabilisierung der Rentenversicherung, den Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) heute im Detail als Rentenpaket II öffentlich präsentierten, erinnert an den alten Ökonomie-Studenten-Kalauer: „Ich lebe von den Zinsen meiner Schulden.“ Was die beiden mit dem Sozialstaat praktizieren, kommt dem ziemlich nahe: Schulden machen, diese am Kapitalmarkt anlegen – und hoffen, dass man so dauerhaft deutlich mehr Rendite erwirtschaftet als die Zinsen (von Tilgung ist natürlich erst gar keine Rede), die man seinen Gläubigern bezahlen muss. Die Überschüsse sollen dann ab 2030 in die Rentenkassen fließen. 

 

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So hätte also die Rentenversicherung neben den Beiträgen der Arbeitnehmer und den Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt (also von den Steuerzahlern) eine dritte Finanzierungsquelle. Wie praktisch, dass die deutsche Rentenversicherung, die sich tatsächlich so ähnlich wie oben vereinfacht beschrieben stabilisieren will, kein Unternehmen ist, sondern eine Institution des deutschen Sozialstaates. Und für dessen Oberverantwortliche, also Bundesminister Heil und Lindner, ist es vor allem praktisch, dass die breite Öffentlichkeit es mit finanzökonomischen Begrifflichkeiten nicht so genau nimmt. 

„Stabile Rente mit Beitragsbremse“ – so betitelt die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ihren betreffenden Artikel. Klingt wirklich wunderbar. So einfach geht es also, das Versprechen der „Haltelinie“ umzusetzen und eine weitere Kürzung des Rentenniveaus unterhalb von 48 Prozent ebenso zu vermeiden wie höhere Beiträge (von derzeit 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent bis 2045 sollen sie noch steigen, dann nicht mehr) und späteren Renteneintritt! 

Die Sozialstaatsdichter und ihr „Generationenkapital“

Wenn da nur nicht das böse Wort wäre. Aber das liest man ja erst im siebten Absatz, nämlich: „Schulden“. Damit sich das böse Wort gar nicht erst in den Hirnen der Rentner, Steuerzahler und Meinungsmacher einnistet, haben die vermeintlichen Stabilisateure des Sozialstaates ihre höchst instabile Stabilisierungsaktion mit wohlklingenden Worten verziert. „Framing“ nennt man das. Und im konkreten Fall bedeutet es, das Wort „Schulden“ möglichst gar nicht vorkommen zu lassen und dafür viel von „Kapital“ zu reden, wobei man die (entscheidende) Vorsilbe „Fremd-“ einfach weglässt und stattdessen ein schickes neues Wort dazudichtet: „Generationenkapital“.  

Dieser Begriff „Generationenkapital“ ist eine noch genialere Umdichtung als „Sondervermögen“. Beides klingt nach solidem, langfristig gesichertem Wohlstand. Und beides soll vor allem auf die Schuldenbremse nicht angerechnet werden. Potentielle Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht könnte das Schicksal eines gewissen Sondervermögens also auf eine Idee bringen. Denn selbstverständlich vernebeln beide Begriffe dasselbe: Schulden des Staates. Natürlich sind die auch Vermögen oder Kapital, aber eben Fremdkapital, also Vermögen der Gläubiger und nicht des Staates!  

Hubertus Heil als Anlagespezialist?

Die Generationen, deren Renten vermeintlich auf diese Weise stabiler werden sollen, werden dafür natürlich auf Umwegen als Steuerzahler eben doch mehr bezahlen müssen. Und womöglich, wenn die staatlichen Aktienanleger im Dienste der Rentenversicherung schlecht spekulieren, nicht einmal wenig. „Das ist langfristig gut angelegtes Geld“, behauptet der Arbeitsminister, obwohl er das eigentlich gar nicht beurteilen kann. Weil er erstens kein erfolgreicher Finanzinvestor ist. Und zweitens, weil das Schuldengeld ja bekanntlich noch gar nicht angelegt ist, also selbst Warren Buffett das nicht beurteilen könnte. Dass staatliche Aktieninvestoren bessere Anleger als private Anleger sind, kann Heil natürlich behaupten, aber man kann es nach historischen Erfahrungen mit dem Staat als Unternehmer auch bezweifeln. 

Ähnlich skeptisch kann man sein, wenn Heil aus „Asterix“ zitierend sagt: „Und wir haben auch Vorsorge getroffen, falls uns der Himmel auf den Kopf fällt.“ Es gebe einen Notfallmechanismus. Kein Bürger und keine Bürgerin werde etwas verlieren, assistierte Lindner. Das ist natürlich ein unhaltbares und völlig unsinniges Versprechen. Denn jede Notfall-Rettung des Staates bezahlt letztlich doch der Bürger (und künftige Rentenbezieher) in seiner Funktion als Steuerzahler. 

Dass ausgerechnet Lindners FDP nun so tut, als werde mit dieser Reform eine alte liberale Forderung erfüllt, macht nichts besser. Im Gegenteil. Durch diese Reform wird eine richtige Idee pervertiert. Die Altersversorgung weniger auf ein direktes Umlageverfahren und mehr auf Kapitalanlagen zu fundieren, bleibt ein sinnvolles Anliegen. Aber es ist nur sinnvoll und nachhaltig, wenn es nicht auf Schulden aufbaut. Den Menschen mehr Brutto vom Netto belassen, damit sie in eigener Verantwortung fürs Alter sparen können, darum ging es eigentlich beim Ruf nach der Aktienrente. Aber gerade nicht darum, in ihrem Namen Schulden aufzunehmen, um ihnen scheinbar Belastungen abzunehmen, die am Ende doch wieder bei ihnen landen – womöglich noch schwerer als sie ursprünglich waren. Es gibt Situationen und Aufgaben, für die ein Unternehmen, ein Staat oder sonst eine Institution Schulden machen muss. Aber keine Institution ist dadurch jemals stabiler geworden.  

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