Angela Merkel - Urlaub ohne Entspannung

Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschiedet sich auf einer Pressekonferenz in den Urlaub. Aber zur Ruhe wird sie kaum kommen. Zu dünn ist das politische Eis derzeit

Angela Merkel bei der Sommepressekonferenz / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Je aufgewühlter die politische Gemengelage, desto besonnener wirkt die Bundeskanzlerin. Das ist gewiss nicht die schlechteste Eigenschaft am Regierungsstil Angela Merkels – und sollte es sich dabei tatsächlich um ein Muster handeln, dann muss man sich als Teilnehmer an ihrer heutigen Sommerpressekonferenz durchaus Sorgen machen. Denn sie arbeitete die Fragen der anwesenden Journalisten in einer Unaufgeregtheit, mit einer teilweise derart frappierenden Häufung floskelhafter Formulierungen ab, dass das politische Eis sehr dünn sein muss: Offenbar würde eine falsche Bewegung schon ausreichen, um die Schicht der Kompromisse über den einander entgegenlaufenden Strömungen im Meer der Meinungen wieder aufzureißen und neue Untiefen zu offenbaren. Still ruht die See eben ganz und gar nicht.

Betonung der Richtlinienkompetenz

Ein großer Anteil der Fragen bezog sich aus naheliegenden Gründen auf den jüngsten Asylstreit zwischen CDU und CSU und darauf, wie groß die daraus erwachsenen Schäden denn nun seien: für die politische Kultur im allgemeinen und die Bundeskanzlerin im speziellen. Merkel verfolgte dabei die Linie: Die Auseinandersetzung sei notwendig gewesen, weil es eben um grundsätzliche Dinge gegangen sei. Es könne in einer Demokratie nicht das Ziel sein, „jede Art von Streit zu vermeiden“, so Merkel, jedoch sei die Tonalität zum Teil sehr „schroff“ gewesen. Nun habe man aber einen Kompromiss gefunden, dessen Inhalt abgearbeitet werden müsse. Die Kanzlerin hob in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich ihre Richtlinienkompetenz hervor, an der sich die Kabinettsmitglieder zu halten hätten, nicht zuletzt Seehofer. Damit war auch klar, dass die beiden Parteivorsitzenden einander eben nicht auf Augenhöhe begegnen. Bei Gerhard Schröder war das seinerzeit die Ansage von wegen „Koch und Kellner“; bei Merkel klingt es natürlich viel diplomatischer, läuft aber auf dasselbe hinaus. Wenn die CSU das ändern will, sollte sie sich demnächst am besten um eine Kanzlerkandidatur aus den eigenen Reihen bemühen.

Heikle Punkte der Migrationspolitik

Natürlich spielte das Thema Migration auch über den Schwesternstreit hinaus auch eine Rolle. Deutlich war da Merkels Plädoyer für einen gemeinsamen Schutz der europäischen Außengrenzen, allerdings versehen mit deutlich hörbaren Fragezeichen in Bezug auf dessen rasche Umsetzung. Wer glaubt, dass hier schnelle Lösungen zu erwarten seien, war in der Pressekonferenz ziemlich fehl am Platz, zumal Merkel darauf verwies, dass ein entsprechendes Grenzregime nicht ohne Absprachen mit Transitländern wie Libyen getroffen werden sollte. An den aktuellen Geschehnissen in Italien, das keine Migranten aus der EU-Marinemission „Sophie“ aufnehmen will, zeige sich: „Das Thema der Solidarität wird uns immer wieder ereilen.“ In jeden Fall würde eine Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU-Länder einfacher sein, wenn die Außengrenzen besser geschützt werden. Ob die Visegrád-Staaten das auch so sehen, bleibt abzuwarten.

Ein besonders heikler Punkt war die Frage nach der Haltung Merkels zu den privaten Seenotrettern. Wie sehr ethische und rechtliche beziehungsweise politische Aspekte da miteinander in Konflikt geraten, das hat in der vergangenen Woche das Herumgeeiere der Zeit-Chefredaktion gezeigt, die sich mehr oder weniger elegant von der Kommentierung einer eigenen Kollegin distanziert hatte. Was denn nun Merkel von den privaten Seenotrettungsdiensten vor der libyschen Küste halte, wurde sie gefragt. Ihre erwartbare Antwort: Sie schätze deren Engagement sehr, wenn es sich denn im Rahmen der geltenden Gesetzt abspiele. Da sich nun bekanntlich der „Lifeline“-Kapitän Claus-Peter Reisch wegen des Vorwurfs, sein Schiff ohne ordnungsgemäße Registrierung in maltesische Gewässer gesteuert zu haben, vor Gericht verantworten muss, steht Merkels freundlich klingende Unterstützung allerdings sehr unter Vorbehalt.

Emotionslos zu Trump und Putin

Der dritte größere Fragenkomplex betraf das Verhältnis Merkels zu Donald Trump und ihre Einschätzung der amerikanischen Strafzölle. Auf diesem Feld war die Kanzlerin ganz besonders darum bemüht, sich nicht die geringste Emotion entlocken zu lassen – in durchaus wohltuendem Kontrast zum amerikanischen Präsidenten. Einzig unzweifelhafte Feststellungen wie die, dass „der gewohnte Ordnungsrahmen“ stark unter Druck stehe, waren von ihr zu hören sowie das Bekenntnis zu Zusammenarbeit und Multilateralismus. Die USA nannte sie – Trumps explizit EU-feindseligen Sprüchen zum Trotz – „einen wichtigen Partner“, wenngleich es „Meinungsverschiedenheiten“ gebe. Das ist in der Tat sanft untertrieben. Entsprechendes gilt für ihre Verlautbarung über das Treffen von Trump und Putin vor einigen Tagen: Wenn Staatsführer miteinander ein Gespräch suchten, finde sie das stets begrüßenswert. Ende der Durchsage.

Ähnliche Worte der Beschwichtigung zum Handelsstreit: Man stehe vor einer „ernsten Situation“, die EU sei jederzeit zum Ausgleich bereit und werde erst reagieren, „wenn Maßnahmen notwendig“ seien. Merkel erinnerte daran, dass auch die Finanzkrise nur auf multilateraler Basis habe gelöst werden können. Dieser Satz ging womöglich etwas unter, denn wenn eine sonst so extrem vorsichtig formulierende Kanzlerin den ökonomischen Beinahe-GAU von vor zehn Jahren ins Spiel bringt, sollte klar sein: Die Bundesregierung rechnet mit dem schlimmsten. Auch die wegen des Handelsstreits nach unten korrigierte Wachstumsprognose des IWF erwähnte sie ausdrücklich. Das alles klingt nicht nach entspannter Sommerfrische. Für Merkels abermalige Beteuerung, dass man sich „nicht einfach auf Amerika als Ordnungsmacht“ verlassen könne, gilt ähnliches.

Ausweichend zum NSU-Prozess

Mehrere Fragen zum NSU-Prozess beantwortete die Kanzlerin sehr ausweichend. Dabei blieb es auch, als ein Journalist ganz konkret wissen wollte, warum der hessische Verfassungsschutz eine NSU-Akte für 120 Jahre unter Verschluss genommen habe: In dieser Sache sei sie nicht zuständig, so Merkel, die gleichwohl eingestand, dass von der bisherigen Aufarbeitung des NSU-Komplexes „ein sehr dunkler Fleck“ zurückbleibe. Die Angehörigen der Mordopfer dürfte das kaum zur Ruhe kommen lassen.

So verabschiedete sich die Bundeskanzlerin mit ihrer Pressekonferenz in eine Sommerpause, die kaum zu echter Entspannung führen dürfte. Ob sie lieber mit Trump oder mit Putin in die Ferien fahren würde, wollte ein offenbar sehr humorbegabter Pressevertreter am Schluss von der Kanzlerin wissen. Die Frage stelle sich nicht, „Urlaub ist Urlaub“, so ihre Antwort. Wenn sie sich da mal nicht zu früh gefreut hat.
 

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