Zum Tod von Silvio Berlusconi - Avantgardist des Medienzeitalters

Silvio Berlusconi ist tot. Den einen gilt der mehrmals gewählte Ministerpräsident Italiens als Urvater aller Populisten. Den anderen als Betrüger und zwielichtiger Geschäftsmann. Vor allem aber war Berlusconi ein begnadeter Unterhaltungskünstler, ein Avantgardist der Postmoderne. 

Im Grunde immer ein Komödiant: Silvio Berlusconi bei einer Demonstration im Jahr 2019 / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Er war eine Gestalt, die mit dem Attribut „schillernd“ noch eher vornehm umschrieben ist. Seine Skandale sind legendär. Seine Scherze berüchtigt. Die Zahl der Prozesse, in denen er angeklagt war, kaum zu überschauen. Er war Bau- und Medienunternehmer. Präsident eines traditionsreichen Fußballvereins. Und nebenbei natürlich italienischer Ministerpräsident, insgesamt 3336 Tage. Das hat kein anderer geschafft. Er wurde gehasst. Vor allem von den Etablierten. Von den einfachen Leuten jedoch wurde er geliebt. Die Rede ist natürlich von Silvio Berlusconi. Heute Vormittag ist der Cavaliere im Alter von 86 Jahren verstorben. 

Betrachtet man Berlusconi durch die Brille des Boulevards (also seines ureigenen Metiers), denken viele zunächst an „Bunga, Bunga“ und all die vielen Zwielichtigkeiten ähnlichen Formats. Für viele Italiener hingegen war er jedoch zunächst der erfolgreiche Geschäftsmann, der es (mit Hilfe des Bankiers Carlo Rasini und des Schweizer Unternehmers Carlo Rezzonico) vom kleinen Immobilienmakler zum großen Bauunternehmer und schließlich zum Medienmogul schaffte. 

Fußballfans erinnern sich an Berlusconi vor allem als Besitzer und Präsident des AC Milan. Unter keinem andern hat der Mailänder Verein mehr Meister- (acht) und Champions League-Titel (fünf) gewonnen. 

Als Einzigem gelang es ihm, eine ganze Wahlperiode durchzuregieren

Und dann war Berlusconi natürlich auch Politiker. Gemessen an Amtsjahren war er sogar der erfolgreichste Premier Italiens seit dem Krieg. 2001 bis 2005 gelang es ihm, eine ganze Wahlperiode durchzuregieren. Das hatte davor und hat danach keine andere italienische Regierung geschafft. Insgesamt vier Regierungen leitete Berlusconi. Bei seiner ersten Wahl 1994 holte das Wahlbündnis „Polo delle Libertà“ um die von ihm gegründete Bewegung „Forza Italia“ 46 Prozent der Stimmen. 

Berlusconis Erfolge als Politiker basierten darauf, dass er im Grunde vollkommen unpolitisch war. Er versprach seinen Wählern einfach alles, was diese hören wollten. Ideologische Grundsätze waren dabei kaum zu erkennen. Legendär sein Wahlversprechen von 2010, seine Regierung werde in drei Jahren den Krebs besiegen. Berlusconi gab sich nicht einmal die Mühe, seriös zu wirken. Er verweigerte sich dem verlogenen Spiel der Etablierten, der Paten der italienischen Republik. Die einen verachteten ihn dafür. Die anderen haben ihn dafür verehrt. 

 

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Es gibt ein Foto, das zeigt den jungen Berlusconi in den 50er-Jahren als Sänger auf einem Kreuzfahrtschiff, grauer Anzug, den Hut keck in den Nacken geschoben. Wann man dieses Bild betrachtet, hat man im Grunde schon den ganzen Berlusconi verstanden. Denn der war im Grunde immer ein Unterhaltungskünstler, ein Mann der Show. Also stellte er den Mietern seiner Hochhaussiedlungen in Mailand den ersten regionalen Fernsehsender Italiens zur Verfügung – den Grundstein für sein späteres Medienimperium. Also kaufte er einen Fußballverein. Und als er in die Politik ging, war auch diese vor allem Bühne seiner Selbstdarstellung. 

Auf irritierende Art modern, ja postmodern

Wie jedem großem Künstler gelang es Berlusconi dabei immer, die Grenze zwischen Authentizität und Künstlichkeit zu verwischen. Das Künstliche wurde bei ihm authentisch und das Authentische künstliche verfremdet. Berlusconi sonderte politische Allgemeinplätze ab, die noch inhaltsleerer waren als ohnehin branchenüblich – aber er war dabei doppelt so lustig und unterhaltsam. 

Berühmt seine zahlreichen Faxen, egal, ob er dem spanischen Ministerpräsidenten 2002 grinsend symbolisch Hörner aufsetzte oder Nicolas Sarkozy 2008 von hinten an die Gurgel ging. Im Grunde war Silvo Berlusconi immer ein Komödiant, für den eine Bühne nicht genug war und der sich sein Publikum überall suchte – in der Unterhaltungsshow, im Fußballstadion, in der Politik. 

Dass er dabei keine Genregrenzen akzeptierte, machte Berlusconi auf eine irritierende Art modern, ja postmodern. Als man in akademischen Zirkeln noch verbissen über Simulation, Ironie und Referenzfreiheit diskutierte, hatte Silvio Berlusconi diese Konzepte schon lachend in der polit-medialen Wirklichkeit etabliert. Dass Wahrheit, Schein, Wirklichkeit, Recht und Unrecht allenfalls Ausdruck eines zeitweiligen Geschmacks oder einer Mode sind – Silvo Berlusconi hatte das früher begriffen als manch akademischer Stardenker. Das Irrlichtende, das ihm von außen betrachtet manchmal zukam, es hatte Methode. So wurde der Junge aus Mailand zu einem Avantgardisten unseres Medienzeitalters. Addio grande artista! 

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