WikiLeaks - Niederlage für Julian Assange

Die Hoffnung seiner Unterstützer, Julian Assange könnte bald ein Leben in Freiheit führen, ist vorerst zerstoben. Ein britisches Berufungsgericht kippte die Entscheidung vom Januar, den Auslieferungsantrag der USA abzulehnen. Welches Schicksal Assange nun droht, ist unklar.

Noch in besserem Zustand: Julian Assange an einem Fenster der ecuadorianischen Botschaft in London / dpa
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Jonas Klimm studierte Interdisziplinäre Europastudien in Augsburg und absolvierte ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Es war Anfang des Jahres, genauer gesagt der 4. Januar. Ein Tag des stillen Triumphes – für Julian Assange, seine Familie und seine vielen Unterstützer weltweit. An diesem 4. Januar lehnte ein Londoner Gericht die von den USA geforderte Auslieferung Assanges ab. Als Begründung führte die leitende Richterin Vanessa Baraitser damals schwerwiegende psychische Erkrankungen des 50-Jährigen an. Assange leide unter Autismus und einer klinischen Depression. Zudem bestehe die Gefahr, dass der Australier sich unter den zu erwartenden harten Isolationshaftbedingungen in den USA das Leben nehmen könnte, so Baraitser. Bei einer Verurteilung in den USA drohten ihm bis zu 175 Jahre Haft.

Die NGO „Reporter ohne Grenzen“, seit Jahren an der Spitze der Assange-Unterstützerfront, sah Gerechtigkeit walten. Von der Menschenrechtlerin Rebecca Vincent hörte man: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Berufung der USA Erfolg haben wird.“ Und fügte hinzu: „Ich sehe nicht, welche neuen Argumente die Anwälte vor Gericht einbringen könnten.“ Zudem hofften viele, dass unter einem Präsidenten Biden die Anklage fallen gelassen werden könnte. Diese Hoffnung wurde rasch zerstoben, aus Washington kam die Order, das Urteil des britischen Gerichts anzufechten. Angezweifelt wurden die gesundheitlichen Probleme und das laut britischen Gutachten bestehende Suizidrisiko. Von US-Seite hieß es hierzu: „Herr Assange hatte jeden Grund, bei seinen Symptomen zu übertreiben.“

Keine „Spezialmethoden“ für Assange

Die amerikanische Seite versuchte zudem, mit Versprechungen eine Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung zu erreichen. Es wurde zugesichert, dass Assange in amerikanischer Haft keinen „Spezialmethoden“ unterzogen würde und es eventuell auch eine Verlegung des Australiers in ein Gefängnis in seinem Heimatland geben könnte. Diese Zusicherung war wohl ausreichend für eine Revision des Januar-Urteils am heutigen Tag. Die Londoner Richter vom High Court begründeten die Aufhebung des Auslieferungsverbots in die USA damit, dass die Zusicherungen von amerikanischer Seite ausreichend seien. Damit bestünden keine Sorgen mehr um Assanges Gesundheit bei einer Inhaftierung in Amerika.

Assange selbst konnte an den Gerichtsverhandlungen nur zum Teil und ausschließlich per Videoschalte teilnehmen, er sitzt im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Laut Assanges Familie sei sein Gesundheitszustand „besorgniserregend“. Seine Verlobte Stella Morris teilte nach dem Urteil mit: „Julian verkörpert die Fundamente dessen, was es bedeutet, in einer freien Gesellschaft zu leben, und was es bedeutet, Pressefreiheit zu haben.“ Sie kündigte zudem an, in Berufung zu gehen. Kritik am Urteil kam auch vom Deutschen Journalistenverband. Dieser sprach von einer „Schande für die Pressefreiheit“.

Verdacht der Vergewaltigung

Assanges Leidensgeschichte zieht sich nun seit über zehn Jahren hin. Im Oktober 2010 veröffentlichte der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks geheime US-Militärdokumente und Videos von den internationalen Militäreinsätzen in Afghanistan und dem Irak. Zugespielt wurden diese von dem IT-Spezialisten Bradley Manning, der durch seine Tätigkeit bei den US-Streitkräften an die geheimen Daten herangekommen ist und diese als Whistleblower an Assange weiterleitete. Manning, der später eine Transistion zur Frau durchlief und fortan Chelsea heißt, wurde 2013 unter anderem wegen Spionage zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der scheidende US-Präsident Barack Obama begnadigte Manning kurz vor Ende seiner Amtszeit.

Davon kann Assange nur träumen. Im Jahr der Veröffentlichungen kam ein weiterer Aspekt in Assanges Leben hinzu, der seinen weiteren Weg maßgeblich prägen sollte. Gegen den WikiLeaks-Gründer wurde in Schweden Anklage wegen des Verdachts der Vergewaltigung erhoben. Assange hielt sich in Großbritannien auf und stellte sich den dortigen Polizeibehörden. Gegen Kaution kam er jedoch vorerst wieder auf freien Fuß. 2012 wurde dem schwedischen Auslieferungsantrag stattgegeben. Um einer möglichen Auslieferung nach Schweden zu entgehen, von wo aus ihm wiederum eine Auslieferung in die USA und eine Anklage wegen WikiLeaks drohte (eine solche Anklage wurde bis heute nicht erhoben), begab er sich im Juni 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte dort Asyl.

Zukunft ungewiss

Für die folgenden sieben Jahre lebte Assange in Unsicherheit über seine Zukunft in einem 20 Quadratmeter großen Zimmer in einem Backsteinhaus in London: dem ecuadorianischen Botschaftsgebäude. 2019 dann der große Knall: Ecuadors Präsident Lenín Moreno entzog Assange seinen Status als Asylant. Grund war wohl der Wunsch Morenos, bessere Beziehungen zu den USA aufzubauen.

Infolgedessen nahm die Londoner Polizei Assange fest. Seitdem sitzt der wohl berühmteste „Delinquent“ der Welt im Gefängnis Belmarsh. Der Vergewaltigungsvorwurf wurde Ende 2019 von der schwedischen Justiz fallengelassen, die Beweise hätten für eine Verurteilung nicht ausgereicht. Seitdem harrt der Australier in Isolationshaft einer finalen Entscheidung. Im Sommer dieses Jahres bekam Assange Besuch von seiner Verlobten Stella Morris und seinen beiden kleinen Söhnen. Morris sagte im Anschluss, die Haft treibe Assange in „tiefe Depression und Verzweiflung“. Assanges Zustand dürfte sich mit dem heutigen Urteil weiter verschlechtern. Und seine Zukunft: die bleibt vorerst ungewiss.

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