Wahlen in Österreich - Alles anders in Wien

Nach der Ibiza-Affäre stehen in Österreich nun Neuwahlen an. Die österreichischen Medien haben Sebastian Kurz bereits jetzt zum Wahlsieger erkoren. Ein Verhalten, das in Deutschland nicht denkbar wäre. Doch was macht Kurz' Reiz aus?

Wird Sebastian Kurz am kommenden Sonntag erneut zum Bundeskanzler Österreichs gewählt? / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Morgen wählt Österreich. Das ist auch für Deutschland interessant. Zum einen natürlich, weil man als „Piefke“ immer ein wenig sentimental und mit geschwisterlicher Zuneigung auf den Nachbarn im Süden schaut. Aber auch, weil Österreich auf faszinierende Art ganz anders tickt als Deutschland.

Das wird schon an dem vergleichsweise reduzierten Erregungspotential deutlich, über das man im Land von Veltliner und Tafelspitz verfügt. Man muss sich nur einfach mal vorstellen, was in Deutschland los gewesen wäre, wenn die so genannte Ibiza-Affäre sich mit deutschen Protagonisten abgespielt hätte, wenn täglich neue Unappetitlichkeiten ans Licht gekommen wären, wenn der Bundeskanzler nach Absprache mit dem Bundespräsidenten Neuwahlen ankündigt und der Bundestag sich aufgelöst hätte und schließlich eine Übergangsregierung eingesetzt worden wäre.

In Deutschland undenkbar

Allein das wäre nach deutschem Verständnis die ultimative Staatskrise und vermutlich mehr als das. Wenn dann auch noch die von der Affäre betroffene Partei zusätzlich von einem Spesenskandal und Personal-Mauscheleien eingeholt wird, derweil die politische Konkurrenz in Sachen Parteispenden eine sehr unglückliche Figur macht, wäre in Berlin Land unter.

Nicht so in Wien. Natürlich gab es Demonstrationen und Sondersendungen und alles, was der moderne Medienbetrieb sonst noch so hergibt. Im Großen und Ganzen ist man im „Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome“ aber vergleichsweise entspannt.

Dazu passt dann auch, dass sich am Sonntag in Wien kaum etwas ändern wird. Nach aktuellen Umfragen liegt Sebastian Kurz’ ÖVP bei 34 Prozent, die SPÖ bei 22, die FPÖ bei 20, die Grünen bei 13 und die liberalen Neos bei 8 Prozent. Gegenüber der Nationalratswahl von 2017 bedeutet das, dass die ÖVP relativ konstant bliebe, die SPÖ deutlich an Stimme verlöre, ebenso die FPÖ. Gewinner wären die Grünen, die ziemlich sicher wieder in das österreichische Parlament zurückkehren werden. Bei diesen Umfrageergebnissen, ist es kein Wunder, dass die österreichischen Medien – auch das wäre in Deutschland unvorstellbar – Sebastian Kurz schon zum Wahlsieger ausrufen.

Die einzige solide und ernstzunehmende Wahlalternative

Dessen Bild hat sich in der Öffentlichkeit deutlich gewandelt. Beschimpften Linke ihn bis vor kurzen noch als „Steigbügelhalter der Nationalisten“ und „bürgerliche Version des Rechtspopulisten“ und diffamierten Rechte ihn als „Milchbubi“ und „Wunderkind-Weichei“, so ist es dem immer noch jungen Jungstar der österreichischen Politik mittlerweile gelungen, Vertrauen aufzubauen. Im gewissen Sinne ist er das Gegenbild zu Macron. Beide bevorzugen zwar dunkelblaue, schmal geschnittene Anzüge, doch hat der Herr des Élysée in seiner gut zweijährigen Amtszeit viele Anhänger enttäuscht. Ganz anders Kurz. Von Skepsis begleitet zum Ballhausplatz gezogen, hat er es geschafft, sich als einzige solide und ernstzunehmende Wahlalternative zu präsentieren.

Es ist recht einfach: Sebastian Kurz ist auf dem österreichischen Politparkett die einzige Figur mit Gestalt und Gewicht. In seiner eigenen Partei ist er konkurrenzlos. Die FPÖ ist mit sich selbst beschäftigt. SPÖ-Chefin Pamela Joy Rendi-Wagner liefert sich innerparteiliche Machtkämpfe mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, der sicherheits- und migrationspolitisch für einen „dänischen Kurs“ der Sozialdemokraten steht. Und die Grünen freuen sich jetzt schon darauf, wieder in den Nationalrat einziehen zu können. Nach den jüngsten Umfragen liegen sie bei elf Prozent.

Lichtgestalt der österreichischen Politik

Vor diesem Hintergrund erscheint Sebastian Kurz als Lichtgestalt der österreichischen Politik, als einer, dem es gelingt, mit persönlicher Ausstrahlung und rhetorischem Talent politische Untiefen elegant zu umfahren. Dies gilt umso mehr, als Kurz für einen klaren Kurs in der Migrationsfrage steht. Und das könnte in den nächsten Monaten, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan weiter damit droht, den Flüchtlingen in seinem Land die Tore nach Europa zu öffnen, auch für Deutschland von erheblicher Bedeutung sein. Auch so gesehen, ist die morgige Wahl für Deutschland von großem Belang, denn es war nicht zuletzt Sebastian Kurz, der im Frühjahr 2016 die Balkanroute geschlossen und damit nebenbei der deutschen Politik die Kastanien aus dem Feuer geholt hat.

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