Visa-Affäre im Auswärtigen Amt - „Falscher Pass hin oder her“: Baerbock gerät in Erklärungsnot

Annalena Baerbocks Ministerium machte Druck auf die deutsche Botschaft in Islamabad, bei der Aufnahme von angeblich gefährdeten Afghanen nicht so genau hinzusehen. Ein besonders drastischer Fall wird für sie nun zum politischen Problem.

Was wusste Außenministerin Annalena Baerbock von den brisanten E-Mails aus dem Auswärtigen Amt? / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

So erreichen Sie Ulrich Thiele:

Anzeige

Der Fall Mohammad G. schlägt weiter Wellen. Über den jungen Mann aus Afghanistan, der trotz erheblicher Zweifel an seiner Identität auf Weisung des Auswärtigen Amtes ein Visum für Deutschland bekommen soll, hat Cicero bereits mehrfach berichtet. Nun legt die Bild-Zeitung nach, spricht vom „Visa-Skandal“ und veröffentlicht eine brisante E-Mail aus der Rechtsabteilung des von Annalena Baerbock geführten Ministeriums.

Die E-Mail, die Ende Dezember aus dem für Visa-Einzelfälle zuständigen Referat 509 an die deutsche Botschaft in Islamabad ging, hat es in sich. Denn die für den Fall zuständige Auslandsvertretung im Nachbarland Pakistan wird darin aufgefordert, das Visum für Mohammad G. auszustellen, obwohl dieser einen gefälschten Pass vorgelegt hatte.

Erhebliche Ungereimtheiten

An der Identität des Antragstellers bestünden „eigentlich keine Zweifel, falscher Pass hin oder her“, schreibt der Beamte aus Berlin. Dabei hat er den angeblichen Afghanen nie zu Gesicht bekommen. Anders als die Botschaftsmitarbeiter vor Ort, die daraufhin erhebliche Ungereimtheiten in der Familien- und Verfolgungsgeschichte des Antragstellers bemängelten. Seine Erzählungen und sein Auftreten passten nicht zu dem, was sein angeblicher Bruder, der bereits in Deutschland ist, behauptet hat.

Doch davon will man im Auswärtigen Amt nichts wissen. In einem Gerichtsverfahren hat das Ministerium zugestimmt, Mohammad G. im Rahmen des Familiennachzugs legal nach Deutschland einreisen zu lassen. Auf diese Zusage pocht das Fachreferat des Auswärtigen Amts nun in seiner E-Mail gegenüber der Botschaft in Islamabad:

„Vor dem Hintergrund, dass wir in der mündlichen Verhandlung neben diversen Fotos vom Antragsteller (die allen Beteiligten glaubhaft erschienen) auch die ausführliche Geschichte bekommen haben, die ebenfalls glaubhaft war und sich alle im Raum einig waren, dass in diesem besonderen Fall eine Visumerteilung der richtige Weg ist, möchte ich trotz des falschen Passes an der Weisung zur Visumerteilung festhalten, da durch den falschen Pass die ‚Geschäftsgrundlage‘ des gerichtlichen Vergleichs nicht entfällt, da es wie geschildert meines Erachtens keine Überraschung ist, dass ein afghanischer Pass falsch ist – zumal wir die Fälschung eigentlich früher hätten erkennen müssen, da uns der Pass schon einmal vorlag (wir sind deshalb mit diesen Bedenken auch ‚zu spät‘ dran).“

Botschaft widerspricht

In einem Saal des Berliner Verwaltungsgerichts war man sich also einig, dass Mohammad G. – von dem man nicht mal weiß, ob er wirklich so heißt – ein Visum erhalten soll. In der Botschaft stößt das auf Empörung. „Niemand in Berlin hat zu dem Zeitpunkt der Verhandlung gewusst, wer tatsächlich in Islamabad ein Visum beantragt hat. Die Botschaft hat aus den dargelegten Gründen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller der zitierte Mohammad G. gewesen ist“, antwortet ein Mitarbeiter aus Islamabad auf die E-Mail aus Berlin. „Ein objektives, hartes Indiz ist die Vorlage eines verfälschten afghanischen Reisepasses.“

Es geht hin und her. Das Auswärtige Amt reagiert wütend auf die Weigerung der deutschen Botschaft, das Visum trotz gefälschten Passes auszustellen. „Der Denkfehler in Ihrer nachstehenden Analyse liegt darin, dass sie unzutreffend davon ausgeht, dass in diesem Fall die Klärung Sache der Botschaft sei“, heißt es in einer weiteren E-Mail aus Berlin. Ein Visum werde „nicht für einen Pass, sondern für einen Menschen erteilt“.

Bundesamt lehnt Aufnahme ab

Schließlich wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eingeschaltet, damit Mohammad G. einen Reiseausweis für Ausländer bekommt. Doch die Botschaft rät dem Bamf „nachdrücklich“ davon ab. „Der Antragsteller hat die Botschaft vorsätzlich getäuscht“, heißt es in deren Stellungnahme. Mittlerweile soll das Bamf nach Cicero-Informationen den Antrag abgelehnt haben.

Warum beharrt das Auswärtige Amt so sehr darauf, den jungen Mann (angeblich 14 Jahre alt, die Botschaftsmitarbeiter schätzen ihn eher auf Anfang 20) nach Deutschland zu holen? Und was weiß Ministerin Baerbock, die kurz nach Amtsantritt versprochen hat, möglichst großzügig gegenüber schutzbedürftigen Afghanen zu sein, von dem Vorgehen ihres Fachreferats?

Kritische Fragen im Bundestag

Vergangene Woche wedelte der AfD-Abgeordnete Petr Bystron im Bundestag mit jener E-Mail, die Bild nun veröffentlicht hat und die auch Cicero vorliegt. „Wir haben hier eine E-Mail aus Ihrem Amt an die Botschaft in Islamabad, wo explizit aufgefordert wird, in gefälschte afghanische Pässe Visa zu erteilen. Ist das Ihre Politik? Machen Sie das absichtlich oder machen das die Beamten, ohne dass Sie das wissen, und Sie haben überhaupt keinen Überblick darüber, was in ihrem Hause passiert?“, fragte er Annalena Baerbock.

 

Das könnte Sie auch interessieren: 

 

Die Ministerin antwortete ausschweifend, aber ohne auf den Fall und die konkreten Fragen einzugehen. Sie habe sich mit ihren Mitarbeitern „den Kopf darüber zerbrochen, wie wir in einer Situation, wo ein terroristisches Regime wie die Taliban seine eigene Bevölkerung terrorisiert, wie wir irgendwie dafür sorgen können, dass wir Menschen rausholen können, auch wenn es alles abgeriegelt wird“, sagte Baerbock. „Und deswegen habe ich mit den Pakistani eine Vereinbarung getroffen, dass Menschen über ihre Grenze kommen können, auch wenn sie keine Pässe haben. Weil Pässe werden dort nicht ausgestellt.“

Aber darum geht es im Fall Mohammad G. gar nicht. Nicht sein fehlender Pass war das Problem, sondern sein gefälschter. Und ausgereist ist er aus Afghanistan schon längst. Wenn er überhaupt von dort stammt. Womöglich ist er gar kein Afghane, sondern Pakistani. Auch diesen Verdacht haben die Botschaftsmitarbeiter in Islamabad schon geäußert.

Aufnahmeprogramm gestoppt

Baerbock fuhr fort: „Dann haben wir einen Hinweis bekommen, dass es zu Fälschungen kommen könnte. Dann haben wir unverzüglich das Aufnahmeprogramm gestoppt, mit dem Innenministerium zusammen und mit dem Außenministerium zusammen. Aber weil es hier um Rechtsstaatlichkeit geht, da kann die Ministerin nicht einfach sagen: Wir heben jetzt Visa auf. Deswegen haben wir gesagt, wir machen zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen.“

Auch das hat nichts mit dem Fall Mohammad G. zu tun. Mit dem Hinweis meint sie wohl ein vertrauliches Warnschreiben des deutschen Botschafters über systematischen Missbrauch des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan, das Baerbock gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser gestartet hat. Nachdem Cicero darüber berichtet hatte und weil die Sicherheitsbehörden alarmiert waren, stoppten die beiden Ministerinnen das Programm.

Mohammad G. hingegen will außerhalb dieses Programms nach Deutschland. Der Familiennachzug fällt nicht darunter. Und in seinem Fall sind die Hinweise auf eine Fälschung auch nicht neu. Das Auswärtige Amt weiß davon schon seit Monaten.

„Interessante Einstellung zum Rechtsstaat“

Leider gelang es Petr Bystron während der Regierungsbefragung nicht, die Ministerin durch gezielte Nachfragen zu konkreteren Aussagen zu bewegen. Stattdessen kommentierte der AfD-Abgeordnete: „Ich finde das auch schon sehr interessant, dass Sie das für rechtmäßig halten, wenn Ihr Ministerium Ihre Botschaft anweist, in gefälschte Pässe Visa auszustellen. Das ist wirklich eine sehr interessante Einstellung zum Rechtsstaat.“

Baerbock reagierte darauf mit empörter Stimme: „Da ich nun die Ministerin bin, möchte ich trotzdem darauf hinweisen, dass zweimal jetzt Schleusung, gefälschte Visa, Rechtsbruch mit Blick auf das AA hier vertreten wurde. Ich weise das in aller Schärfe zurück und ich hoffe, alle demokratischen Parteien tun das ebenso.“

Falscher Pass, echte Visa

Genau hinhören hilft. Baerbock wies einen Vorwurf zurück, den niemand erhoben hat. „Gefälschte Visa“? Von solchen Machenschaften war noch gar nicht die Rede. Es geht um echte Visa trotz falscher Pässe.

Dass ihr Ministerium dies wollte, ist in mehreren E-Mails schwarz auf weiß belegt: „falscher Pass hin oder her“. Die demokratische Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie es dazu kommen konnte und wer die politische Verantwortung dafür trägt.

Anzeige