Verkauf von „Telegraph“ und „Spectator“ - Geld oder Freiheit

Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan aus Abu Dhabi will zwei traditionsreiche britische Publikationen kaufen, die in Geldnot geraten sind. Journalisten und Politiker sind entsetzt und fürchten um die Presse- und Meinungsfreiheit. Manche sehen sogar die nationale Sicherheit in Gefahr.

Geht gern mal auf Einkaufstour: Mansour bin Zayed Al Nahyan / dpa
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Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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Es begann mit der Sorge um redaktionelle Freiheit. Aber spätestens mit der Wortmeldung von Sir Richard Dearlove steht die nationale Sicherheit auf dem Spiel. Der vormalige Direktor des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 lässt wissen, er sei „prinzipiell dagegen“, die Tageszeitung Telegraph und das Magazin Spectator an Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan, den Sohn des Emirs von Abu Dhabi und Vizepräsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, zu verkaufen. Der Scheich kontrolliert International Media Investments, den Geldgeber des Gemeinschaftsunternehmens RedBird IMI, das im vergangenen Herbst ein Angebot für die Publikationen einreichte.

Der Verkäufer Sir Frederick Barclay braucht das Geld dringend. Die Geschäfte seines Konzerns laufen seit einiger Zeit nicht gut, und die Lloyds Bank drängt auf Rückzahlung von Krediten in Höhe von einer Milliarde Pfund. Die Tageszeitung Daily Telegraph sowie den Spectator hatten die Barclay-Zwillinge, Sir Frederick und sein inzwischen verstorbener Bruder Sir David, 2004 in ihr Unternehmenskonglomerat integriert, zu dem auch das Luxushotel Ritz gehörte. Von ihrer Firmenzentale aus, einem gotischen Burgneubau auf der Kanalinsel Brecqhou, steuerten sie seither die beiden Traditionspublikationen. 

Einen Verkaufserlös zwischen 500 und 700 Millionen Pfund prognostizierten Experten allein für den Telegraph, der zuletzt einen Jahresprofit von 39 Millionen Pfund erwirtschaftete. Zunächst galt der Axel-Springer-Konzern als Kaufinteressent, ebenso wie Lord Rothermere, der Besitzer der Boulevardzeitung Daily Mail, sowie Sir Paul Marshall, der Gründer des Hedgefonds Marshal Mace und Geldgeber hinter GB News, einem britischen Privatsender mit stramm rechtem politischem Kurs. Auch Rupert Murdoch war im Gespräch mit der Absicht, den Spectator aus dem Paket herauszuschneiden und in sein Unternehmen News UK einzugliedern. 

Inzwischen legte das Konsortium um Scheich Mansour ein konkretes Angebot vor: 600 Millionen Pfund für die Publikationen und noch einmal den gleichen Betrag für weitere Teile des Konzerns, die Goldman Sachs im Auftrag der Barclay-Familie versteigert. Dafür sollte RedBird IMI die Besitzrechte erhalten.

2008 erwarb der Scheich den Fußballclub Manchester City

Der Scheich ist in Großbritannien kein Unbekannter, seit er 2008 den Fußballclub Manchester City erwarb und dank einer Investition in Höhe von 2,5 Milliarden Pfund zur ersten Adresse im europäischen Fußball gemacht hat. Er ist der Bruder von Scheich Muhammad, dem De-facto-Staatslenker von Abu Dhabi, der von dem damaligen Premierminister Boris Johnson in Downing Street empfangen wurde. Seinerzeit sprach die britische Regierung offiziell von einer guten Freundschaft zwischen den beiden Staaten und Völkern. Die Regierung in London genehmigte Waffenlieferungen an das Scheichtum, und bei britischen Unternehmern ist das reichste unter den wohlhabenden Emiraten ohnehin beliebt.

Seit der Griff der Scheichs nach den Medienhäusern bekanntgeworden ist, werden kritische Stimmen laut. Das Kaufangebot für die Publikationen ist auch deshalb ein sensibles Thema, weil der Interessent für ein Regime steht, dessen Politikverständnis sich nicht mit dem Grundsatz der Rede- und Meinungsfreiheit verträgt. Eine Mindesthaftstrafe von 15 Jahren droht in den Emiraten demjenigen, der öffentlich den Staatspräsidenten beleidigt. In das Bild passt es, dass vor wenigen Wochen Wladimir Putin von den Vereinigten Arabischen Emirate als Gast zu einem Staatsempfang mit militärischen Ehren begrüßt wurde – trotz des internationalen Haftbefehls.

„Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein außerordentlich erfolgreiches Land. Aber eine Demokratie sind sie nicht“, warnt Andrew Neil, der dem Verwaltungsrat des Spectator vorsitzt. „Sollen wir wirklich in den Besitz von Leuten übergehen, die für eine Regierung stehen, die niemanden wählen lässt?“, empört sich Neil im Gespräch mit der BBC. Er nennt es absurd, dass eine „Diktatur“ Londoner Medienhäuser kaufen will, noch dazu den Spectator, der als ältestes kontinuierlich produziertes Magazin gilt und bei seiner Gründung vor fast 200 Jahren an der Seite der liberalen Partei für die Ausweitung des britischen Wahlrechts stritt. Selbst Nationalhelden wie der Herzog von Wellington mussten die beißende Kritik auf den Seiten des Spectator ertragen, der den Sieger von Waterloo für ein Spitzenamt in der Regierung für untauglich hielt. Freiheit für die Person, Freiheit für die Presse und Freiheit für den Handel gelten als Maxime der Redaktion, die gegen die Todesstrafe anschrieb, für die Dekriminalisierung der Homosexualität stritt und für Freundschaft mit den USA und Israel wirbt. 

Mit der redaktionellen Freiheit könnte es bald vorbei sein

Heute gilt der Spectator als konservativ. Platz für liberale Stimmen wie etwa den Historiker Timothy Garton Ash gibt es auch jetzt noch. Ausgerechnet im Wahljahr 2019 forderte das Magazin die Tories heraus mit seinem Vorschlag, illegalen Migranten die britische Staatsbürgerschaft zu geben. Politische Hofberichterstattung ließe sich auch nicht machen mit dem Autorenkreis: journalistischen Silberfedern, konservativen Vor- und Querdenkern, streitbaren Liberalen und den Stars der Literaturszene, die seit Jahrzehnten für den Spectator schreiben. Essays von Thomas Mann, Ian Fleming, William Butler Yeats und Gabriel Garcia Marquez füllten Seiten neben Polemiken von Christopher Hitchens und Analysen von Roger Scruton. 

 

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Während Minister und Abgeordnete der Konservativen sich der Unterstützung des Spectator nie gewiss sein können, müssen sie den Telegraph immer wieder fürchten. Dutzende politische Karrieren zerbrachen, als das Blatt Abgeordneten 2009 systematische Manipulation der Spesenabrechnungen nachwies. Der größte Skandal in Jahrzehnten zwang sechs Minister zum Rücktritt. Die konservative Abgeordnete Nadine Dorries warf den Journalisten gar „Foltermethoden“ vor. Wenn der Telegraph Geschichten jagt, geht die traditionelle Nähe zu den konservativen Tories, die der Zeitung in der Satire-Postille Private Eye den Beinamen „Torygraph“ einbrachte, immer wieder vergessen.

Mit dieser redaktionellen Freiheit könnte es bald vorbei sein, warnt Anna Somers Cocks. Die Journalistin und ehemalige Kuratorin des Victoria & Albert Museums gibt in London eine Kunstzeitung heraus. Im Jahr 2009 erhielt sie von der Regierung in Abu Dhabi den Auftrag, eine arabische Version der Zeitung aufzulegen. Anlass war die Vereinbarung zwischen Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten, einen Ableger des Louvre in Abu Dhabi zu errichten. Der Start gelang. Doch dann wurde Somers Cocks Arbeit an der Publikation abrupt für beendet erklärt. Kurz zuvor hatte sie in der Londoner Ausgabe einen Artikel veröffentlicht, der sich kritisch mit den Arbeitsbedingungen asiatischer Gastarbeiter auf der Baustelle für den neuen Louvre beschäftigte. Zudem hatte sie die Rezension eines Buches veröffentlicht, das die Finanzierung des Museumsprojekts mit Geld aus Waffengeschäften beleuchtet. Für ihr Argument, sie könne in ihrer Kunstpublikation nicht nur vorbehaltloses Lob über das Regime veröffentlichen, zeigten die Beamten, die sie im Kulturministerium der Vereinigten Arabischen Emirate traf, kein Verständnis: „Mein Fehler war es, zu glauben, es sei möglich, ein freies Medium gemeinsam mit einer absolutistischen Regierung zu betreiben“, schreibt Somers Cocks jetzt im Spectator. Sie hoffe, ihre Geschichte möge die britische Regierung aufwecken und die Übernahme stoppen. Der Warnung schlossen sich 73 Abgeordnete und Minister aus den Reihen der Konservativen und von Labour an. Zu den Unterstützern des Aufrufs zählen unter anderem Ian Duncan Smith, der vormalige Vorsitzende der Tories, und die Abgeordnete Alicia Kearns, die dem Ausschuss für Außenpolitik vorsteht.

Jetzt kommt es auf die Medienaufsichtsbehörde an

Lucy Frazer, die Kulturministerin, gab dem Druck aus den eigenen Reihen nach und ordnete mit Verweis auf das Gesetz für nationale Sicherheit und Investitionen eine Untersuchung der Akquisepläne an. Kurz bevor die Ministerin ihr Verdikt verkünden konnte, reagierte Redbird IMI auf die wachsende Kritik und legte Ende Januar ein neues Angebot vor, das die redaktionelle Freiheit wirksamer schützen soll. Zu diesem Zweck sind Treuhänder als Garanten der journalistischen Unabhängigkeit vorgesehen. Zudem wird darauf verwiesen, dass das operative Geschäft von Redbird IMI von Jeff Zucker geführt wird, der sich als Präsident des liberalen Nachrichtensenders CNN einen Namen gemacht hat. Andrew Neil, einst Chefredakteur der Sunday Times, verspricht sich von diesen Zusicherungen wenig. Treuhänder, sagt er, könne der Besitzer auswechseln, und die wichtigsten Entscheidungen treffe nicht Zucker, sondern der Geldgeber.  

Jetzt kommt es auf die Medienaufsichtsbehörde an. Ofcom prüft jetzt im Auftrag von Ministerin Frazer, ob nach einer Übernahme unabhängige nachrichtliche Arbeit gewährleistet sein wird, Meinungsfreiheit und Pluralität bestehen bleiben und für Kontrolle der neuen Eigentümer gesorgt ist. Am 11. März will die Aufsichtsbehörde ihren Bericht abgeben. Finden sich darin keine Bedenken, muss die Regierung den Deal durchwinken. Sollte Ofcom Zweifel aufwerfen, kann das Ministerium weitere umfangreiche Prüfungen beantragen. Damit verzögert sich eine endgültige Entscheidung noch einmal um bis zu acht Monate, also bis nach der Neuwahl des Parlaments. 

Am Ende wird das Votum der Regierung vor dem Hintergrund politischer Überlegungen und finanzieller Abhängigkeiten getroffen. Im Herbst 2023 traf sich Schatzkanzler Jeremy Hunt mit Khaldoon Al Mubarak, dem Manager der Mubadala Investment Company in Abu Dhabi, die von Scheich Mansour kontrolliert wird. Von ihm erhofft sich die britische Regierung Hilfe bei der Finanzierung eines neuen Kernkraftwerkes in Suffolk. Dort klafft eine Finanzierungslücke von 55 Milliarden Pfund, seit die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Geldgeber aus politischen Gründen beendet wurde. Auch die elf Milliarden Pfund für die größte Windfarm der Welt, die vor der Nordostküste Englands entsteht, soll zur Hälfte von Finanziers aus Abu Dhabi kommen.

Fraser Nelson, der Chefredakteur des Spectator, hält einen Rat bereit: „Der Grund, weshalb eine ausländische Regierung sich in sensible Geschäftsbereiche einkaufen will, ist genau der Grund, weshalb unsere Regierung es nicht zulassen sollte.“

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