Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg - Diplomatie ist in unserem Interesse

Solidarität mit der Ukraine und die Suche nach einer diplomatischen Lösung schließen sich nicht aus. Das Ziel muss sein, den Krieg so bald wie möglich zu beenden. Es würde auch durchaus der traditionellen Politik der Nato entsprechen, nicht ausschließlich auf die militärische Karte zu setzen. Eine Debatte über die Kriegsziele ist nötig, denn von der weiteren Entwicklung des Krieges hängt auch die europäische Sicherheit ab.

Noch zu territorialen Zugeständnissen bereit? Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj beim Weltwirtschaftsforum in Davos / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

So erreichen Sie Rüdiger Lüdeking:

Anzeige

Die bisherige Bilanz des inzwischen mehr als drei Monate andauernden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist schrecklich: zehntausende tote Soldaten und Zivilisten, ungezählte Verwundete, umfangreiche und noch nicht abschätzbare Zerstörungen, nicht absehbare „Kollateralschäden“ wie Hungersnöte in der Dritten Welt aufgrund ausbleibender Getreidelieferungen aus der Ukraine und ein noch nicht quantifizierbarer Einbruch der globalen Wirtschaft. Ein Ende des Kriegs ist aber nicht absehbar; es scheint sich vielmehr ein langanhaltender Abnutzungskrieg mit vielen weiteren Opfern und Kosten zu entwickeln.

Eine diplomatische Lösung scheint weit entfernt. Vielmehr scheint auch der Westen eindimensional auf die militärische Karte und einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld zu setzen. Eine derartige Strategie – zumal sie ohne bisher klar und einheitlich definierte Ziele verfolgt wird – ist gefährlich und zynisch; gefährlich, weil die Eskalationsrisiken ausgeblendet werden, und zynisch, weil die Opfer an Menschen und Kosten einfach als nachrangig betrachtet werden. Dies gilt unabhängig davon, dass die Ukraine als Opfer der Aggression Solidarität und auch Unterstützung zu ihrer Verteidigung verdient.

Es liegt im Wesen der seit den 60er-Jahren – Stichwort: Harmel-Doktrin – verfolgten Politik der Nato, eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten, auf der Grundlage und trotz bestehender Gegensätze aber immer auch zu Diplomatie und Dialog bereit zu sein. Letzteres wird jetzt vielfach angesichts der Schrecken des Krieges als abwegiges Denken von Defätisten verworfen. Nichts könnte in Anbetracht der nicht absehbaren Entwicklungen des Kriegsgeschehens abwegiger sein. Realpolitisch muss es jetzt vielmehr darum gehen, einen möglichst raschen Waffenstillstand zu für die Ukraine günstigen Bedingungen zu erreichen.

Wer sagt, dass selbst nach einem langen Krieg, von dem gegenwärtig ausgegangen wird, die Ukraine einen Sieg über Russland davontragen wird? Und was bedeutet ein Sieg – die Wiederherstellung der Situation vor dem 24. Februar oder vor der Annexion der Krim und Ausrufung der Separatistenrepubliken im Donbass 2014? Noch Ende März hatte Präsident Selenskyj die Möglichkeit von Kompromissen auch territorialer Art ins Spiel gebracht. Vermutlich bestärkt durch die zwischenzeitlich errungenen militärischen Erfolge ist davon aktuell keine Rede mehr. Vielmehr sind die Äußerungen von Henry Kissinger in Davos, der ukrainische Gebietsabtretungen vorschlug, um zu einem Friedensschluss zu kommen, von der ukrainischen Regierung mit aller Schärfe abgelehnt und in den sozialen Medien mit Hohn und Spott bedacht worden. Dabei wird offenbar vergessen, dass Kissinger, der von der New York Times als „Hohepriester“ der Realpolitik tituliert wird, offenbar das Denken und die Erfahrungen aus den Zeiten des Kalten Kriegs geleitet haben.

Moralische Entrüstung kann nicht Richtschnur für das politische Handeln sein

In Zeiten des Kalten Kriegs war unumstritten, dass die Gefahr einer direkten militärischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion vermieden werden muss, vitale sowjetische Interessen zu berücksichtigen sind und die Containment-Politik gegenüber dem Warschauer Pakt ein bestimmtes Maß an politischer Zurückhaltung und die Nichtüberschreitung unausgesprochener roter Linien im Interesse der Bewahrung des Friedens unumgänglich macht. Dies hat beispielsweise dazu geführt, dass die Niederschlagung des sogenannten Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Pakts 1968 hingenommen wurde, obgleich doch die neue tschechoslowakische Regierung von Alexander Dubcek ein hohes Maß an Unterstützung in der westlichen Bevölkerung genoss und sie sich für die Verfolgung grundlegender westlicher Werte entschieden hatte.

Die Definition der Kriegsziele wird nach den Äußerungen des Pressesprechers von Bundeskanzler Scholz als ein der Ukraine zustehendes Recht erachtet. Dies ist jedoch nur bedingt richtig, da von der weiteren Entwicklung des Krieges auch unsere Sicherheit abhängt. Entsprechend kann nicht einfach von einer unbegrenzten Solidarität und Unterstützung für die Ukraine ausgegangen werden, unabhängig davon, welche Ziele die ukrainische Regierung verfolgt. Die Unbekümmertheit, mit der eine solche unbegrenzte Solidarität plakativ eingefordert wird, ist überraschend. Ebenso überrascht, dass in der Öffentlichkeit zwar im Detail über die an die Ukraine zu liefernden Waffen diskutiert wird, eine ernstzunehmende Debatte über die eigenen Interessen und Ziele jedoch fehlt.

Dabei ist nicht zu verhehlen, dass sich die Bundesregierung durch eine unklare und chaotische Kommunikation und den Mangel an Führung und Entschiedenheit selbst einen außenpolitischen Bärendienst erwiesen hat und jetzt als unzuverlässiger Kantonist im Bündnis dasteht. Dabei heißt Führung nicht einfach, mit großem Hurra die ukrainischen Forderungen zu erfüllen. Vielmehr ist Umsicht und Augenmaß bei Waffenlieferungen vonnöten, um nicht das Risiko einzugehen, Kriegspartei zu werden. Aber die Bundesregierung hat das Heft des Handelns anderen überlassen; es hat jetzt den Anschein, als ließe sie sich lediglich von den ukrainischen Partnern wie anderen Bündnispartnern vor sich hertreiben.

Eine „Hau drauf“-Haltung, wie sie in der innenpolitischen Debatte vielfach aus moralischer Entrüstung gefordert wird, kann nicht Richtschnur für das politische Handeln sein. Vielmehr gilt es, sich des Dilemmas, das Jürgen Habermas in einem kürzlichen Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung schildert, bewusst zu sein. Er betont einerseits, dass es gute Gründe gibt, nicht zur Kriegspartei zu werden, da es „keinen Spielraum für riskantes Pokern“ gebe. Andererseits dürfe sich aber der Westen „nicht beliebig erpressen lassen“ und die Ukraine ihrem Schicksal überlassen. Daraus ergibt sich, dass es einer Politik mit Augenmaß bedarf. Die von Habermas beklagte „kriegstreiberische Logik“ verträgt sich schlecht mit der „Zuschauerloge, aus der sie lautstark ertönt“.

Von zweifelhaften öffentlichen Versprechungen sollte Abstand genommen werden. So bedeutet etwa das Inaussichtstellen eines raschen EU-Beitritts der Ukraine nicht nur eine unkluge Provokation und einen Wechsel auf eine ungewisse Zukunft des Landes. Es wirft auch Fragen nach der Beitrittsfähigkeit der Ukraine wie auch die mit einem Beitritt sich ergebende Frage des Charakters und der Finalität der EU auf. Stattdessen ist es wichtig, parallel zu materiellen Unterstützungsleistungen militärischer und nichtmilitärischer Art jetzt auch die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung und eines raschen Waffenstillstands auszuloten. Dies kann nicht allein der Ukraine überlassen werden. Vielmehr ergibt sich hier eine besondere Verantwortung für Präsident Biden und die US-Administration, da Präsident Putin die europäischen Regierungen nicht für satisfaktionsfähig erachten dürfte und auf Augenhöhe mit der Supermacht USA wahrgenommen werden will. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass Biden von sich aus diese Aufgabe als dringlich erachtet. Es kommt deshalb auf besonnene Staaten wie Deutschland und Frankreich an, Biden und seine Administration zu drängen, auf Putin zuzugehen.

Waffenlieferungen rücken die Nato-Staaten zunehmend in die Rolle von Kriegsbeteiligten

Die folgenden Gründe sprechen dafür, dass jetzt eine derartige diplomatische Initiative zur Kriegsbeendigung geboten ist:

1.)    Präsident Biden hat immer wieder betont, dass die Nato und ihre Mitgliedstaaten nicht Kriegspartei werden dürften, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Zwar mag argumentiert werden, dass völkerrechtlich eine Unterstützung bei der Abwehr der russischen Aggression legitim ist und die Nato-Staaten keine Kriegspartei sind, solange sie nicht mit eigenen Truppen an militärischen Operationen in der Ukraine teilnehmen. Eine solche Argumentation verfängt jedoch ebensowenig wie die schon kleinteilig zu nennende, die innenpolitische Auseinandersetzung in Deutschland beherrschende Debatte über die Frage der Lieferung von schweren Waffen oder ob es beispielsweise eine Nato-Abstimmung darüber gibt, dass keine modernen Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart an Kiew geliefert werden. Letztlich ist es Putin, der darüber befindet, wann er einzelne westliche Staaten oder die Nato als Kriegspartei betrachtet. Klar dürfte jedoch sein, dass aufgrund der Unterstützungsleistungen und Waffenlieferungen die Nato-Staaten zunehmend in die Rolle von „Kriegsbeteiligten“ rücken, was das Risiko einer Ausweitung des Krieges selbst auch aufgrund von unbeabsichtigten Fehlern oder Zufälligkeiten erhöht. (Dies mag insofern theoretisch sein, als Putin aufgrund der zutage getretenen militärischen Schwäche Russlands an einer faktischen Ausweitung von Kriegshandlungen über die Ukraine hinaus keinerlei Interesse haben dürfte; ebensowenig sollten sich die westlichen Staaten durch düstere Ausweitungsszenarien, wie sie von den Befürwortern massiver Unterstützung der Ukraine immer wieder beschworen werden, ins Bockshorn jagen lassen.)

2.)    Die russischen Drohungen mit Atomwaffeneinsätzen sind ernst zu nehmen. Putin wird es mit diesen in erster Linie um eine Abschreckung westlicher Staaten von Unterstützungsleistungen an die Ukraine und die Schürung von Ängsten in westlichen Gesellschaften gegangen sein. Nach den bisher insgesamt wenig erfolgreichen Operationen des russischen Militärs und den einschneidenden Sanktionen steht Putin zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Es ist nicht auszuschließen, dass er eine demütigende Niederlage nicht akzeptieren wird und er stattdessen – geht es doch letztlich auch um das Überleben seines Regimes – selbst vor einer nuklearen Eskalation als letztem Mittel nicht zurückschreckt. Diese Gefahr könnte in den nächsten Wochen unter dem Eindruck einer fortgesetzten Stärkung der ukrainischen Streitkräfte durch massive Waffenlieferungen aus dem Westen zunehmen. Selbst wenn die Gefahr dennoch als gering veranschlagt wird, so ist die Zerstörungskraft schon von einzelnen taktischen Nuklearwaffen wie auch die nicht völlig undenkbare Eskalation bis hin zu einem strategischen Schlagabtausch, der eine apokalyptische Katastrophe wäre, von so existentieller Bedeutung, dass sich ein leichtfertiges Abtun mit dem Hinweis, dass Angst ein schlechter Ratgeber sei und man sich nicht erpressen lassen dürfe, schlicht dumm und unverantwortlich.

3.)    Unter den Bedingungen der für Russland insgesamt wenig günstigen militärischen Lage (die Ausgangsziele Russlands dürften kaum erreichbar sein) ist die Erreichung eines für die Ukraine günstigen Verhandlungsergebnisses am ehesten vorstellbar. Zudem ist mehr als fraglich, ob es letztlich der Ukraine – worauf nach den schweren taktischen Fehlern der russischen Streitkräfte viele setzen – tatsächlich gelingt, alle Gebiete auf ihrem Territorium – selbst nach einer längeren kriegerischen Auseinandersetzung – von den Besatzern zu befreien. Immerhin war das russische Militär schon in den vergangenen Wochen im Süden der Ukraine erfolgreicher als vielfach berichtet; inzwischen hat man dort begonnen, russische Verwaltungsstrukturen zu etablieren, wodurch die Voraussetzung für eine Annexion geschaffen werden soll. Auch im Donbass sind der russischen Seite in den letzten Tagen Vorstöße und Gebietsgewinne gelungen. Selbst eine weitere Degenerierung zu einem Stellungs- oder Abnutzungskrieg oder ein Einfrieren der Fronten würde territoriale Fakten schaffen, die nur schwerlich wieder revidiert werden könnten.

4.)    Daneben lassen sich eine Reihe weiterer Gründe dafür anführen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, die Chancen für eine Kriegsbeendigung durch einen diplomatischen Vorstoß auszuloten. Hierzu gehören nicht nur die Vermeidung von mehr Sterben und Leid, sondern auch die Abwendung der Gefahr von Hungerkatastrophen in der Dritten Welt, die Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen, die in den entwickelten Staaten im Westen noch nicht durchgeschlagen haben, sich jedoch über die Zeit in einer Abnahme der Solidarität mit der Ukraine niederschlagen könnten. Zudem ist pragmatisch auch in Rechnung zu stellen, dass die politischen Verhältnisse sich in den USA nicht erst 2024, sondern bereits mit den im November anstehenden Halbzeitwahlen zum US-Kongress ändern könnten und eine kohärente Politik gegenüber Russland schwieriger werden könnte. Und schließlich muss es gelten, Russland nicht völlig auszugrenzen, sondern zur Vermeidung eines ungezügelten russischen Sinnens auf Revanche und u.a. im Interesse der rüstungskontrollpolitischen Absicherung der Beziehungen unter dem Vorzeichen eines neuen Kalten Kriegs sowie einer notwendigen Zusammenarbeit zu den großen Menschheitsherausforderungen einen Dialog aufrechtzuerhalten.

Der Vergleich mit München 1938 ist ein Totschlagargument

Wird sich Russland auf Verhandlungen zu einem Waffenstillstand einlassen? Dies einfach – wie es häufig geschieht – zu verneinen, ist unseriös, wurde doch offenbar bisher auf höchster Ebene zwischen den beiden Supermächten kein ernsthafter Versuch hierzu unternommen. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, wäre es fahrlässig, nicht doch diese Möglichkeit durch ein Zugehen auf Putin auszuloten. Immerhin muss dieser sich eingestehen, dass er sich völlig verkalkuliert hat und Russland bei Lichte betrachtet schon eine weitgehende und nachhaltige Niederlage hat einstecken müssen. Diese besteht nicht nur in der Demütigung und Schwächung der russischen Streitkräfte. Auch die wirtschaftliche Isolation und die Sanktionen haben die Entwicklung und den Wohlstand Russlands über viele Jahre zurückgeworfen. Und schließlich sind die politischen Folgen einschneidend: Nicht nur ist in den Augen vieler Staaten Russland zu einem Paria in der Weltgemeinschaft mutiert. Für Putin dürfte auch besonders schmerzlich sein, dass die Nato jetzt ihre Ostflanke militärisch verstärken und mit der absehbaren Mitgliedschaft von Finnland und Schweden das Bündnis nun noch näher an Russland heranrücken wird. Was also sollte Putin von einem Eingehen auf einen Verhandlungsprozess abhalten?

Aber Putin wird keine demütigende Niederlage akzeptieren wollen. Insofern stellt sich die bittere Frage der Gesichtswahrung. Empört wird abgelehnt, überhaupt darüber nachzudenken. Wieso sollte dem Opfer des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs überhaupt zugemutet werden, Zugeständnisse an den russischen Aggressor zu machen? Dies wird ebenso wie ohnehin schon der Gedanke an eine Verhandlungslösung als Zeichen der Beschwichtigung verworfen und sofort der nicht zutreffende Vergleich mit München 1938 gezogen. Allen, die dieses Totschlagargument verwenden, ist zu empfehlen, Winston Churchills Ausführungen zum Appeasement zu Ende zu lesen: Er war der Meinung, dass Appeasement weder gut noch schlecht sei, es vielmehr auf die Umstände ankomme. Und weiter heißt es bei ihm: „Appeasement aus Schwäche und Furcht ist zu gleichen Teilen vergeblich und tödlich. Appeasement aus Stärke dagegen ist großherzig und nobel und kann möglicherweise der sicherste und einzige Pfad zum Weltfrieden sein.“ USA und Nato können klar aus einer Position der Stärke handeln.

Wie im Einzelnen eine Lösung aussehen könnte, wäre Gegenstand von Verhandlungen. Diese können nicht allein der Ukraine überlassen bleiben. Vielmehr sind schon aus Gründen der Äquivalenz und Betroffenheit auch die USA als Russland ebenbürtige Nuklearmacht wie auch die EU- und Nato-Staaten, um deren Sicherheit es auch geht, gefordert. An dieser Stelle soll nicht über mögliche Verhandlungsergebnisse spekuliert werden. Für die Verhandlungen ist ohnehin eine hohe Vertraulichkeit unabdingbar. Im Interesse der Erzielung eines Ergebnisses könnte selbst eine strikte Nachrichtensperre sinnvoll sein. In jedem Fall sollte ein Interessenausgleich angestrebt werden, der zwar zugunsten der Wahrung zentraler ukrainischer Forderungen ausfallen sollte, jedoch vermutlich der Ukraine auch bittere Kompromisse wie eingangs geschilderte Gebietsabtretungen abfordert.

Die vorstehenden Überlegungen gründen auf einem realpolitischen Kalkül. Sie werden bei vielen Unbehagen und möglicherweise kategorische Ablehnung auslösen. Angesichts des geschilderten Dilemmas, dem wir uns in dem von Russland angezettelten Angriffskrieg befinden, hilft eine hochmütig auf allein moralische oder rechtliche Kategorien gründende Argumentation nicht weiter. Dafür haben sich die Bedingungen für die Beendigung von Kriegen und die Friedenssicherung im Nuklearzeitalter zu stark verändert. Gefragt ist nüchterne Rationalität, die – sofern unumgänglich – auch suboptimale Ergebnisse im Interesse der Vermeidung brutaler Kriege und der Friedenssicherung akzeptiert. Diese Einsicht hat auch dem Grundansatz der Nato-Politik und der von ihr verfolgten Eindämmungspolitik (Containment) gegenüber der Sowjetunion zugrunde gelegen. Das Denken in Einflusssphären und die Respektierung vitaler Interessen scheinen, wie die generellen realpolitischen Lehren des Kalten Krieges, manchmal vergessen worden zu sein. Es ist sicherlich lohnend, sich ihrer angesichts einer zunehmend instabileren und unsichereren Weltlage (geprägt durch eine sich verschärfende multipolare Großmächtekonkurrenz) zu erinnern.

Anzeige