Vereinigtes Königreich - Liz Truss auf dem Schleudersitz

Die britische Premierministerin Liz Truss kämpft nach ihrem ersten Monat im Amt bereits um ihren Job. Ihr Versuch, die Inflation zu bremsen, ging nach hinten los. In Umfragen sinken ihre Beliebtheitswerte und die ihrer Tory-Partei rasant in den Keller. Ihre Reise nach Prag zum ersten Treffen der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ ist für Truss deshalb auch eine Chance, sich ihrem Volk als Staatschefin zu zeigen.

Auf dem Tory-Parteitag in dieser Woche machte Liz Truss gute Miene / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Sicherheit, Energie und Migration sind drei der dringendsten Prioritäten für die Briten“, schreibt Liz Truss in der Tageszeitung The Times. „Deshalb reise ich heute nach Prag zum Treffen der europäischen Staatschefs.“

Das klingt nach einem neuen Ton. Kooperation mit der EU stand bisher nicht gerade hoch oben auf der Tagesordnung der neuen britischen Premierministerin. Als Liz Truss im August um den Einzug in Downing Street kämpfte, sagte sie noch, sie wisse nicht, ob Emmanuel Macron „Freund oder Feind“ sei. Ihre Anwesenheit in Prag ist daher bezeichnend. Die neue „Europäische Politische Gemeindschaft“ ist eine Initiative des französischen Präsidenten. Und sie ist beidseitiger Einsicht geschuldet, dass ein Kontinent im Krieg zusammenrücken muss.

Da Liz Truss wie ihr Vorgänger Boris Johnson zu den wortreichsten Unterstützern des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gehört, sitzt sie in Prag gerne mit am Tisch, wenn 43 Staats- und Regierungschefs aus Europa zum Gründungstreffen der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ zusammenkommen.

Reise nach Prag zur Erholung

Trotz der seit dem Brexit angespannten Beziehungen zwischen den Briten und der EU ist die Reise nach Prag für die Britin geradezu eine Erholung. Zumindest im Vergleich mit ihrer Lage zu Hause. Der erste Monat der dritten konservativen Premierministerin des Vereinigten Königreichs war selbst nach den Maßstäben des politischen Dramas in den vergangenen Jahren katastrophal.

Am Mittwoch hatte sie mit einer Grundsatzrede den Parteitag ihrer konservativen Tories beendet. Eine knappe halbe Stunde sprach sie über ihr Programm für die britische Wirtschaft, das sie so zusammenfasste: „Wachstum, Wachstum, Wachstum“. Die meisten Delegierten waren schon am Dienstag vor ihrer Rede abgereist, weil am Mittwoch ein Eisenbahnerstreik die Reiserouten lahmlegte. Obwohl die Minister in der ersten Reihe des Konferenzzentrums in Birmingham zustimmend lächelten und applaudierten, war klar: Liz Truss hat den ohnehin kleinen Vertrauensvorschuss, den sie bei Amtsantritt am 7. September hatte, schon wieder verspielt.

Britische Wirtschaft weiter in der Krise

Daran ist sie selbst schuld. Gemeinsam mit ihrem frischgebackenen Schatzkanzler Kwasi Kwarteng hatte sie am 23. September ein Mini-Budget vorgestellt. Um die Folgen der Energiekrise zu finanzieren, werden weitere Schulden aufgenommen. In den kommenden sechs Monaten sollten die Maßnahmen mindestens 60 Milliarden Pfund (etwa 68 Milliarden Euro) kosten. Gleichzeitig aber wurde der höchste Steuersatz von 45 Prozent gekippt.

Das britische Pfund stürzte daraufhin in den Keller, Investoren flüchteten von der britischen Börse, britische Staatsanleihen verloren an Wert, und Kreditgeber nahmen über 1600 Produkte vom Markt oder passten bisherige Kredite den neuen Bedingungen an. Die Bank of England musste die britische Wirtschaft – und damit die Premierministerin – retten, indem sie für 65 Milliarden Pfund (74 Milliarden Euro) Staatsanleihen aufkaufte.

 

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Die gesamte Operation verunsicherte nicht nur die Bevölkerung und brachte nicht nur die Tories gegen die neue Regierungsriege auf. Die finanzpolitischen Maßnahmen führten zum Gegenteil davon, was Truss und Kwarteng versprochen hatten: Die Inflation wurde nicht eingefangen, sondern stieg. Bei Lebensmitteln liegt sie jetzt bei 10 Prozent. Truss sah sich gezwungen, zurückzurudern. Der höchste Steuersatz wird nun doch nicht gekippt. Zu großem Unmut führt auch die Tatsache, dass Truss zwar die Renten an die Inflation anpassen will, aber nicht die Beihilfen – ein klares Signal an ihre Wählerschaft. So fuhr Liz Truss zu ihrem ersten Parteitag nicht, um ihre Macht zu konsolidieren, sondern um ihren Kopf zu retten.

Truss vor Ablösung?

Die britischen Konservativen sind dafür bekannt, dass sie sich ihrer Chefs recht rücksichtslos entledigen, wenn diese Anzeichen der Schwäche zeigen. Hatte sich Liz Truss im Wahlkampf gerne so wie ihr großes Vorbild Margaret Thatcher gekleidet und sich auch inhaltlich als Eiserne Lady inszeniert, so wirkte sie in Birmingham eher wie die andere britische Premierministerin, die glücklose Theresa May. Diese scheiterte schnell an den Realitäten der britischen Politik und dem Brexit-Projekt, mit dem sich die politische Klasse des Vereinigten Königreichs seit nunmehr sechs Jahren abmüht.

Nicht nur die wirtschaftlichen Folgen von Truss’ Regierungspolitik im ersten Monat sind katastrophal. Auf ihrem eigenen Parteitag war sich niemand mehr sicher, ob sie die Tories noch in die nächsten Wahlen führen darf. Ohnehin war Truss ja nur von 81.326 Parteimitgliedern in einer Stichwahl gegen den ehemaligen Finanzminister Rishi Sunak gewählt worden. Ihre Legitimität war also schon vor ihrem ersten Katastrophenmonat sehr begrenzt. Vor allem war sie die Kandidatin der radikalen Brexit-Befürworter unter den Parteimitgliedern. Die Parlamentsfraktion tendierte zu moderateren Kandidaten.

Wie zum Beweis, dass der Brexit immer neue Opfer unter seinen Befürwortern fordert, sitzt nun auch Liz Truss, kaum im Amt, auf dem Schleudersitz. Die neuesten Umfragen sind verheerend. Laut Politico liegen die Konservativen 22 Prozentpunkte hinter der Labour-Partei. Oppositionschef Keir Starmer, ein moderater, trockener ehemaliger Staatsanwalt von England, gewinnt angesichts der chaotischen Tory-Politik an Sympathien.

Truss noch unbeliebter als Boris Johnson

Besonders schmerzhaft für Liz Truss: Das britische Umfrageinstitut YouGov hat ermittelt, dass nur noch 14 Prozent der Briten eine positive Meinung von der neuen Regierungschefin haben. Sie liegt in der Negativgunst noch 9 Prozentpunkte hinter der eigenen Partei. Schlimmer noch: Sie liegt mit minus 59 Prozent noch unter dem schlechtesten Wert ihres Vorgängers. Boris Johnson hatte mit minus 53 Prozent seinen Tiefstand erreicht. Das war Anfang Juli. Wenige Tage später trat der ehemalige Volksheld zurück.

Den Parteitag hat Liz Truss zwar nun überlebt, aber stabil ist weder ihre Position noch die der britischen Wirtschaft. Die Rating-Agentur Fitch senkte die Kreditbeurteilung der britischen Regierung am Mittwoch von „stabil“ auf „negativ“ ab.

Für Liz Truss ist die Reise nach Europa deshalb eine Chance, sich ihrem Volk als Staatschefin zu zeigen, die europäische Politik mitgestalten kann. Bisher hat sie sich zwar eher als Sprachrohr des antieuropäischen Flügels in ihrer Partei gezeigt. Sie hatte damit gedroht, das Nordirland-Protokoll, das im Scheidungsvertrag von der EU den Frieden in Nordirland garantieren sollte, einseitig außer Kraft zu setzen.

Angesichts der derzeitigen Krisen mit steigenden Energiepreisen und dem Krieg in der Ukraine könnte es selbst den harten Brexit-Fans angeraten sein, den Streit mit der EU über die Einfuhr von Würsten und ihre Verzollung nicht weiter eskalieren zu lassen.

Hoffnungen über eine Annäherung an die EU aber zerstreute Liz Truss schon vor ihrem Auftritt in Prag. Das scheint sie jenen, die sie gewählt haben, schuldig zu sein. In der Times schreibt sie: „Das heutige Treffen ist keine Alternative zur EU.“

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