USA und Nato - Warum Trump die Nato wohl nicht verlassen wird

Viele Europäer befürchten, im Fall einer neuen Trump-Präsidentschaft von den USA im Stich gelassen zu werden. Da lohnt es sich, eine Trump-Rede von 2017 wieder zu lesen.

Donald Trump beim Staatsbesuch in Warschau im Juli 2017 / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Shantanu Patni studiert Osteuropa-Studien an der Freien Universität Berlin. 

So erreichen Sie Shantanu Patni:

Anzeige

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA ist schon in vollem Gange, auch wenn die Wahl selbst erst im November stattfindet. Bereits im vorigen November hatte jedoch Trump Biden in den Umfragen deutlich überholt – und zwar in den umkämpften Bundesstaaten, auf die es letztendlich ankommt. Seither löst die Vorstellung, dass Trump für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus zurückkehren könnte, bei vielen Europäern „Panik und Fassungslosigkeit“ aus, wie die Tagesschau berichtet.

Es ist maßlos übertrieben, wenn Brüssel-Korrespondentin Helga Schmidt fragt, ob „der nukleare Schutzschirm der USA für Europa erhalten bleibt“ – und dann unterstellt, dass die „EU-Spitzen“ diese Frage „jetzt wohl ernstnehmen müssen“. Die Dramatik dieser Spekulation macht eines in jedem Fall deutlich: Den „EU-Spitzen“ scheint wohl sehr bewusst zu sein, dass sie in einem hypothetischen Krieg gegen Russland ohne die USA wenig ausrichten könnten. Für die „strategische Autonomie“ ist das natürlich ein Armutszeugnis. Aber ist die Besorgnis in Europa berechtigt?

Trumps wilde Aussagen

Laut EU-Kommissar Thierry Breton soll Trump in seiner Amtszeit auf dem Weltwirtschaftsforum 2020 zu Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt haben, dass die USA „niemals kommen werden, um Ihnen zu helfen und Sie zu unterstützen, wenn Europa angegriffen wird … Übrigens, die Nato ist tot“.  Mindestens seit einem Jahr behauptet der Ex-Präsident immer wieder, dass er den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden beenden würde, wenn er Präsident wäre. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich bisher zu den Auswirkungen einer möglichen Trump-Präsidentschaft auf den Kriegsverlauf nicht geäußert hat, griff das Thema auf dem Weltwirtschaftsforum in diesem Jahr endlich auf und bezeichnete die Rhetorik des Ex-US-Präsidenten, immerhin zurückhaltend, als „sehr gefährlich“.

Also ganz unbegründet ist die Angst der Europäer denn doch nicht. Jedoch kommt es gerade bei einer Persönlichkeit wie Trump darauf an, seine wilden Äußerungen sorgfältig einzuordnen – und nicht schlicht wörtlich zu interpretieren. Leider gelingt es den meisten Medienmachern immer noch nicht, einen differenzierten Blick auf Trump zu entwickeln und seine Äußerungen für die Öffentlichkeit nüchtern zu übersetzen, anstatt von einer Skandalisierung zur nächsten zu hüpfen.

Panik und Beruhigung

Thomson Reuters, eine der größten Presseagenturen der Welt, berichtet: „Donald Trump würde in einer zweiten Amtszeit wahrscheinlich Schlüsselpositionen im Pentagon, im Außenministerium und in der CIA mit Loyalisten besetzen ... Damit hätte er mehr Freiheit als in seiner ersten Amtszeit, isolationistische Politiken und Launen durchzusetzen.“ Dabei beruft sich Reuters auf „fast 20 aktuelle und ehemalige Berater und Diplomaten“. Aber glauben diese 20 ehemaligen Berater und Diplomaten tatsächlich, dass der amerikanische Rechtsstaat so schwach ist, dass eine solche Säuberungsaktion geräuschlos verlaufen wird? Vielmehr würden solche Versuche von Trump zu zahlreichen Gerichtsprozessen führen, während die Grundausrichtung der US-Außenpolitik weitgehend dieselbe bliebe.

„Kritiker befürchten, dass Trump das Ende des Krieges mit einer bedingungslosen Kapitulation vor den imperialistischen Interessen des Kreml erreichen will“, so die Frankfurter Rundschau, die sich ebenfalls fragt, „ob Europa weiterhin unter dem nuklearen Schutzschirm der USA stünde“. Die US-Botschafterin bei der Nato, Julianne Smith, gab in einem Interview mit Euronews zu bedenken, dass es etwas verfrüht sei, Schlüsse zu ziehen, was die mögliche Rückkehr von Präsident Trump für das Militärbündnis bedeuten würde. „Es gibt immer einen Unterschied zwischen dem, was die Kandidaten im Wahlkampf sagen, und dem, was sie tatsächlich tun, wenn sie eine Führungsrolle übernehmen“, so Smith. Zudem betonte sie, dass die große Mehrheit der amerikanischen Öffentlichkeit nachdrücklich hinter dem Militärbündnis steht.

Chancen und Risiken

Das gesamte Sicherheitsapparat der USA sowie führende Kongressmitglieder in beiden Parteien befürworten auch weitere Hilfen für die Ukraine. Mitte Dezember hatte der US-Kongress im Rahmen des jährlichen „National Defense Authorization Act“ eine Maßnahme verabschiedet, die verhindern soll, dass ein US-Präsident die Vereinigten Staaten ohne Zustimmung des Kongresses aus der Nato zurückziehen kann. Die parteiübergreifende Initiative zeigt, wie viel Wert die Mehrheit der Kongressmitglieder darauf legt, die Beziehung der USA zur Nato im Status quo zu halten.

 

Mehr zum Thema:

 

Gleichzeitig sollte man sich klarmachen: Ein amerikanischer Präsident kann ohnehin nicht dazu gezwungen werden, ein anderes Land mit der vollen Macht des US-Militärs zu verteidigen – nicht einmal vom Kongress. Auch der Artikel 5 des Nato-Vertrags (der „Bündnisfall“) verpflichtet einen Mitgliedstaat lediglich dazu, „die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt“ zu treffen, die er „für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten“. Ein Mitglied darf also letztendlich selbst entscheiden, wie es im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Verbündeten handeln will. „Anwendung von Waffengewalt“ ist eine Option, die ihm dabei zusteht. Und außerdem: Diese Bestimmung in Artikel 5 ist nur dann verbindlich, wenn die Mitglieder einstimmig entscheiden, die Verpflichtung geltend zu machen.

Trumps Wahlkampfpositionierung

Es gibt innenpolitische Gründe, warum Trump sich beim Thema Ukraine so positioniert. Die US-Unterstützung für die Ukraine ist symbolisch mit dem Migrationschaos an der Südgrenze der USA verbunden. Im Wahlkampf ist es nachvollziehbar, dass Trump diese Situation zu seinen Gunsten auszunutzen versucht. Also behauptet er, dass die Biden-Administration für die Sicherheit der Ukraine mehr unternimmt als für die Sicherheit der USA selbst. Gleichzeitig ist es mit seinem Prinzip „America First“ völlig in Einklang, die Europäer wie ein strenger Vater dazu zu ermahnen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Und weil er ein Interesse daran hat, dass die Krise an der Grenze bis zum Wahlabend ungelöst bleibt, werden die derzeitigen Verhandlungen im Kongress über die Ukraine-Hilfen nur schleppend vorankommen, wenn überhaupt. Der republikanische Fraktionsvorsitzende im Senat, Mitch McConnell, hat das so gut wie bestätigt. Das politische Kalkül hat sich aktualisiert, da Trump mit dem Thema Wahlkampf machen will. „Wir wollen nichts tun, um ihn zu untergraben“, so McConnell.

Die Rede in Warschau 2017

Für staatsmännische Auftritte ist Trump wohl nicht bekannt, doch die Rede, die er am 6. Juli 2017 in Warschau gehalten hat, kann als historisch gelten. Indem er von den zivilisatorischen Verbindungen zwischen den beiden Kontinenten spricht, bestätigt er, dass die Beziehung der USA zu Europa aus Sicht des Unternehmers eben nicht eine rein transaktionelle ist, wie man es sonst aus seinen Aussagen lesen mag.

„Unser eigener Kampf für den Westen beginnt nicht auf dem Schlachtfeld – er beginnt in unserem Geist, in unserem Willen und in unseren Seelen. Heute sind die Bande, die unsere Zivilisation vereinen, nicht weniger lebenswichtig und müssen nicht weniger verteidigt werden als das Stückchen Land, auf dem die Hoffnung Polens einst ganz ruhte. Unsere Freiheit, unsere Zivilisation und unser Überleben hängen von diesen Banden der Geschichte, der Kultur und der Erinnerung ab … So etwas wie unsere Gemeinschaft der Nationen hat die Welt noch nie gesehen.“

Die Europäer sollten sich im Klaren darüber sein, worin der Kern seiner Klage über das Militärbündnis besteht. Nämlich in dem Vorwurf, dass die anderen Mitglieder ihren fairen Beitrag nicht geleistet haben. Das ist ein legitimes Problem – nicht mehr und nicht weniger. Auch das bestreitet keiner. Dass Trump einen immer schärferen Ton anschlägt, um diese Botschaft herüberzubringen, liegt wohl daran, dass sie bei den Europäern nicht anzukommen scheint. Verzweifelt plädierte er in seiner Warschauer Rede dafür, dass Europa etwas selbstbewusster an die Sache herangeht.

„Worte sind leicht, aber es kommt auf die Taten an. Und zu seinem eigenen Schutz – und Sie wissen das, jeder weiß das, jeder muss das wissen – muss Europa mehr tun. Europa muss zeigen, dass es an seine Zukunft glaubt, indem es sein Geld investiert, um diese Zukunft zu sichern.“

Wenn die Dringlichkeit seiner Warschauer Rede den Europäern im Jahr 2017 nicht voll ins Bewusstsein gedrungen ist, dann sollten sie die folgende Schlüsselpassage unter den heutigen Voraussetzungen nochmals aufmerksam lesen:

„Wir müssen uns daran erinnern, dass unsere Verteidigung nicht nur ein Einsatz von Geld ist, sondern auch ein Einsatz des Willens. Denn wie uns die polnische Erfahrung lehrt, beruht die Verteidigung des Westens letztlich nicht nur auf den Mitteln, sondern auch auf dem Willen der Menschen, sich durchzusetzen und erfolgreich zu sein und das zu bekommen, was man haben muss. Die grundlegende Frage unserer Zeit ist, ob der Westen den Willen zum Überleben hat. Haben wir das Vertrauen in unsere Werte, um sie um jeden Preis zu verteidigen? Haben wir genug Respekt vor unseren Bürgern, um unsere Grenzen zu schützen? Haben wir den Wunsch und den Mut, unsere Zivilisation im Angesicht derer zu bewahren, die sie untergraben und zerstören wollen?“

Anzeige