Freispruch für Kyle Rittenhouse - Selbstverteidigung mit Sturmgewehr

Der junge US-Amerikaner Kyle Rittenhouse erschoss während gewaltsamer Unruhen zwei Menschen. Nun wurde er freigesprochen. Der Prozess hielt das Land in Atem.

Auf der Anklagebank: Kyle Rittenhouse während des Gerichtsprozesses / dpa
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Gregor Baszak ist freier Journalist und lebt in Chicago. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Makroskop und UnHerd.

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Kyle Rittenhouse ist in allen Anklagepunkten für unschuldig befunden worden. Der damals 17-jährige war im August 2020 nach Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin gereist, nachdem dort gewaltsame Unruhen ausgebrochen waren. Am 23. August hatte sich der Afroamerikaner Jacob Blake in Kenosha der Festnahme durch die Polizei widersetzt und wurde schließlich durch mehrere Schüsse in den Rücken schwer verletzt. Ein Zeuge filmte die Schüsse, der Rest ist Geschichte.

Noch in derselben Nacht brachen heftige Proteste aus, die für die nächsten Tage unkontrolliert wüteten und schwere Verwüstungen in der Innenstadt Kenoshas zur Folge hatten. Nach eigenen Aussagen sei Rittenhouse daran gelegen gewesen, die Anwohner der Kleinstadt vor den Folgen der Unruhen zu beschützen. Videos vom 25. August zeigen, wie er zuvor mehreren Demonstranten medizinische Hilfe angeboten hatte.

Staatsanwaltschaft warf ihm Mord vor

Doch zusätzlich zum Erste-Hilfe-Kästchen trug er ebenso ein Sturmgewehr des Typs AR-15 mit sich. Wenig später kam es zu einem Gerangel, bei dem Rittenhouse zwei Menschen erschoss und einen Dritten schwer verletzte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm daraufhin vorsätzlichen Mord vor.

Der Prozess hielt in den letzten drei Wochen die Vereinigten Staaten in Bann, auch weil er live im Internet mitzuverfolgen war. Die Schlussplädoyers wurden am vergangenen Montag gehalten. Die zwölf Geschworenen berieten daraufhin dreieinhalb Tage, weitaus länger als viele Beobachter erwartet hatten. Die Beweislage unterstützte eigentlich das Argument von Rittenhouse’ Anwälten, ihr Klient habe nur aus Selbstverteidigung heraus die Schüsse abgefeuert.

Tödliche Schüsse aus Notwehr

Mehrere unabhängige Journalisten waren während der Ausschreitungen zugegen und dokumentierten die Ereignisse per Handyvideos, die auch vor Gericht immer wieder abgespielt wurden. In allen Fällen sah es danach aus, als hätte Rittenhouse aus Notwehr gehandelt, nachdem er zunächst vom Demonstranten Joseph Rosenbaum attackiert und schließlich von einem wütenden Mob verfolgt wurde.

Dies gab sogar der 27-jährige Gaige Grosskreutz zu, der von Rittenhouse angeschossen wurde und die Konfrontation überlebte. Von dessen Anwälten konfrontiert, gestand Grosskreutz vor Gericht, Rittenhouse hätte erst geschossen, nachdem Grosskreutz selbst die Waffe gegen den Teenager erhoben hatte.

Joe Biden erklärte Rittenhouse zum Rechtsextremisten



Doch längst war der Fall zum Politikum geworden. Joe Biden, damals noch Präsidentschaftsbewerber, warf Rittenhouse auf Twitter vor, er sei ein „white supremacist“, also jemand, der an die Überlegenheit der „weißen Rasse“ glaube. Beweise für die Behauptung legte Bidens Team keine vor und auch vor Gericht wurden keine Belege vorgebracht, dass Rittenhouse ein Mitglied rechtsextremer Gruppierungen sei.

Die Ansicht wurde jedoch auch von den großen Techkonzernen geteilt. Facebook zum Beispiel brandmarkte Rittenhouse als „Massenmörder“ und löschte unter anderem sein privates Nutzerkonto und Posts, die ihn in Schutz nahmen. Die Spendenplattform GoFundMe wiederum verbot ihren Nutzern, Geld für Rittenhouse’ Verteidigung zu sammeln.

Wegen Unterstützungsspende gekündigt



Die nach eigenen Aussagen christlich orientierte Plattform GiveSendGo erlaubte jedoch weiterhin Spenden an Rittenhouse und wurde daraufhin Opfer einer Hackerattacke. Die gehackten Daten wurden an den Guardian weitergeleitet, der diese Informationen prompt in einem Artikel verbreitete. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass das Polizei-Department von Norfolk, Virginia, einem seiner Beamten kündigte, nachdem dieser laut Hack 25 Dollar an den Verteidigungsfonds für Rittenhouse gespendet hatte.

Auch während des Prozesses blieb der Medienrummel groß, zum Missfallen des Verhandlungsrichters Bruce Schroeder, der sich immer wieder TV-Kommentatoren vornahm, da diese seiner Ansicht nach Fehlinformationen verbreiteten.

In der Tat bissen sich viele der in den Medien erhobenen Vorwürfe anscheinend mit der Rechtslage. So erklärte zum Beispiel die Faktenchecker-Organisation Politifact, Rittenhouse sei illegal im Besitz des Sturmgewehres gewesen. Der Faktencheck entbehrte jedoch tatsächlicher Fakten, denn Schroeder wies den Anklagepunkt schnell ab, da laut Gesetzbuch in Wisconsin Gewehre einer bestimmten Länge legal von Minderjährigen getragen werden dürfen.

Prozess verlief wie ein Fernsehdrama

Schroeder selbst war während des Prozesses Urheber mehrerer Momente, die seither im Internet viral verbreitet wurden. Schwierig war das nicht, denn der Prozess ging mit wie für das Fernsehen gemachtem Drama einher. Das Verteidiungsteam berief schließlich sogar Rittenhouse selbst in den Zeugenstand, eine riskante Entscheidung, da es Staatsanwälten oft ein Leichtes ist, den Angeklagten unvorteilhafte Aussagen zu entlocken.

Der Staatsanwalt Thomas Binger war dieser Herausforderung jedoch nicht gewachsen und stolperte immer wieder während seines konfrontativen Kreuzverhörs. Als er schließlich Rittenhouse fragte, weshalb dieser nach seiner Festnahme keine Aussagen machte, unterbrach Schroeder das Verhör mit vollem Zorn. Angeklagte haben ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht auf Schweigen, was Binger wohlwissend in Frage stelle, so Schroeder.

Die USA sitzen wie auf einem Pulverfass

Dass der Prozess für die Staatsanwaltschaft in fast jedem Schritt unglücklich verlief, ist jedoch noch nicht vom linken Lager vernommen worden. Denn dort fand sich als Reaktion auf den Freispruch für Rittenhouse viel Empörung. Man sieht darin rassistische Absichten der zwölf Juroren. So tweetete die demokratische Kongressabgeordnete Cori Bush sofort, dass das „System nicht dazu geschaffen ist, white supremacists zur Verantwortung zu ziehen“. Sie sei verletzt und wütend aufgrund des Urteils.

Ob sich diese Wut wieder in gewaltsamen Ausschreitungen äußern wird ist noch unklar. Gewiss ist jedoch, dass die Vereinigten Staaten wie auf einem Pulverfass sitzen, denn alle zukünftigen Schüsse, die von Polizeibeamten auf schwarze Verdächtige abgegeben werden, könnten umgehend in weitere Ausschreitungen ausarten – wie jene, die die Innenstadt Kenoshas in Asche verwandelten und Kyle Rittenhouse auf die Anklagebank katapultierten.

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