USA-Besuch von Olaf Scholz - Der erste Ansprechpartner in der EU

Bundeskanzler Olaf Scholz unterhält sich heute bei seinem Washington-Besuch mit US-Präsident Joe Biden über die Ukraine. Doch was genau der Inhalt des Gesprächs ist, weiß niemand so recht.

Herr Scholz geht nach Washington: Olaf Scholz, damals noch Finanzminister, im Juli 2021 / dpa
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Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Jede Regierung, die in der Europäischen Union eine Führungsrolle wahrnehmen möchte, braucht einen sehr engen Kontakt zur amerikanischen Regierung. Denn gegenwärtig und auch noch für mindestens ein Jahrzehnt sind die EU-Staaten nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen und für Sicherheit und politische Stabilität in ihrem geographischen Umfeld zu sorgen. Sie sind hierfür aus eigenem Verschulden auf die USA angewiesen. Parallel haben die Disruptionen in den globalen Produktions- und Lieferketten sowie die größere Bedeutung von Resilienz bei der Produktion von strategischen Gütern in allen drei Zentren der Weltwirtschaft, also in den USA, China und der EU, Programme für den Aufbau heimischer Industrie ausgelöst. Die EU ist hier offensichtlich darauf angewiesen, sich mit den USA zu verständigen, dass aus dieser Politik kein weitreichender Protektionismus resultiert. Schließlich stehen die USA in Rivalität zu China um die Normen und Institutionen prägende Dominanz in den internationalen Beziehungen. Deshalb kommt der Abstimmung zwischen den USA und der vielstimmigen EU allergrößte politische Bedeutung zu. Die EU-Kommission kann diese Vereinbarungen nicht leisten, weshalb die Regierungen der großen EU-Staaten diese Aufgabe übernehmen müssen, wenn sie diese nicht wie die EU-Regierungen der letzten 30 Jahre vernachlässigen wollen.

Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, dass Deutschland eine solche Führungsrolle ausübt. Dieser Anspruch schien im letzten Jahr zu hoch gegriffen zu sein. Als zu mühsam erwies sich mehrfach der Schritt von der alten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in die Gegenwart der Zeitenwende. Ein Zeichen dafür war, dass Präsident Biden zwar schon zweimal in Polen war, aber die Flugstunde nach Berlin nicht in den Zeitplan passte. Der Antrittsbesuch von Olaf Scholz in Washington lag zeitlich vor dem Angriff Russlands und war noch von Fragen nach Nord Stream 2 geprägt.

Scholz soll bei der amerikanischen Regierung um einen Termin gebeten haben

Jetzt ist Bundeskanzler Scholz zu einem Besuch in den USA, der viele Fragen aufwirft, denn er reist alleine, ohne Journalisten, die seine internationale Bedeutung dem heimischen Publikum übermitteln könnten, und wird wohl auch keine gemeinsame Pressekonferenz mit dem amerikanischen Präsidenten halten. Elmar Theveßen berichtet, dass Biden Scholz eigentlich für die Woche vor Ostern einen Staatsbesuch angeboten hatte, mit allem Pipapo, das die Regierenden dabei umwehen soll. Scholz habe zugunsten eines raschen Gesprächs unter vier Augen dankend abgelehnt. Wenn es Scholz darum gegangen ist, noch größere Aufmerksamkeit (nur ohne die schönen Bilder) zu erregen, dann ist ihm dies gelungen.

 

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Denn die große Frage ist, was Scholz mit Biden besprechen möchte, was nicht per Videoschalte zu bewerkstelligen ist. Scholz habe, so wird es berichtet, bei der amerikanischen Regierung um einen Termin gebeten, um über die Gesamtlage, die verfolgte Strategie und die anvisierten Ziele zu reden. Dabei geht es wohl um Russlands Krieg in der Ukraine. Hier sucht Scholz aus gutem Grund stets die enge Abstimmung mit den USA. Damit aber hängen die anderen drängenden Fragen zusammen. Etwa die politische Führung der EU, die seitens der USA schon länger erwartet wurde (ausgenommen Trump). Als Partner in der Führung des Westens sah Präsident Bush (der Vater) Deutschland, doch war die Bundesregierung damals nicht bereit, diesen Schritt zu gehen. Danach hatte sie sich auf Krisen und nationale Wirtschaftsinteressen konzentriert, weshalb bis heute die Interessen der osteuropäischen Staaten in Berlin noch nicht ausreichend wahrgenommen werden. Daran aber haben die USA Interesse, denn hier entsteht die neue Abschreckung gegen Russland.

Dass der Bundeskanzler sagt, worum es ging, ist ausgeschlossen

Als Bidens Sicherheitsberater Sullivan letzte Woche nochmals aufrührte, dass es seitens der Bundesregierung ein Junktim zwischen der Lieferung von Leoparden und Abrams-Kampfpanzern an die Ukraine gab, war dies schon verwunderlich und regte zu allerlei Spekulationen an. Denn der Sprecher von Scholz hatte versichert, dass es dieses Junktim nicht gab. Der Dissens wird das amerikanisch-deutsche Verhältnis nicht belasten, so etwas wird aber auch sicher nicht mehr durchgedrückt. Soll auf diese Weise der Bundesregierung vermittelt werden, sie möge doch bitte aktiver in die Organisation der Unterstützung für die Ukraine eingreifen? Verbunden damit ist ein Thema, das seitens der USA jüngst öffentlich kommuniziert wurde: die Lieferung von Waffen aus China nach Russland (möglicherweise via Belarus). Das würde aus den USA eine deutliche Antwort provozieren, die weitere Sanktionen gegen China auslösen würde. Es ist kaum vorstellbar, dass die EU-Staaten diese Sanktionen nicht mittragen. So könnten Russlands Krieg in der Ukraine und sich leerende Waffenarsenale sowie der Wunsch nach chinesischen Waffen den Konflikt zwischen den beiden mächtigsten Staaten der Welt, den USA und China, erneut anfachen. Die Abstimmung mit der EU dürften die USA frühzeitig suchen.

Aber nicht nur der Handel mit China steht derzeit auf der Tagesordnung, sondern auch die Abwanderung von Industrieproduktion aus der EU in die USA. Der Inflation Reduction Act versetzt die amerikanische Regierung in die Lage, die Produktion von ökologisch verträglicheren Produkten kräftig zu subventionieren. Europäische Unternehmen wollen das nutzen, wodurch das ökonomische Gewicht der EU – seine einzige Machtressource – geschwächt würde. Es scheint plausibel, anzunehmen, dass die chinesische Politik dies haargenau beobachtet, um Differenzen in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen für sich zu nutzen. Der französische und der deutsche Wirtschaftsminister waren schon damit befasst, kehrten aber ohne greifbares Ergebnis aus den USA zurück. Inzwischen scheint die EU, zumindest was die Batterieproduktion angeht, einen brauchbaren Vorschlag aus Washington erhalten zu haben. Das wird die EU-Kommissionspräsidentin demnächst in den USA verhandeln.

Wenn Bundeskanzler Scholz angesichts dieser (und vieler weiterer) drängender Fragen die enge Abstimmung mit den USA sucht und bestrebt ist, für die USA der erste Ansprechpartner in der EU zu werden – denn Polen und Frankreich werden das aus unterschiedlichen Gründen nicht leisten können –, dann hat er gut entschieden, dem Pomp eines Staatsbesuchs den direkten Austausch vorzuziehen. Ob es so ist, werden die Entscheidungen und Handlungen der Bundesregierung in den nächsten Monaten erweisen. Denn dass der Bundeskanzler sagt, worum es ging, ist ausgeschlossen. Er soll zwar CNN nach dem Gespräch ein Interview geben, doch wird er wie stets mit vielen Worten wenig sagen. Alles andere wäre eine wirkliche Zeitenwende.

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