Flüchtlingskrise - Bitte nicht stören

Während sich die 500-Seelen-Gemeinde Upahl mit einem neuen Containerdorf für 400 Flüchtlinge abfinden muss, erhält Angela Merkel den Unesco-Friedenspreis für ihre „mutige“ Grenzöffnung im Jahr 2015. So geht Arbeitsteilung im besten Deutschland aller Zeiten.

Erst überrumpelt, dann beschimpft: Bürgerproteste in Upahl / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Theoretisch könnte man von Upahl mit dem Auto nach Yamoussoukro fahren, mit Zwischenstopp auf der Fähre, die einen über die Meerenge von Gibraltar bringt, und immer weiter gen Süden; fast bis runter zum Golf von Guinea. Google Maps sagt, von Upahl in Mecklenburg-Vorpommern bis Yamoussoukro, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, seien es exakt 8015 Kilometer.

Es sind aber nicht nur diese 8015 Kilometer, die am Mittwoch zwischen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Menschen in Upahl im Landkreis Nordwestmecklenburg liegen werden; nein, es werden Welten sein. Die Proteste hier und die Preisverleihung dort sagen nämlich viel aus über das Verhältnis der Spitzenpolitik zu den einfachen Menschen im Land, das in immer mehr Bereichen zu einem zu werden scheint, das sich vielleicht mit dem Begriff „Neo-Feudalismus“ beschreiben lässt.

Und der funktioniert so: Oben stehen die einen, die nach Gutsherrenart Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen für ein ganzes Land treffen respektive getroffen haben und sich dafür feiern lassen. Und unten, da stehen diejenigen, die das dann ausbaden müssen. Hilflos, machtlos, alleingelassen. 

Mittendrin in der nächsten Flüchtlingskrise

Es wäre eigentlich Sache der Bundesregierung unter Merkel gewesen und mittlerweile Sache der derzeitigen Bundesregierung unter Olaf Scholz, eine ordentliche Flüchtlingspolitik zu machen, um unter Kontrolle zu bringen, was seit 2015 nicht mehr unter Kontrolle ist. Eine, die den sozialen Frieden nicht gefährdet wie in Upahl; einer 500-Seelen-Gemeinde, wo jetzt ein Containerdorf für 400 Flüchtlinge errichtet wird. Eine, die nicht dazu führt, dass staatenlose Palästinenser fremde Menschen in Regionalzügen erstechen und rund 300.000 Personen nach wie vor im Land sind, die eigentlich ausreisepflichtig wären. Doch die Realität ist eine andere: Wir stecken schon wieder mittendrin in der nächsten Flüchtlingskrise. 
 

Das könnte Sie auch interessieren: 


Während also „Mutti Merkel“ am Mittwochabend in Yamoussoukro den Unesco-Friedenspreis verliehen bekommt für ihre „mutige Entscheidung“, wie es in der Begründung der Jury heißt, im Jahr 2015 mehr als 1,2 Millionen Migranten und Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen zu haben, ist in Deutschland schon wieder Land unter. Überall in der Bundesrepublik und ganz besonders in Upahl zerbricht man sich derzeit den Kopf darüber, welche „Zeitenwende“ (Olaf Scholz) einem da nun schon wieder droht und wie das eigentlich noch gehen soll mit dem „Wir schaffen das“ (Angela Merkel), ohne an einer Flasche zu rubbeln, deren Flaschengeist einem anschließend drei Wünsche erfüllt. 

„Willkommenskultur“ als Staatsräson

Um die gescheiterte Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik zu beobachten, gibt es viele Orte und Ecken, Plätze und Straßen in diesem Land. Es gibt etwa Flüchtlingsunterkünfte, wo insbesondere Männer aus dem afrikanischen Raum ohne Perspektive ihr Dasein fristen. Es gibt anerkannte Asylbewerber, die gerne in eine eigene Wohnung ziehen würden, aber keine finden. Und es gibt Upahl, das zum nächsten Symbol der gescheiterten Flüchtlingspolitik wird, weil Berlin schon wieder keine Antworten und Lösungen liefert. 

Ja, so viel zur Flüchtlingssituation 2023, die ein Déjà-vu ist der Jahre 2015/16, als in Politik und Medien die „Willkommenskultur“ zur neuen Staatsräson erklärt wurde; insbesondere von jenen, die dort wohnen, wo die Willkommenskultur etwas ist, das man eher theoretisch aus dem Fernsehen oder aus der eigenen Redaktion kennt, aber nicht aus der eigenen Nachbarschaft und bitte schon gar nicht vor der eigenen Haustüre.

Wissen Sie, auch ich kenne solche Leute, die in den Jahren 2015/16 erst „geradezu beseelt waren von der historischen Aufgabe“ (Giovanni di Lorenzo) und es dann plötzlich nicht mehr waren, als das nächste Flüchtlingsheim nebenan errichtet wurde. Und wenn Sie mich fragen, wäre es heute – da wir schon wieder diskutieren, was wir schon vor sieben Jahren diskutiert haben – nur fair, das nächste große Containerdorf direkt vor dem Bundeskanzleramt in Berlin zu errichten und wegen Upahl auch noch eines auf der Schweriner Schlossinsel, wo der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern residiert. 

„Tumultartige Szenen“

Aber zurück nach Upahl selbst. Es ist nämlich nicht nur so, dass man den 500 Bewohnern jetzt ein Containerdorf für 400 Flüchtlinge aufs Auge drückt, nein, wer sich dagegen wehrt, weil er begründete Befürchtungen hat ob der schieren Menge der bald Ankommenden in Relation zur Größe der Dorfgemeinschaft, der darf sich dann auch noch beschimpfen lassen als „Rassist“ und anderes. Einfach, weil auch der eine oder andere „Rassist und anderes“ gegen diese geplante Unterkunft auf die Straße geht und die Situation mal kurz zu eskalieren drohte bei der Verkündung des Containerdorf-Plans, als sich „tumultartige Szenen“ vor dem Kreistags-Gebäude in Grevesmühlen abspielten.

Am Anfang von Berichten über die Vorfälle waren dann so Sätze zu lesen wie „Bei von Rechtsextremen aufgeheizten Protesten wurde fast der Kreistag gestürmt“ und erst viel weiter unten „Nach Einschätzung der Polizei war der Großteil der Demonstranten in Grevesmühlen aus der bürgerlichen Mitte“ (ZDF). Und während irgendwelche Antifa-Accounts direkt alle Demonstranten in Upahl als „Nazis“ und „Rassisten“ bezeichneten (s. eingebundener Tweet), wurde anderswo mal wieder vor allem vor der großen Gefahr von rechts gewarnt, wie hier im RND, anstatt sich mit den berechtigen Sorgen der Upahler auseinanderzusetzen und mit der Frage, wie man eigentlich die Gefahr von rechts eindämmen will, ohne die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen.  

Ja, so läuft das mit dem Framing im „besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Frank-Walter Steinmeier), wenn die Bürger in Upahl nicht sofort „Hurra!“ rufen, wenn sie von der Politik plötzlich „Menschen geschenkt bekommen“ (Katrin Göring-Eckardt). Dabei ist die Wahrheit eine gänzlich andere: Es sind, bis auf ganz wenige Ausnahmen, keine Radikalen, keine Rechtsextremen, keine Reichsbürger, die dieses Vorhaben in Upahl nicht einfach hinnehmen wollen, sondern ganz normale Leute, die erkennen, was jeder Bürger mit halbwegs gesundem Menschenverstand erkennt: dass die Errichtung dieses Containerdorfes eine schlechte Idee ist. 

Es waren übrigens auch keine Radikalen, keine Rechtsextremen, keine Reichsbürger, die kürzlich einen Brandbrief an Olaf Scholz verfasst haben, weil sich „die Lage massiv verschärft wegen der Fluchtbewegungen“ in ihren Dörfern, Städten und Landkreisen. Und es ist auch nicht radikal, rechtsextrem oder reichsbürgerlich, festzustellen, dass eine überforderte Bundespolitik die Folgen ihres Handelns respektive Nicht-Handelns mal wieder nonchalant abwälzt auf normale Leute an normalen Orten, die einfach nur ihr normales Leben weiterführen wollen. So geht Arbeitsteilung im besten Deutschland aller Zeiten. 

Tschingderassabum und Häppchenbuffet

Die Upahler jedenfalls trafen sich wenige Tage nach den „tumultartigen Szenen“ in einer Turnhalle, als der für die Entscheidung zur Errichtung des Containerdorfes mitverantwortliche Landrat Tino Schomann (CDU) zur Bürgerversammlung geladen hatte. Nach übereinstimmenden Medienberichten ging es eher gesittet zu an diesem Abend. Und während an Upahler Gartenzäunen jetzt trotzdem Bettlaken mit der Botschaft „Upahl sagt nein“ hängen, darf Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwochabend garantiert auf einen herzlichen Empfang hoffen, vielleicht mit ein bisschen Tschingderassabum und einem Häppchenbuffet.

Laut Ankündigung soll auch der Vorsitzende der Afrikanischen Union, Macky Sall, unter den Gästen in Yamoussoukro sein, ebenso wie zahlreiche weitere Präsidenten afrikanischer Länder, die vor Ort live und in Farbe mitverfolgen werden, wie Angela Merkel den Unesco-Friedenspreis für ihre „mutige Entscheidung“ verliehen bekommt. Man darf annehmen, dass aus Upahl keine Gäste anreisen werden. Denn 8015 Kilometer sind erstens schon ein bisschen sehr weit für so ein Fest. Und zweitens würde die Lebensrealität der einen doch nur die Lebensrealität der anderen stören.

Anzeige