Untersuchungsausschuss zum „Sturm auf das Kapitol“ - Verschwörung gegen den Volkswillen

Frappierende Zeugenaussagen und neue Details: Nach monatelanger Arbeit im Stillen zeigt der Untersuchungsausschuss zum Angriff auf das US-Kapitol öffentlich, was er zusammengetragen hat - zur besten Sendezeit, vor den Augen der Nation. Kann das etwas bewirken?

„Wie im Krieg“: Beim sogenannten Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 kamen mehrere Menschen ums Leben, darunter auch ein Polizist / dpa
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Caroline Edwards fühlte sich am 6. Januar 2021 wie im Krieg. Es sei wie etwas gewesen, das sie zuvor nur in Filmen gesehen habe, sagt die Polizistin über jenen Tag, an dem ein gewalttätiger Mob das US-Kapitol in Washington erstürmte. „Da lagen Polizisten auf dem Boden. Sie bluteten, sie übergaben sich.“ Um sie herum taumelten Menschen, fielen zu Boden. „Ich rutschte im Blut der Leute aus. Es war ein Gemetzel. Es war Chaos.“ Nicht in ihren kühnsten Träumen habe sie sich vorstellen können, je in so einer „Schlacht“ zu landen, erzählt Edwards bei der ersten öffentlichen Anhörung des Untersuchungsausschusses im US-Kongress, der den beispiellosen Gewaltausbruch von damals aufarbeitet. Eine solche Aufarbeitung ist nötig, denn manche Experten halten die offizielle Version des Kapitolsturms für übertrieben und sehen dahinter politisches Kalkül.

Hunderte Zeugenbefragungen 

Das Gremium hat an diesem Donnerstagabend (Ortszeit) die Hauptsendezeit in den USA gewählt, um die ganze Nation daran zu erinnern, was an jenem Tag geschah, der das Land nachhaltig verändert hat. Die Sitzung folgt auf monatelange Aufklärungsarbeit mit Hunderten Zeugenbefragungen – alles bislang hinter verschlossenen Türen. Nun präsentiert der Ausschuss die Ergebnisse seiner Untersuchungen auf offener Bühne, übertragen zur Primetime auf mehreren Fernsehsendern. TV-Granden halfen bei der Choreografie.

Edwards ist eine von zwei Zeugen, die der Ausschuss an diesem Abend live erzählen lässt, mit der Absicht, die amerikanische Gesellschaft aufzurütteln. Die Polizistin wurde damals verletzt, erlitt eine Gehirnerschütterung, als sie vom wütenden Mob hinter einer Absperrung überrannt und zu Boden gedrückt wurde. Sie wurde ohnmächtig, rappelte sich aber wieder auf und machte weiter mit stundenlangem „Nahkampf“, wie sie es nennt. Edwards stand direkt neben jenem Polizisten, der später starb. Mehrere Menschen kamen bei der Attacke ums Leben.

Trump zur Verantwortung ziehen

Anhänger des damaligen Präsidenten Donald Trump erstürmten damals gewaltsam den Parlamentssitz. An jenem Tag war der Kongress zusammengekommen, um den Erfolg Joe Bidens bei der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Eigentlich eine Formalie. Doch Wahlverlierer Trump sah die Sitzung als letzte Chance, sich gegen seine Niederlage aufzulehnen. Seine über Monate wiederholt aufgestellte Behauptung des Wahlbetrugs fand hier ihren vorläufigen Höhepunkt.

Bei einer Rede wiegelte Trump seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren. Danach sah er vor dem Fernseher im Weißen Haus tatenlos zu, wie seine Unterstützer ins Kapitol eindrangen, Polizisten wie Edwards bis zur Erschöpfung kämpften und Parlamentarier unter Tischen kauernd um ihr Leben bangten. Ein eiliges Amtsenthebungsverfahren überstand Trump. Der Untersuchungsausschuss im Kongress ist ein weiterer Versuch, die brutale Attacke aufzuklären und Trump vor den Augen der Nation zur Verantwortung zu ziehen.

Bisher unveröffentlichtes Material

Das Gremium hat für seine erste Sitzung einiges zusammengetragen: Videos von damals, zum Teil unveröffentlichtes Material, wecken Erinnerungen. Vor allem aber zeigt der Ausschuss Video-Mitschnitte von Befragungen hochrangiger Personen aus Trumps Umfeld: Da wäre Ex-Justizminister William Barr, der Trumps Wahlbetrugsbehauptungen als „Schwachsinn“ („Bullshit“) verurteilt. Da wäre Trumps Tochter Ivanka, die Barrs Einschätzung zumindest „akzeptiert“. Und auch weitere Zeugen aus Trumps früherer Mannschaft äußern in knappen Clips Zweifel an dessen Narrativ, ihm sei die Wahl gestohlen worden.

Der Ausschuss präsentiert außerdem Erkenntnisse, wonach Trump wohlwollend auf Drohungen seiner Anhänger reagiert habe, seinen Vize Mike Pence zu hängen („Vielleicht haben unsere Anhänger die richtige Idee.“). Und: Pence, nicht Trump, sei derjenige gewesen, der am Ende beim Pentagon Unterstützung der Nationalgarde angefordert habe, um den Gewaltausbruch unter Kontrolle zu bringen.

Das Ziel: Beeinflussung der öffentlichen Meinung

All das wird präsentiert in fernsehtauglicher Länge von kompakten zwei Stunden - als Auftakt für weitere, längere Sitzungen in den kommenden Wochen. Ziel ist, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen und diejenigen wachzurütteln, für die der Angriff auf den Sitz der US-Demokratie schon wieder in den Hintergrund gerückt ist – und jene, die weiter eisern zu Trump stehen. Auch viele Republikaner, die sich unmittelbar nach der Attacke noch schockiert zeigten und zunächst auf Abstand zu Trump gingen, sind längst zur Tagesordnung übergegangen und wieder auf Trump-Kurs eingeschwenkt.

Die Führung der Republikaner im Repräsentantenhaus wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Nur zwei Trump-Kritiker aus ihren Reihen sitzen in dem Gremium. Eine von ihnen, Vize-Ausschusschefin Liz Cheney, redet ihrer Partei ins Gewissen: „Heute Abend sage ich meinen republikanischen Kollegen, die das Unentschuldbare verteidigen: Es wird der Tag kommen, an dem Donald Trump nicht mehr da ist, aber Ihre Schande wird bleiben.“

Schwere Vorwürfe gegen Trump: „Putschversuch“ 

Das Gremium erhebt schwere Vorwürfe gegen den Ex-Präsidenten. „Der 6. Januar war der Höhepunkt eines Putschversuches“, sagt der demokratische Ausschussvorsitzende Bennie Thompson. „Die Gewalt war kein Zufall.“ Es sei Trumps verzweifelter, letzter Versuch gewesen, die Machtübergabe an seinen Nachfolger zu verhindern.

Doch was kann der Ausschuss bewirken? Ob das Gremium jene umstimmt, die sich beim Amtsenthebungsverfahren gegen Trump nicht beeindrucken ließen, ist fraglich. Der Ausschuss steckt noch dazu in einem Wettlauf gegen die Zeit. Bei der Kongresswahl im November könnten die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren. Der Ausschuss muss seine Arbeit also bis dahin beenden.

Der Ausschussvorsitzende Thompson mahnt, die Bedrohung sei nicht vorüber: „Unsere Demokratie ist weiter in Gefahr.“ Die Verschwörung zur Aushebelung des Volkswillens sei noch nicht vorbei. dpa

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