
- Wir müssen den Amerikanern nicht die Demokratie erklären
Donald Trump ist fast weg. Seinem Nachfolger Joe Biden bietet Heiko Maas einen Marshallplan für die Demokratie an. Warum die Beweggründe des Außenministers zwar nicht falsch, aber ein solcher Vorschlag völlig unangemessen ist.
Bundesminister Maas schlägt den USA einen Marshallplan für Demokratie vor. Seine Analyse ist richtig. Der Vorschlag geht aber völlig fehl. Er zeugt von einer inzwischen lange geübten Überheblichkeit gegenüber den USA und einer vollständigen Überschätzung der Bedeutung Deutschlands. Aber Bundesminister Maas befindet sich da in Übereinstimmung mit anderen, die den gleichen Irrtümern folgen.
Den Grundton dazu setzte Bundeskanzlerin Merkel schon vor vier Jahren. Nachdem sie die große Bedeutung der USA für Deutschland herausgestellt hatte, schloss sie mit Blick auf die Zusammenarbeit mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Trump an: „Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an.“ Da liegt es nicht fern, den USA auch Demokratiehilfe anzubieten, falls in der amerikanischen Demokratie etwas „ruckelt“, wie die Bundesregierung dazu sagt.
Maas, der Retter
Dass die amerikanische Demokratie letzte Woche in Lebensgefahr war, wird niemand behaupten wollen. Doch Hilfe naht! Das hat nun Außenminister Maas übernommen, der sicher froh sein wird, in den letzten Monaten seiner Amtszeit vielleicht auch mal den neuen amerikanischen Außenminister treffen zu können. Außenminister Pompeo hatte ja seltener Zeit für den deutschen Außenminister.
Aber vielleicht war es ja auch umgekehrt, denn die deutsche Außenpolitik war in den letzten vier Jahren stets damit beschäftigt, die Ziele der amerikanischen Regierung zu konterkarieren. Das war eine gewagte Wette, denn sie setzte darauf, dass Präsident Trump nur eine Amtszeit erhält. So widersetzte sich die deutsche Außenpolitik der amerikanischen Iranpolitik, der amerikanischen Israelpolitik, akzeptierte, dass die EU im Mittleren Osten und Zentralasien keine Rolle mehr spielt, die Konflikte mit der Türkei eskalierten und in der Klima- und Handelspolitik sowie in den Beziehungen zu China wurden die strikten Gegensätze schön herausgearbeitet. Und Nord Stream 2 war ein rein wirtschaftliches Projekt.
Deutschland weiß es schon lange am besten
Welche Differenzen sich mit der Administration Biden mildern lassen, ist noch nicht abzusehen. Das ambitionierteste Projekt war die „Allianz für den Multilateralismus“, die – um es ironisch zu wenden – dann vor kurzem mit dem Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und China gekrönt wurde, obwohl Bidens Emissäre in Brüssel heftig davor warnten. Die Differenz in der Sache war stets von dem Selbstbild begleitet, dass der weitsichtigen deutschen und europäischen Position die engstirnige der USA das Wasser der tiefen politischen Einsicht nicht reichen kann.
So ist es nicht überraschend, dass dies jetzt im Angebot gipfelt, den USA bei der Rettung ihrer Demokratie zu helfen. Das ist nicht neu, sondern stammt zuletzt aus den Zeiten des Irakkriegs, als sich Deutschland endlich zur moralischen Supermacht aufschwingen konnte. Europa sei, so schrieb es damals Harald Müller, Erbe der Wilson’schen Politik, die Welt sicher für die Demokratie zu machen, während Bush „sich anschickt, die imperialen Illusionen des 1900 Jahrhunderts auszuleben.“ Das ist zwar ziemlicher Unsinn, aber auch der ist denk- und stilbildend, wenn er nur fest genug in das mentale Sozialisationsgerüst bürokratischer Karrierewege eingezogen wurde.
Demokratien müssen sich tatsächlich verteidigen
Nun geht es nicht mehr allein darum, den USA zu zeigen, wie man richtige liberale Weltpolitik anlegt, sondern auch, wie man die Demokratie vor ihren Feinden schützt. „Wir sind bereit“, so Maas zur deutschen Presseagentur, “mit den USA an einem gemeinsamen Marshallplan für die Demokratie zu arbeiten.“ Dabei hat Bundeminister Maas mit zwei Einschätzungen völlig Recht. Erstens sind die Demokratien in den USA und Europa aufeinander angewiesen, sie werden, wenn ich seine Aussagen hier nicht zu weit interpretiere, nur gemeinsam ihre demokratischen Lebensformen gegen andere Interessen bewahren können. Das stimmt. Wenn das der Ausgangspunkt außenpolitischer Konzeptbildung im Auswärtigen Amt ist, gelangt man hin und wieder zu anderen Schlussfolgerungen als die Bundesregierung.
Und zweitens erkennt Bundesminister Maas ganz richtig, dass die eigentliche Bedrohung der demokratischen Ordnung derzeit aus den inneren Spaltungen der westlichen Gesellschaften resultiert – besonders sichtbar in den USA, aber mit ersten wahrnehmbaren Anklängen auch in Europa. Die Erfahrungen mit politisch motivierter Gewalt jenseits der terroristischen Gefahren nahmen in den letzten Jahren zu. Aber ist es sinnvoll, für eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet den Begriff des Marshallplans zu benutzen? Oder anders gefragt: Was sagt uns das über das dahinterstehende Denken?
Das Bild des Marshallplans
Der Marshallplan war kein multilateraler, auf Augenhöhe gemeinsam konzipierter und in gegenseitigem Verständnis und Respekt aufgelegter Prozess. Vielmehr war er ein außenpolitisches Instrument der USA, den europäischen Staaten – sicher unter Aufzeigen der möglichen Vorteile – zu sagen, wo es langgeht. Der Marshallplan war eine völlig einseitige Entscheidung.
Deshalb wird ja beispielsweise auch am Marshallplan für Afrika, den Bundesminister Müller in die Diskussion brachte, gerade diese semi-koloniale Güte kritisiert: Er fokussiere sich alleine auf deutsche Interessen. Nur nebenbei: Anders als der Marshallplan der USA für Europa ist der deutsche Marshallplan für Afrika finanziell nicht unterlegt. Aber das sind lästige Details.
Was soll der Plan beinhalten?
Zum Bild des Marshallplans passt, dass Bundesminister Maas davon spricht, der künftige Präsident Biden müsse die Trümmer der Politik von Präsident Trump in Inneren und Äußeren beseitigen. Damit habe er alle Hände voll zu tun. Die Bilder passen zusammen: Die amerikanische Demokratie liegt in Trümmern und die deutsche Politik bietet einen Marshallplan an. Aus was soll er denn bestehen? Milliarden für die politische Bildung? Subventionen für den öffentlichen TV-Sender? Bessere Polizeiausrüstung? Man mag nur hoffen, dass dies im Ausland nicht laut gehört wird.
Denn bei aller richtigen Analyse von Bundesminister Maas geht seine Schlussfolgerung fehl. Soll Frankreich, das verschiedene Formen politischer Gewalt erfuhr, eigentlich auch vom deutschen Marshallplan profitieren? Die USA brauchen zur Re-Stabilisierung ihrer Demokratie keine prahlerischen Ankündigungen aus dem Ausland, denen am Ende sowieso keine Handlungen folgen. Klüger wäre es gewesen, schon in den letzten Jahren, in denen die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft politisch folgenreich war, und sie für die EU ein Problem darstellte, leise in die amerikanischen Diskussionen einzugreifen und dabei zu helfen, Brücken zwischen den inzwischen verfeindeten Lagern in den USA zu bauen. Aber das kündet niemand an, der es wirklich umsetzen möchte.
Echte Arbeit ist unspektakulär
Und die Mittel dafür sind unspektakulär: Austausch von Wissenschaftlern und Journalisten; gute Beispiele für kontroverse, aber entgegenkommende Diskussionen; die Suche nach gemeinsamen Überzeugungen. Halt Graswurzelarbeit. Die politischen Spaltungen demokratischer Gesellschaften, die Ausbildung von medialen Echokammern, die das eigene Weltbild in Beton gießen und unter den Gläubigen keine kritische Debatte mehr zulassen und die Versuche von Politikern, auf dieser Spaltung aufbauend ihre eigenen Karriereinteressen zu verfolgen und ihr Streben nach Machtsuche zu befriedigen, gehören zu den größten Gefahren demokratischer Ordnung derzeit.
Dies offenzulegen – und zwar nicht nur für die Anderen – würde der Debatte auch in Deutschland gut tun. Den USA hingegen einen Marshallplan zur Rettung der Demokratie anzubieten ist unangemessen. Das reflektiert weder die politischen Größenverhältnisse noch die historischen Erfahrungen. Wie wäre die Resonanz wohl ausgefallen, wenn Bundesminister Maas dieses Angebot Polen eröffnet hätte? Aber da liegt er wieder ganz auf der Linie der Bundeskanzlerin. Die knüpfte die Kooperation mit den USA ja auch an Bedingungen, die von EU-Staaten nicht erfüllt werden. Und da ist es dann halt egal.