UN-Klimakonferenz in Glasgow - „Die Positionen von Fridays for Future sind manchmal ein bisschen kindisch“

In Glasgow findet ab Sonntag die UN-Klimakonferenz statt. Der Klimaforscher Hans von Storch plädiert in dem Zusammenhang für einen neuen Pragmatismus in der Klimadebatte und eine verstärkte Diskussion über eine gesellschaftliche Anpassung an Extremwetterereignisse. Für von Storch sind die eigentlichen Helden der Klimapolitik nicht Aktivisten, die überall Emissionen einsparen wollen, sondern Ingenieure, die die nötige Technologie dafür entwickeln.

Aktivisten demonstrieren in Glasgow anlässlich der UN-Klimakonferenz / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Hans von Storch ist ein deutscher Klimaforscher. Der ehemalige Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht war Professor an der Uni Hamburg und an der Ocean University of China und vorher am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt das Verhältnis von Klima und Gesellschaft. In einem Essay für Cicero beschäftigte sich von Storch im Juni 2019 mit der Frage: Wie viel Klima macht der Mensch?

Herr von Storch, ab Sonntag geht es in der UN-Klimakonferenz wieder darum, das Weltklima zu retten. Wo sehen Sie denn, mal ganz allgemein, Sinn und Unsinn dieser oder ähnlicher Großveranstaltungen zum Thema?

Da das Klimaproblem nur global gelöst werden kann, ist es schon vernünftig, dass man sich global versammelt. Es geht ja um 40 Gigatonnen CO₂ pro Jahr, die auf null kommen müssen. Das zweite Thema ist, dass wir erwarten, dass sich der Klimawandel weiter entfaltet und damit auch die Folgen des Klimawandels deutlicher werden. Da ist eine Anpassung erforderlich. Gerade in Ländern der Südhalbkugel kann man sehr weitgehend sagen, dass deren Beitrag zum Klimawandel gering ist. Insofern sind die Verschärfungen der Klimarisiken für diese Länder unverschuldet. Daher muss man sich auch Gedanken darüber machen, wie man damit global umgeht. Ob nun das ganze Theater, das da bei der UN-Klimakonferenz gemacht wird – mit all den NGOs und mehr – sein muss, das ist eine andere Kiste.

Ein Vorwurf lautet, die UN-Klimakonferenz sei vor allem ein Marketing-Event, auf dem sich die Länder besonders klimasensibel inszenieren können, aber wenn die Konferenz vorbei ist, bleibt nicht viel davon übrig.

Dass die UN-Klimakonferenz mehr bringen könnte, würde ich gar nicht bezweifeln. Was den Abbau der 40 Gigatonnen betrifft, ist man noch nicht sehr weit gekommen. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass der Anstieg der CO₂-Emissionen zumindest etwas langsamer geworden ist. Das ist besser als nichts.

Wenn wir auf dieses Jahr 2021 schauen: Wir hatten das Hochwasser in Deutschland, die Hitzewelle in Griechenland und andere Extremwetterereignisse wie Stürme und Dürren. Wären Sie so freundlich, für uns einzuordnen, inwieweit diese direkt mit dem Klimawandel in Verbindung stehen? Im Bundestagswahlkampf war gerade das Hochwasser ja ein großes Thema.

Da ist tatsächlich eine Desinformation am Laufen. Auch früher hat es immer wieder Extremwetterereignisse gegeben, auch seltene. Und seltene Ereignisse haben eben die natürliche Eigenschaft, selten zu sein. Wir wissen etwa, dass es im Ahrtal um 1804 und 1910 bereits massive Ereignisse gab, auf die man bei der Entwicklung des Gebiets aber offenbar keine Rücksicht genommen hat. Da lag der Schwerpunkt auf der wirtschaftlichen Entwicklung. Das kann ich verstehen, allerdings darf man sich hinterher nicht wundern, wenn die Schäden entsprechend groß ausfallen.

Verantwortliche Politiker verwiesen aber sehr wohl auf den Klimawandel.

Allzu oft wird die mangelnde Vorsorge für solche Ereignisse, die es immer schon gegeben hat, damit entschuldigt, dass dies vom Klimawandel käme und man die Ausmaße eines solchen Ereignisses deshalb nicht hätte ahnen können. Das ist ein Versuch, sich selbst zu entschuldigen für mangelnde Vorsorge vor Ort. Dass auf der anderen Seite insbesondere Hitzewellen stärker werden ist eindeutig klar. Ebenso, dass wir eine Neigung haben, dass Starkniederschläge auch stärker werden. Bei unseren heimischen Stürmen haben wir dagegen kein klares Signal, dass sich hier infolge des Klimawandels eine Veränderung hin zu stärkeren Stürmen mit höheren Windgeschwindigkeiten beobachten lässt.

Müsste man – auch in Glasgow – also mehr darüber sprechen, wie mit dem Klimawandel und seinen beobachtbaren Folgen umzugehen ist? Und vielleicht weniger darüber wie er sich stoppen lässt?

Ausschließlich über die Vermeidung von Emissionen zu reden, macht sicherlich keinen Sinn. In der deutschen Debatte wurde ja suggeriert: „Wenn wir eine bessere grüne Politik in Deutschland machen würden, würde so etwas wie im Ahrtal nicht geschehen.“ Das ist einfach falsch. Natürlich wird so etwas wieder geschehen. Und wir können derlei Ereignisse vielleicht ein klein bisschen weniger gravierend machen, aber eben nur ein kleines bisschen. Die Anpassungen an die bisherigen Klimarisiken und die verschärften Klimarisiken ist eine laufende Aufgabe, die im politischen Diskurs aber nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie kriegen sollte. Wenn man auf diesen Punkt hinweist, was ich schon seit über 20 Jahren tue, wird üblicherweise gesagt, dass dies eine Verharmlosung des Klimawandels sei oder gar suggerieren würde, man bräuchte gar keine Minderung der Emissionen, sondern man müsse sich nur anpassen. Das ist üble Nachrede, die zeigt, dass man das Thema Anpassung nicht so ernst nimmt, wie man es nehmen sollte.

Man könnte das Argument ja auch umdrehen und sagen: Wer nicht über Anpassung spricht, verharmlost die Folgen des Klimawandels, oder? 

Ich rede aber nicht nur über die Klimafolgen, sondern auch die Klimarisiken, die es so oder so schon immer gab. Das Beispiel Ahrtal zeigt das gut: Dass die Starkniederschläge zur Katastrophe wurden, lag nur zum Teil an den Niederschlägen selbst, sondern insbesondere auch daran, wohin das Wasser fiel und wie es sich seinen Weg zur Nordsee suchte.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich deutlich für eine Art Renaissance der Atomenergie ausgesprochen. Was halten Sie davon?

Wenn man beschlossen hat, dass das Klimaproblem das größte Problem ist, dem wir gegenüberstehen, geht es um jedes Gramm emittierte CO₂. Da muss man sich dann schon fragen, warum wir die Möglichkeit der Atomenergie in Deutschland nicht nutzen wollen. Entweder ist die Kernenergie in der Wahrnehmung der Menschen hierzulande noch viel schlimmer als der Klimawandel – oder wir führen über die Kernenergie eine irrationale Debatte. Inzwischen sind technologische Entwicklungen in Zusammenhang mit der Kernenergie entstanden, die auch Deutschland neu bewerten sollte. Der Rest der Welt wird das sehr wohl tun.

Wo sehen Sie in dem Zusammenhang noch Themen, bei denen wir einen neuen Rationalismus bräuchten, und die zum Beispiel an Orten wie Glasgow stärker diskutiert werden könnten?

Einerseits ist es die Anpassung, über die wir bereits gesprochen haben, die das Schmuddelkind in dieser Debatte ist. In den Amtsstuben, beispielsweise beim Küstenschutz, geht man schon sehr vernünftig mit dem Thema um. In der Öffentlichkeit geht es aber fast nur um symbolische Akte, nicht um die Wirksamkeit von Maßnahmen. Wieviel Sinn macht es denn zum Beispiel, das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg, ein sehr modernes Kohlekraftwerk, abzuschalten, während man als Alternative auch hätte versuchen können, sehr stark emittierende Kohlekraftwerke, sagen wir, in Südafrika, zu ersetzen? Da spielen dann wohl psychologische Effekte mit hinein, dass man glaubt, den Luxus zu haben, eine weniger effiziente Maßnahme in Hamburg zu machen, statt eine effiziente Maßnahme in Südafrika etwa. Das ist ärgerlich.

Was noch?

Die permanenten Verhinderungen von Modernisierungsmaßnahmen, die bei der Dekarbonisierung helfen würden. Denken Sie etwa an den Umweltschützer-Protest gegen den Tunnel durch den Fehmarnbelt.

Ein im Bau befindlicher Straßen- und Eisenbahntunnel unter der Ostsee, der die deutsche Insel Fehmarn und die dänische Insel Lolland verbindet.

Oder die Bahnverbindung von Hamburg nach Süden, wo es immer wieder Gruppen gibt, die mit dem Hinweis auf den Klimawandel behaupten, das könne man nicht machen. Man muss als Bürger irgendwann auch mal bereit sein, zu verzichten. Und damit meine ich nicht auf Plastiktrinkhalme, sondern auf das Floriansprinzip. Wenn eine Gesellschaft so großes Interesse daran hat, den Klimawandel einzuschränken, muss sie auch akzeptieren, dass es ab und zu mal Gepolter durch Güterzüge gibt.

Ein Punkt, der in Glasgow voraussichtlich diskutiert wird, ist das Thema zwischenstaatliche Kompensation von CO₂ und anderen Treibhausgasen. Die Idee ist, dass sich Länder gegenseitig CO₂-Gutschriften abkaufen können, etwa durch Windparks oder Aufforstung. Was halten Sie davon?

Zu der konkreten Thematik kann ich nicht viel sagen. Aber: Warum greifen wir nicht erst nach den „Low Hanging Fruits“? Also ernten erstmal jene Früchte, die weiter unten hängen. Und davon gibt es noch sehr viele. Dass wir gleichzeitig Anreize für weniger entwickelnde Länder schaffen, damit zum Beispiel die Luftqualität in Südafrika besser wird, das kann ich aber natürlich nur unterstützen.

In Deutschland wird gerne davon gesprochen, dass man mit gutem Beispiel vorangehen wolle. Sozusagen als Vorbild für andere Industrieländer. Dabei sprechen doch fast sämtliche Statistiken dagegen, dass sich andere Länder in ihrer Klimapolitik groß an Deutschland orientieren würden. Wäre es nicht an der Zeit, diese Hybris über Bord zu werfen?

Deutschland kann hier durchaus Vorbild sein, aber nicht für Sparleistung, also darin, weniger CO₂ zu emittieren, sondern darin, Technologien zu entwickeln, mit denen das Einsparen von On-man-Emissionen wirtschaftlich wird. Das wird in der Öffentlichkeit aber nicht so gesehen. Da wird so getan, als ob die deutsche Sparleistung, die ohnehin nur maximal eine Gigatonne CO₂-Emission pro Jahr sein kann, die eigentliche Leistung wäre. Dabei ist Deutschland ein Hochtechnologieland.

Das heißt?

Die eigentlichen Helden der Klimapolitik sind nicht die jungen Menschen, die verlangen, dass die Emissionen an dieser und jener Ecke Deutschlands eingespart werden. Die eigentlichen Helden der Klimapolitik sind die Ingenieure, die Technologien entwickeln, die es wirtschaftlich erlauben, solche Sachen zu machen.

Klimaforscher Hans von Storch / J. Xu

Fridays for Future würde jetzt sagen: Das Problem ist allerdings, dass der Kapitalismus dazu führt, dass die Unternehmen zu sehr auf Profit aus sind und der Wille daher zu gering, sich hier zu engagieren.

Dass Fridays-for-Future-Positionen manchmal ein bisschen kindisch sind, muss man, glaube ich, nicht unnötig betonen.

Mit Angela Merkel verlässt eine der mächtigsten Politikerinnen der jüngeren Geschichte das politische Parkett. Wie haben Sie die Rolle der Kanzlerin in der Klimafrage wahrgenommen?

Ich habe Frau Merkel immer nur als opportunistisch erlebt; dass sie kurzfristig reagierte und versuchte, eine gute Figur zu machen. Dabei hätte gerade sie als Physikerin doch zu einer konsequenteren Klimapolitik fähig sein sollen. Etwa, was Technologienentwicklung, Technologieexporte und anderes betrifft. Die Menschen in Shanghai zum Beispiel fangen nicht an, weniger zu emittieren, wenn sie damit die Welt retten können. Sie fangen damit an, wenn sie ihr Leben dadurch angenehmer gestalten können. Wenn wir den Klimawandel reduzieren wollen auf 1,5 bis zwei Grad, dann müssen wir diese Reduktionsleistung global hinkriegen. Dafür braucht es Innovationen, die wirtschaftlich attraktiv sein müssen.

Aus der Klimabewegung heißt es aktuell, Glasgow sei die letzte Chance, den Turnaround im Klimawandel zu schaffen.

Das war schon immer so. Hören Sie sich doch nur die Begleitmusik von Kopenhagen im Jahr 2009 an. Auch da hieß es schon: „Letzte Ausfahrt Kopenhagen“. Die Klimabewegung müsste die Frage der Nachhaltigkeit auch mal für sich selbst stellen; dass man zu Aussagen kommt, die man auch durchhalten kann, und nicht bei jeder Gelegenheit zu wiederholen, das sei das letzte Mal.

Weniger Panikmache täte der Debatte also gut?

Panik nutzt da so oder so nichts. Die Aussage von Greta Thunberg, die Menschen sollten in Panik verfallen, fand ich – um es freundlich zu formulieren – gänzlich unpassend.

Um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, müsste alleine China bis 2030 mindestens 3,5 Milliarden Tonnen CO₂ einsparen. Auch anderes deutet derzeit nicht darauf hin, dass wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen werden. Wäre die kommende UN-Klimakonferenz nicht ein guter Anlass, um der Bevölkerung einfach mal zu sagen: „Es tut uns leid, aber wir werden unsere ambitionierten Klimaziele nicht erreichen – und nun lasst uns neu über realistische Ziele verhandeln?“

Ich will nicht sagen, dass es unmöglich ist, diese Ziele zu erreichen. Es ist möglich, wenn man auf technologische Entwicklungen setzt. Aber parallel dazu muss man auch daran denken, dass die Verletzlichkeiten von Gesellschaften gemindert werden müssen. Das ist zwar nicht sexy, weil es als eine Art Reparaturmodus für Katastrophen gesehen wird. Glasgow könnte aber dabei helfen, indem man dort auch darüber spricht und dann einen Fahrplan entwickelt, wie wir mithilfe von Technologien Schritt für Schritt unsere Ziele erreichen können.

Die Fragen stellte Ben Krischke.

 

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