Atomkraft in Taiwan - Der Ausstieg aus dem Ausstieg?

Taiwan will bis 2025 aus der Atomkraft aussteigen. Aber gestiegene Energiepreise, die Stärkung der Exportwirtschaft und sicherheitspolitische Erwägungen gegenüber Festlandchina haben die Debatte neu entfacht. Sogar der mögliche Bau von Atomwaffen spielt darin eine Rolle.

Nach Fukushima entstand auch in Taiwan eine Anti-AKW-Bewegung / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

So erreichen Sie Felix Lill:

Anzeige

Ihren Plan möge die Präsidentin doch bitte überdenken, forderte Paul Hsu Ende Februar erneut. Dem Vorsitzenden der Allgemeinen Handelskammer von Taiwan ist die Sache äußerst ernst. Als er diese Tage mit dem Regierungsoberhaupt seines Landes zusammentraf, hatte er Verstärkung mitgebracht. Hohe Vertreter der acht größten nationalen Industrieverbände redeten auf Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen ein, alle mit der Forderung: Taiwan solle unbedingt an der Atomkraft festhalten.

Auf der 24-Millionen-Insel südöstlich des chinesischen Festlandes ist es eines der großen Themen der vergangenen Monate. Muss die Regierung zumindest einen teilweisen Ausstieg vom Atomausstieg wagen, zu dem sich auch andere Staaten in jüngster Vergangenheit durchgerungen haben? Ende 2022 beschloss Deutschland die Laufzeitverlängerung noch bestehender Kraftwerke. Mitte letzten Jahres hatte Südkoreas Regierung entschieden, den Ausstieg der Vorgängerregierung rückgängig zu machen. Zuletzt leitete auch Japan einen verstärkten Wiedereinstieg ein. Und Taiwan?

Fukushima brachte die Kernenergie in Verruf

Die linksliberale Regierung um die seit 2016 amtierende Tsai Ing-wen will eigentlich aus der Atomkraft raus. Bis 2025 soll der Ausstieg aus der Kernenergie, die derzeit noch rund acht Prozent des nationalen Stromverbrauchs ausmacht, vollbracht sein. Insbesondere seit der Atomkatastrophe 2011 im japanischen Fukushima, wo nach mehreren Kernschmelzen ganze Orte unbewohnbar wurden, geriet die Kernenergie auch in Taiwan in Verruf.

Die Atomkraft ist denn nicht nur von der auch anderswo ungelösten Frage begleitet, wie mit dem radioaktiven Atommüll umgegangen werden soll. Hinzu kommt die im Fukushima-Desaster erneut offenbar gewordene Unfallgefahr, die zu enormen Schäden führen kann. Für Taiwan, wo ebenfalls Erdbebenrisiko besteht, gilt dies besonders. Die Befürworter der Atomkraft betonen dagegen: Dem eng bevölkerten Taiwan fehlten für einen deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien die nötigen Landflächen. 

 

Mehr zum Thema:

 

Um nachhaltiger zu werden, müsse Taiwan statt der Atomkraft eher den Anteil von rund 82 Prozent, den fossile Brennstoffe am Energiemix ausmachen, stark reduzieren. Zumal durch die Insellage Taiwans und die komplizierte geopolitische Situation, in der das Land steckt, auch allzu große Flüssiggasimporte per Schiff mit Risiken einhergingen. Und seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs betonen die Befürworter der Atomkraft ein weiteres Argument: Mit ihr könnten die im vergangenen Jahr abrupt gestiegenen Energiepreise günstiger gehalten werden.

Gerade die taiwanische Wirtschaft benötigt günstige Energie besonders dringend. Einerseits sind Schlüsselbranchen wie die Halbleiterindustrie, wo Unternehmen aus Taiwan zu den Weltmarktführern gehören, äußerst energieintensiv. Andererseits leidet der für das Land wichtige Exportsektor derzeit unter schwacher weltweiter Nachfrage – die bei höheren Preisen noch weiter zu schwächeln droht. 

Die Friedenszeiten sind vorbei

So fordern dieser Tage nicht nur Wirtschaftsvertreter und die konservative Opposition, dass der Atomausstieg zumindest aufgeschoben werde. Auch Mitglieder aus der Demokratischen Fortschrittspartei haben über die vergangenen Monate diese Forderung an die Präsidentin gerichtet. Schließlich stamme der Plan des Atomausstiegs bis 2025 aus Friedenszeiten. Die heutige Realität aber sei eine neue.

In Taiwan beziehen sich solche Bemerkungen nicht nur auf den Angriffs Russlands auf die Ukraine, wodurch es eben zu weltweit steigenden Energiepreisen kam. Es geht auch um Taiwan selbst: Das von Peking aus regierte Festlandchina betrachtet die autonom und demokratisch regierte Insel als Teil ihres eigenen Territoriums und kündigt regelmäßig die „Wiedervereinigung“  mit Taiwan an, notfalls unter Zwang. Regelmäßig dringen chinesische Kampfflugzeuge in den taiwanischen Luftraum ein, chinesische Schiffe patrouillieren vor Taiwans Küste

Taiwan als künftige Atommacht?

So erregte im vergangenen Jahr ein Argument für Atomkraft besonderes Aufsehen, bei dem es weniger um wirtschaftliche als um militärische Überlegungen ging: Da die USA ihre Unterstützung Taiwans im Falle eines Angriffs durch China bisher nur angedeutet, nicht aber zugesichert haben, müsse Taiwan für sich selbst sorgen, schrieb Chen Shih-min, Politikprofessor der National Taiwan Unversity, in einem Leitartikel in der Taipei Times. „Stimmen, die Taiwan zu einer Atommacht machen wollen, sind kein Wunder“, schrieb Chen, der diese Idee damit auch selbst unterstützte.

Tsai Ing-wen hat sich offiziell nicht auf diese Seite geschlagen. Aber der Hintergrund, dass eine aktive Atomindustrie der erste Schritt zum Bau von Atomwaffen sind, dürfte ihr bekannt sein. Beim Treffen Ende Februar mit den Anführern diverser Industrie- und Handelsverbände schien die Präsidentin zumindest aus anderen Gründen bereit zu sein, einen Schritt auf die Forderungen der Wirtschaft zuzugehen. Die Atmosphäre sei „sehr gut“ gewesen, lobten die Industrieführer.

Anzeige