70. Todestag Stalins - Rehabilitiert zu Propagandazwecken

Die russischen Medien rühmen Josef Stalin dieser Tage trotz seiner grauenhaften Terrorherrschaft als heroischen Vater des Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“ über Nazi-Deutschland. Mit dem Erinnern an Stalin soll auch Putins Propagandaversion bekräftigt werden, nach der sich Russland derzeit im Krieg gegen die vermeintlich faschistische Ukraine befinde.

Russen fotografieren eine Büste Stalins in Volgograd / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Die gleichgeschalteten russischen Fernsehsender umschiffen das Thema, doch Blogger auf Telegram und YouTube verbreiten vielerlei Versionen zu der Frage, die auch seriöse Historiker umtreibt: Wie ist Stalin vor genau 70 Jahren zu Tode gekommen?

Laut dem Obduktionsbericht, der erst nach dem Zerfall der Sowjetunion veröffentlicht wurde, war die unmittelbare Todesursache ein Gehirnschlag, der nach vier Tagen zum Herzstillstand führte. Angeblich wurde Stalin vom Diensthabenden seiner Leibwache bewusstlos auf dem Fußboden im Schlafzimmer seiner Datscha gefunden. Doch erst nach mehreren Stunden wurden seine Leibärzte verständigt; ob die herbeigeeilten Mitglieder des Politbüros dafür verantwortlich waren, blieb ungeklärt.

Jedenfalls ist diese Verzögerung seit Jahrzehnten Anlass für Spekulationen. Historiker streiten sich vor allem über zwei Mordtheorien: Mal soll Geheimdienstchef Lawrenti Beria Gift in eine Flasche von Stalins Lieblingswodka geträufelt haben, mal soll ihn der spätere Kremlchef Nikita Chruschtschow mit einem Kissen erstickt haben. In einem Punkt aber herrscht Einigkeit: Es waren auf keinen Fall die Amerikaner und auch nicht deutsche Altnazis.

In den beiden Jahren vor Stalins Tod hatte die Kremlpropaganda immer wieder getrommelt, die USA aktivierten „Hitlerfaschisten“ für einen Kreuzzug gegen die Sowjetmacht – ein Motiv, das wieder hochaktuell ist: Washington rüste die „faschistische Junta“ in Kiew mit dem Ziel auf, Russland zu vernichten.

Stalins Terrorherrschaft wird marginalisiert

Die offiziellen Medien rühmen zum 70. Todestag Stalin als Vater des Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“ über Nazi-Deutschland, eine Linie, die der Kreml vor mehr als einem Jahrzehnt vorgegeben hat. Seine Terrorherrschaft, die Millionen Menschen das Leben kostete, wird marginalisiert, gelegentlich sogar als ein Bündel unvermeidlicher Maßnahmen verharmlost, die auf die Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft des Landes abgezielt hätten.

Die Kampagnen zur Rehabilitierung Stalins zeigen Wirkung: Umfragen zufolge beurteilten 1992, im ersten Jahr nach dem Zerfall der Sowjetunion, 45 Prozent der Befragten Stalin negativ und 38 Prozent positiv; 2021, im Jahr vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, aber sahen ihn nur noch 15 Prozent negativ, 60 Prozent hingegen positiv. Putin würdigte, dass der Georgier Stalin die „russische Erde“ verteidigt habe.

Dieser hatte sich im Krieg als Erbe der russischen Herrscher inszenieren lassen. Der Druck auf die orthodoxe Kirche ließ beträchtlich nach, als Gegenleistung bekundeten die Bischöfe ihre Loyalität zum Regime, sie riefen die Gläubigen sogar auf, Geld für Panzer gegen die Hitlerfaschisten zu spenden. Äußerer Ausdruck dieser Kehrtwendung war auch die Wiedereinführung der Dienstgrade und Rangabzeichen der Zarenarmee sowie einiger der traditionellen Tapferkeitsorden. Dazu gehört das auf Katharina die Große zurückgehende Georgsband: drei schwarze und zwei orange Streifen, die Feuer und Rauch symbolisieren.

Georgsband soll Putins Propaganda unterstreichen

Putin ließ dieses Ordensband zum 60. Jahrestag des Kriegsendes als offizielles Symbol für die „Erinnerung an den großen Sieg“ wiedereinführen. Seitdem zeigen sich seine Anhänger demonstrativ mit dem schwarz-orangen Bändchen in Form einer Schleife. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2014 ist es auch ein Zeichen der Invasionstruppen, die fünf Streifen wurden auf Panzer und Truppentransporter gemalt. Es soll Putins Propagandaversion unterstreichen, dass auch der Krieg gegen die Ukraine ein Verteidigungskrieg ist, wie ihn die Rote Armee gegen die Deutschen geführt hat.

 

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Nicht berichtet werden darf hingegen, dass der Sieg der Roten Armee im Osten ohne die massive Unterstützung durch die USA kaum möglich gewesen wäre. Die amerikanische Militärhilfe umfasste 22.150 Flugzeuge, 12.700 Panzer, 51.000 Jeeps, 35.000 Motorräder, 375.000 Lastwagen und knapp 2000 Lokomotiven. Auch im russisch-ukrainischen Krieg der Gegenwart sind Rüstungsgüter aus den USA zum wichtigen Faktor auf den Schlachtfeldern geworden – allerdings werden sie nun gegen die Russen eingesetzt.

Gegner werden als Faschisten diskreditiert

Dies ist der Anknüpfungspunkt für die Propagandakampagne gegen das angebliche Bündnis der dekadenten amerikanischen Kapitalisten mit den ukrainischen Faschisten. Es ist ein Déjà-Vu aus der Frühzeit des Kalten Krieges, die Rolle der US-Marionette, die heute dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zugeschrieben wird, nahm damals gelegentlich der Wehrmachtsgeneral Heinz Guderian ein, der angeblich in die Planung eines Großangriffs mit Pershing- und Patton-Panzer auf die Sowjetunion eingebunden war. Eine im ganzen Sowjetblock gedruckte Karikatur stellte den Sender Voice of America als Sprachrohr Goebbels’ dar.   

Es war ein bewährtes Muster der Propaganda: Kritiker und Gegner wurden als Faschisten diskreditiert. Das galt ebenso für den aus einer jüdischen Familie stammenden und auf Befehl Stalins ermordeten Revolutionär Trotzki wie für die polnische Exilregierung in London, die Auskunft über den Verbleib ihrer im Wald von Katyn erschossenen Offiziere verlangte.

Bereits nach dem 1939 geschlossenen Ribbentrop-Molotow-Pakt hatte der Kreml die Polen als „Faschisten“ geschmäht und gleichzeitig Nazi-Deutschland als verlässlichen Verbündeten gelobt. Später wurde die Berliner Mauer als „antifaschistischer Schutzwall“ gerühmt und der Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 als Einsatz zum Schutz des „sozialistischen Brudervolks“ vor den „westdeutschen faschistischen Kriegstreibern“ gerechtfertigt.

Putin knüpft an stalinistische Rhetorik an

An diese stalinistische Rhetorik knüpft Putin an, er versucht so seinen Landsleuten zu vermitteln, er wolle mit dem Krieg gegen die Ukrainer, die ja nach seinen Worten im Zweiten Weltkrieg willfährige Verbündete Hitlers gewesen sind, den Sieg über das Dritte Reich vollenden.

International renommierte Historiker gaben dagegen längst der Diktatur Putins das Etikett „faschistisch“: ein extrem hierarchisches Führersystem, Personenkult, imperialistische Außenpolitik, gewaltiger Repressionsapparat, Gleichschaltung der Medien, vorgeschriebene Sprachmuster, militaristische Indoktrination von Kindern und Jugendlichen, politische Gefangene. Selbst die früheren Fotos, die Putin im Urlaub mit nacktem Oberkörper zeigen, werden nun so interpretiert: Es war der Faschistenführer Mussolini, der sich als erster Politiker so ablichten ließ.

Von Stalin gibt es solche Bilder nicht. Er war gänzlich unsportlich, war in seinen letzten Lebensjahren stark übergewichtig, ernährte sich ungesund, auch trank er übermäßig viel grusinischen Cognac und russischen Wodka. Die Folgen sind im seinerzeit geheim gehaltenen Arztbericht nachzulesen: starke Arteriosklerose der Blutgefäße und fortgeschrittene Leberzirrhose.

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