Sergei Lawrow - Herkunft ungeklärt

Im Interview mit der BBC blieb der russische Außenminister Sergei Lawrow jüngst dabei: Russland soll die Ukraine nicht überfallen haben, der Rest sei eine „Spezialoperation“. Lawrow gilt als undiplomatisch, was Wladimir Putin ganz besonders an ihm schätzen soll, und erfüllt damit das Klischee des hitzköpfigen Armeniers. Doch seine Herkunft ist eigentlich nicht ganz geklärt.

Der russische Außenminister Sergei Lawrow fiel schon vor dem Ukraine-Krieg mit Provokationen auf / dpa
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Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

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Wer Sergei Lawrow einmal persönlich erlebt hat, dem erscheint er auf den ersten Blick wie ein aus der Zeit gefallener Sowjetkader aus der Epoche Leonid Breschnews. Seine Miene ist unbewegt, die Stimme tief, die Gesten sind starr, seine außenpolitischen Positionen von oben vorgegeben. Dabei schlägt er einen immer schrilleren Ton an, wenn es um die Rolle Russlands in der Welt geht. Jüngst etwa im Interview mit der BBC, als er einmal mehr behauptete, Russland habe die Ukraine nicht überfallen und der Rest sei eine „Spezialoperation“. Kürzlich brillierte er aber auch schon mit schrägen Theorien über das „jüdische Blut“, das Adolf Hitler und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum Nazismus prädestiniert hätte. Bis heute ist indes nicht definitiv geklärt, welches „Blut“ durch Lawrows eigene Adern eigentlich fließt. 

So viel vorab: In Russland haben diejenigen Anwärter die besten Chancen auf hohe Staatsposten, die ethnisch russisch sind und der russisch-orthodoxen Kirche angehören. Es ist besonders bitter, dass große Teile der russischen Opposition diese ethno-nationalistische Auffassung teilen – sie halten dem russischen Staat vor, er sei nicht „russisch genug“. Ein Beispiel: Dem rechtsoppositionellen Publizisten Oleg Kaschin zufolge – der wie Putin die Ukrainer für ein minderwertiges Volk hält – ist das heutige Russland einer armenisch-tschetschenischen Verschwörung zum Opfer gefallen. Es fällt also einigen sehr leicht, die Schuld an der verfehlten Expansionspolitik des Kreml ethnischen Minderheiten in die Schuhe zu schieben. Auch wenn vor allem Burjaten und Dagestaner den Löwenanteil der russischen Verluste im Ukrainekrieg zu beklagen haben.

Hitzköpfiger Armenier

Dass Lawrows Herkunft umstritten ist, ist in Russland vor diesem Hintergrund eine heikle Angelegenheit. Es heißt, er sei ein ethnischer Armenier: Wie die staatsnahe Zeitschrift Vremja Novostej im Jahr 2005 berichtete, gab er gegenüber armenischen Studenten zu, dass in seinen Adern „armenisches Blut“ fließe. Das kremltreue Online-Magazin Sputnik Armenia wiederum berichtet mit einigem Stolz, Lawrows leiblicher Vater würde der aristokratischen Kalantarjan-­Familie entstammen – und Lawrow sei im Jahr 1950 nicht in Moskau, sondern in der georgischen Hauptstadt Tbilisi zur Welt gekommen. Falls das stimmt, dann hat er schon als junger Mann den Nachnamen seiner russischen Mutter angenommen, um auf diese Weise besser Karriere im russisch dominierten Sowjetstaat machen zu können.

 

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Und der junge Mann stieg im Eiltempo auf. Er studierte am MGIMO, der Kaderschmiede der sowjetischen Außenpolitik. Dort erlernte er Englisch, Französisch und Singhalesisch. Das qualifizierte ihn dazu, seine diplomatische Laufbahn im Jahr 1972 auf Sri Lanka zu beginnen. Schon in den 1980er Jahren arbeitete er in der sowjetischen UN-Vertretung in New York. Von 1988 an machte er dann in Moskau Karriere, bis er 1994 zum Vertreter Russlands im UN-Sicherheitsrat ernannt wurde. Seit 2004 ist Lawrow durchgehend russischer Außenminister.

Sergei Lawrow hat dabei nicht immer die beste Figur gemacht. Armenier gelten in Russland als impulsiv und hitzköpfig; diesem Klischee zumindest entspricht Lawrow mehr als genug. Gegenüber dem früheren britischen Außenminister Miliband wütete er 2008 am Handy: „Was glaubst du Arschloch, wer du bist, mich zu belehren!“ Auf einer Konferenz mit Saudi-Arabien im Jahr 2015, in der es um Syrien ging, murmelte Lawrow in sein Mikrofon, ohne zu wissen, dass es weiter eingeschaltet war: „Verdammte Schwachköpfe …“ Und in der Mongolei sorgte er im Jahr darauf für einen Eklat, als er bei einem Ehrenempfang mit blauen Jeans aufkreuzte.

Zu undiplomatisch?

Aber gerade wegen seiner undiplomatischen Art scheint Lawrow für Putin der richtige Mann zu sein. Wann immer Russland die Lage militärisch eskaliert – ob in Georgien, Syrien oder der Ukraine –, poltert der alte Herr drauflos. Er hat gute Kontakte in alle Welt, von vielen Entwicklungsländern bis hin nach Deutschland, mit dessen früherem Außenminister Steinmeier ein bemerkenswertes Foto entstanden ist. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2016 sind beide in einem Schnappschuss zu sehen: Steinmeier lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück, Lawrow legt ihm im Vorbeigehen die Hand auf den Oberarm – und Steinmeier tätschelt ihn am Unterarm. Dabei waren die Beziehungen zwischen den beiden nach dem „Fall Lisa“ schon deutlich abgekühlt.

Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die weltpolitische Lage schlagartig geändert. Je mehr sich der Eroberungskrieg in die Länge zieht, desto nervöser wirkt der altgediente Diplomat. Bei Verhandlungen in Ankara zittern ihm die Hände, er droht ständig mit dem potenziellen Einsatz von Atomwaffen oder sogar mit dem dritten Weltkrieg. Und nun auch noch eine krude antisemitische These, für die sich Putin in Lawrows Namen offiziell beim israelischen Premier Bennett entschuldigt hat. Ist Lawrow noch „fit for office“?

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen.

 

 

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