Olympia in China - Lasset die Spiele beginnen – egal wo, egal wie

Wenn es noch irgendeines Beweises bedarf, dass die „olympische Idee“ nur noch ein perverses Geschäftsmodell ist, dann wird er bei den 25. Olympischen Winterspielen in Peking eindrucksvoll geliefert. In China gibt es keinerlei Wintersporttradition, und wegen der dortigen Menschenrechtslage müsste ein Boykott eigentlich zwingend sein.

Das Nationalstadion in der chinesischen Hauptstadt Peking / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es ist das größte und prestigeträchtigste Sportereignis dieses Winters. Nach der voraussichtlich gleichermaßen pompösen wie perfekten Eröffnungsfeier am Freitag werden bei den Olympischen Winterspielen in Peking bis zum 20. Februar knapp 2900 Sportler aus mehr als 90 Nationen in 109 Wettbewerben ihre Kräfte messen, um eine oder mehrere der begehrten Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen zu erhalten.

In über 200 Ländern wird es Übertragungen von den Spielen geben. In Deutschland senden ARD und ZDF im täglichen Wechsel bis zu 16 Stunden live, dazu kommen insgesamt 1000 Stunden in sechs Streaming-Kanälen. Auch private TV-Kanäle senden aus Peking. Gehuldigt wird einem Großereignis, das in Sachen Absurdität neue olympische Maßstäbe setzt.

„Völkerverbindendes Fest“ im Internierungsmodus

Da sind zum einen die Rahmenbedingungen. Der „olympische Geist“ und das „weltweit größte völkerverbindende Fest“ werden in sogenannten Blasen kaserniert. Die Teilnehmer werden mit ihren Teams streng isoliert, dürfen sich ausschließlich zwischen ihren Unterkünften und den Wettkampfstätten bewegen und müssen sich täglich einem PCR-Test unterziehen. Es ist davon auszugehen, dass sich so manch ambitionierter Olympionike nicht auf dem Siegertreppchen, sondern in einem Quarantänehotel wiederfinden wird. An den aufwendig aus dem Boden gestampften Pisten und Loipen und in den Eisstadien wird es außer einigen handverlesenen Gästen keine Zuschauer geben, da bekommt der Begriff „olympischer Geist“ eine ganz neue Bedeutung.

Ritterschlag für Chinas Propagandashow

Doch nicht nur die Durchführung eines derartigen Events unter Pandemiebedingungen ist mehr als zweifelhaft. Auch die Vergabe der Spiele an Peking ist eigentlich unfassbar. China hat keinerlei Wintersporttradition. In Peking und der umliegenden Region schneit es sehr selten, und wenn, dann nur ganz wenig, es ist extrem trocken. Bis zu zwei Millionen Kubikmeter Wasser müssen während der Spiele zu den Pisten und Loipen transportiert und dort als Kunstschnee verrieselt werden.

Aber vor allem geht es um China und seine Rolle in der internationalen Gemeinschaft. Das Land betreibt eine extrem aggressive Geopolitik im pazifischen Raum und bedroht den unabhängigen chinesischen Inselstaat Taiwan offen mit Krieg und Annexion. Mit der ohnehin rudimentären Demokratie in der Sonderverwaltungszone Hongkong wurde ebenso kurzer Prozess gemacht wie mit jeglicher Opposition im Kernland. Dazu kommen massive Menschenrechtsverletzungen gegen nationale Minderheiten. Längst verfügt das Land über einen technologisch nahezu perfekten Überwachungs- und Unterdrückungsapparat.

Milliardengewinne für das IOC

Das für die Vergabe der Spiele verantwortliche Internationale Olympische Komitee (IOC) und seinen mächtigen Vorsitzenden Thomas Bach interessiert das alles nicht die Bohne. Das IOC hat ausschließlich die Milliardenumsätze im Blick, die vor allem mit dem Verkauf der Senderechte und die großen Sponsoren realisiert werden können. Zu diesem elitären Klub gehören insgesamt 13 Unternehmen, die meisten aus den USA, wie z.B. Visa, Coca-Cola, Procter&Gamble, die Buchungswebseite Airbnb und der Chiphersteller Intel. Aus Deutschland ist die Allianz AG dabei, aus Japan Toyota und aus Südkorea Samsung. Zum einen sind die weltweit übertragenen Spiele eine der größten Werbeplattformen überhaupt, und zum anderen bietet der riesige chinesische Markt diesen Konzernen große Expansionschancen. Auf Proteste reagierte Allianz mit einer Erklärung in der es unter anderem heißt, selbstverständlich habe sich die Allianz wie alle Sponsoren der Einhaltung der Menschenrechte verschrieben.

Auch in der Politik zuckt man mehr oder weniger mit den Schultern. Von einem Teilnahmeboykott, wie ihn 1980 mehrere westliche Staaten bei den Olympischen Sommerspielen in Moskau exerzierten, war jetzt nirgends die Rede. Einige Staaten erklärten einen eher symbolischen „diplomatischen Boykott“, andere – wie auch Deutschland – haben sogar das vermieden, um die wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu China nicht zu belasten, und verzichten lediglich auf die Entsendung hochrangiger Politiker zur Eröffnungsfeier. Das dort übliche Defilee von Staatsoberhäuptern wird diesmal etwas bescheidener ausfallen. Prominentester Gast wird Russlands Präsident Wladimir Putin sein. Auch die Machthaber Saudi-Arabiens, Ägyptens und Katars sowie die die Präsidenten von Turkmenistan, Pakistan und Kasachstan werden erwartet. Also eine Art Autokraten-Party. Aber auch Polen und Serbien schicken ihre Präsidenten Andrzej Duda und Aleksandar Vučić.

Sportler auf dem Sponsoren-Laufsteg

Und die Sportler? Halten sich meistens bedeckt oder äußern sich nur sehr schmallippig zur bevorstehenden Olympiade. Deutliche Worte wie die von Rodel-Olympsieger Felix Loch sind eher selten. Doch mitmachen werden sie alle, aus ureigenstem Interesse. Gerade für Profisportler in Randsportarten ohne permanente mediale Repräsentanz ist die Olympiade die große zentrale Chance, neue Sponsoren und Werbepartner zu gewinnen – und vor allem, alte nicht zu verlieren. Auch die weitere Förderung der Top-Athleten durch Bundes- und Landesprogramme steht auf dem Spiel.

Und so geht alles seinen Gang, und es gibt eigentlich nur Gewinner. China bekommt seine monströse Propagandashow, das IOC seine Milliarden, die Sponsoren ihre Werbeplattform und die Sportler – jedenfalls einige – ihre Siegesprämien, Fördermittel und Werbeverträge. Das ist dann wohl dieser ominöse „olympische Geist“, von dem alle immer reden. Aber muss man sich das wirklich angucken?

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