Neue Corona-Maßnahmen in der EU - Von Angst getrieben

Gestern haben sich die Mitgliedsstaaten der EU getroffen, um das Vorgehen gegen Corona gemeinsam zu koordinieren. Das Ergebnis ist jedoch eine Politik der Angst. Ihre eigentliche Aufgabe, für Impfstoff zu sorgen, verschläft die EU weiterhin.

Statt sich um den Impfstoff zu kümmern, macht die EU eine Politik der Angst / dpa
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Nie wieder Lockdown, nie wieder geschlossene Binnen-Grenzen in Europa! Das haben Deutschland und die EU nach der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 versprochen. Doch knapp ein Jahr (und mehr als 400.000 Corona-Tote) später ist davon keine Rede mehr.

Beim Videogipfel zur Coronakrise am Donnerstagabend drohte Kanzlerin Angela Merkel den EU-Nachbarn unverhohlen mit Grenzschließungen, falls diese nicht einen genauso harten Lockdown verhängen wie Deutschland. Zudem wurde die Reisefreiheit weiter eingeschränkt.

Einschränkungen ohne LKW-Schlangen

Die Schlagbäume sollten zwar nicht wieder runter gehen – jedenfalls nicht für Lastwagen und Warentransporte. Damit ziehen die Europäer eine Lehre aus der Krise vom Frühjahr 2020, als sich kilometerlange LKW-Schlangen an der deutsch-polnischen Grenze gebildet hatten.

„Es sollte keine undifferenzierten Reisesperren geben“, sagte Ratspräsident Charles Michel. Gleichwohl seien weitere Beschränkungen für die Bürger notwendig, um die neue Virus-Variante zu stoppen. „Nicht essentielle“ Reisen müssten weiter eingeschränkt werden.

Lockdown trotz sinkender Zahlen

Urlaubsreisen sind nicht erwünscht, Familienbesuche im EU-Ausland sollen möglichst unterbleiben. Es ist genau das Gegenteil von dem, was die EU nach dem Start der Impfkampagne Ende 2020 versprochen hatte. Damals war von Lockerungen die Rede – nun kommen noch mehr Verbote.

Die Verschärfung kommt zu einem Zeitpunkt, da die Corona-Fallzahlen in einigen wichtigen EU-Länder sinken, darunter auch in Deutschland. Dennoch war es Merkel, die bei dem virtuellen Gipfeltreffen besonders vehement für härtere Maßnahmen eintrat und Beschränkungen in anderen EU-Ländern wie Tschechien forderte.

180-Grad-Kursänderung 

Der Druck hat gewirkt, die EU hat ihren Kurs um 180 Grad gewendet. Allerdings bleibt dabei die Glaubwürdigkeit auf der Strecke. Noch im Herbst hatte die EU-Kommission vor Reisebeschränkungen gewarnt. Das Coronavirus sei in ganz Europa angekommen, deshalb machten schärfere Regeln an den Grenzen keinen Sinn, hieß es damals in Brüssel. Davon ist nun keine Rede mehr. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen scheint ihre eigene Einsicht vergessen zu haben, sie ist auf die Berliner Linie eingeschwenkt. Dass diese Linie selbst nicht konsistent ist, sondern sich von Wellenbrecher zu Lockdown hangelt, scheint die Merkel-Vertraute zu übersehen.

Man müsse sich vor der neuen, noch gefährlicheren Corona-Variante aus Großbritannien schützen, heißt es zur Begründung. Dabei ist die Gefährlichkeit dieser Variante selbst unter Virologen umstritten. Zudem ist die „Mutante“ längst schon in Kontinentaleuropa angekommen. Die Politik der Eindämmung kommt also zu spät.

Politik der Angst

Was bleibt, ist eine Politik der Angst. Die EU begründet ihre neuen Corona-Maßnahmen mit der Angst vor dem „britischen Virus“ – und sie schürt auch noch die Angst vor einer „Einschleppung“ durch andere EU-Länder. Angst ist jedoch kein guter Ratgeber. Sie treibt die Staaten auseinander und untergräbt die Solidarität.

Die EU-Kommission sollte sich daher wieder auf ihre ursprüngliche, europäische Linie besinnen und versuchen, die Corona-bedingten Beschränkungen so eng wie möglich zu fassen. Einen Freibrief für nationale Grenzschließungen oder immer härtere Einreise-Bestimmungen, wie sie Frankreich am Wochenende plant, darf es nicht geben.

Fokus auf Impfkampagne

Vor allem aber sollte von der Leyen sich auf „positive“ EU-weite Maßnahmen wie die Impfkampagne konzentrieren. „Dies ist Europas Moment“, hat die CDU-Politikerin vor Weihnachten ausgerufen, als der Biontech/Pfizer-Impfstoff endlich zugelassen wurde. Doch danach hat sie nicht geliefert. Die EU hinkt bei den Impfungen hinterher, die USA und Großbritannien sind viel weiter als Europa.

Hier müsste von der Leyen ansetzen – und die Missstände abstellen. Mehr Transparenz, mehr Vakzine, mehr Druck auf die Hersteller und mehr europäische Produktionsstätten – das ist der Weg nach vorn. Wer sich von Angst treiben lässt, wird den Kampf gegen die Pandemie nicht gewinnen. Die EU ist auf die schiefe Ebene gerutscht, schon wieder.

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