Midterm Elections in den USA - Wahlzirkus voller Kuriositäten

Kurz vor den Midterm Elections in den USA plagen die Demokraten von Küste zu Küste Sorgen. Denn selbst in ihren Hochburgen drohen ihnen Niederlagen – was sie sich mit falschen Prioritätensetzungen und kuriosen Spendenaktionen selbst zuzuschreiben haben.

Joe Biden ist so unbeliebt, dass sich Ohios demokratischer Kandidat Tim Ryan (Foto) aus wahltaktischen Gründen vom Präsidenten distanziert hat / dpa
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Gregor Baszak ist freier Journalist und lebt in Chicago. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Makroskop und UnHerd.

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Der 25. Wahlbezirk im US-Bundesstaat New York ist eigentlich eine Hochburg der Demokraten. Joe Biden gewann 2020 dort 20 Prozent mehr Stimmen als Donald Trump. Auch Joe Morelle, der seit 2018 für die Demokraten den Bezirk im Repräsentantenhaus vertritt, triumphierte 2020 gegenüber seinem republikanischen Kontrahenten mit ähnlich komfortablem Vorsprung. Darum wäre zu erwarten, dass Morelle sich bei den bevorstehenden „midterm elections“, also den Zwischenwahlen, am kommenden Dienstag bequem zurücklehnen könnte. 

Denn dann wird, neben unzähligen Abstimmungen auf kommunal- und bundesstaatlicher Ebene, das komplette Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Doch jetzt meldet die US-Zeitschrift Politico, dass die Demokraten in letzter Minute 275.000 Dollar in den Wahlkampf im 25. Bezirk New Yorks investiert haben – ein Anzeichen, dass Morelle dort laut internen Umfragen dem Republikaner La’Ron Singletary überraschend unterliegen könnte. Es ist ein Mikrokosmos für die Sorgen, die die Demokraten von Küste zu Küste plagen.

Wechselwähler nicht adressiert

Umfragen zufolge geben die amerikanischen Wähler die Bekämpfung der hartnäckigen Inflation sowie Angst vor der seit 2020 rasant angestiegenen Kriminalitätsrate als Top-Prioritäten an. In beiden Kategorien rechnen die Wähler der republikanischen Opposition mehr Kompetenz zu. Die Demokraten wiederum dürften sich verkalkuliert haben: In ihrem Wahlkampf dominierte bisher das Abtreibungsrecht, nachdem im Juni der konservativ dominierte Supreme Court das Grundsatzurteil Roe vs. Wade einkassiert hatte. Zwar ist die Liberalisierung des Rechts zum Schwangerschaftsabbruch eine Top-Priorität unter loyalen Parteianhängern, nicht jedoch unter den begehrten „independents“, also den parteilosen Wechselwählern, die sich mit teuren Spritpreisen und gefährlichen Straßenecken konfrontiert sehen.

Und eben diese Wechselwähler könnten nächste Woche darüber entscheiden, ob Joe Biden in den kommenden zwei Jahren über eine Mehrheit im Kongress verfügen wird oder nicht. Doch Biden ist so unpopulär, dass viele demokratische Kandidaten seine Nähe meiden. Im hart umkämpften Bundesstaat Ohio, wo über einen frei gewordenen Senatssitz entschieden wird, distanzierte sich der demokratische Kandidat Tim Ryan explizit von Biden und erklärte öffentlich, er wünsche sich nicht, dass Biden bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 noch einmal antritt. Die Rechnung könnte aufgehen: Laut Umfragen liefert sich Ryan ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem republikanischen Kandidaten J.D. Vance, der sich für eine Hinwendung der Partei zu den Kernthemen Trumps einsetzt.

Wahlzirkus mit Kuriositäten

Überhaupt könnte Trump bei den „midterm elections“ als Sieger hervorgehen, obwohl er nirgends zur Wahl steht. In vielen Wahlbezirken gewannen die von ihm unterstützten Kandidaten bei den Vorwahlen die Nominierung und könnten bald die Kontrolle Trumps über die Partei noch weiter ausbauen. Ganz unschuldig wären die Demokraten daran nicht: Obwohl sie öffentlich den Trump-Flügel der Republikaner als extremistisch und eine Gefahr für die Demokratie verdammt haben, spendeten einflussreiche Institutionen der Partei, wie die Democratic Governors Association, bei den republikanischen Vorwahlen viele Millionen Dollar an Trump-freundliche Kandidaten, um moderatere Alternativen aus dem Rennen zu werfen und so Wechselwähler an die demokratischen Kandidaten zu binden. Dies führte unter anderem zu der kuriosen Situation, dass bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Illinois der Trump-freundliche Kandidat Darren Bailey gegen einen seiner größten Spender im Vorwahlkampf, den amtierenden demokratischen Gouverneur J.B. Pritzker, antritt.


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Insgesamt geizt der Wahlzirkus nicht mit Kuriositäten. So tritt zum Beispiel bei der Senatswahl in Pennsylvania mit dem Republikaner Mehmet Oz ein TV-Arzt an, der erst seit 2020 im Bundesstaat lebt. Vonseiten republikanischer Aktivisten kam ihm wenig Liebe entgegen, denn Oz hat sich noch bis vor kurzem prominent in seiner Fernsehsendung für Hormonbehandlungen transsexueller Teenager und eine Verschärfung des Waffenrechts ausgesprochen, Positionen, von denen er sich jetzt lautstark und wenig glaubwürdig distanziert.

Was, wenn die Republikaner gewinnen?

Sein demokratischer Kontrahent John Fetterman wiederum erlebte wenige Tage vor seinem Sieg bei den Vorwahlen einen Schlaganfall. Doch dies kam erst nach den Wahlen ans Tageslicht. Seither gab sich Fetterman beim Wahlkampf größtenteils bedeckt. Daraufhin gingen Gerüchte um, dass er Schwierigkeiten beim Hören und Sprechen habe. Diese Gerüchte wurden großenteils bestätigt, als er sich vergangene Woche Oz bei einer TV-Debatte stellte und oft über seine eigenen Worte stolperte und das trotz Untertiteln, die er von einem Bildschirm ablas.

Aber wie sähen die kommenden zwei Jahre aus, sollten die Republikaner nächste Woche die Mehrheit über zumindest eine Kammer im US-Kongress gewinnen? Der konservative Publizist Daniel McCarthy spekulierte im vergangenen März im Interview mit Cicero, dass eher Stillstand drohe. Die Republikaner könnten Anhörungen zum Ursprung der Corona-Pandemie oder den Umtrieben von Joe Bidens Sohn Hunter einberufen, aber insgesamt weniger Gesetzesentwürfe durchwinken.

Brandherde sind schon ausgemacht

Optimistischere Stimmen, wie Oren Cass, der Präsident des konservativen Think Tanks „American Compass“, erhoffen sich jedoch eine weitaus aktivere Kongressperiode. In einer New York Times-Kolumne erklärte Cass im vergangenen Sommer, dass beide Parteien zum Beispiel darin übereinstimmen, dass sie Produktionsstätten für strategisch wichtige Industriezweige, wie die Halbleiterindustrie, in die USA zurückführen wollen.

Doch mögliche Brandherde sind auch schon ausgemacht. So deutete der kalifornische Abgeordnete Kevin McCarthy, der Nancy Pelosi als Sprecherin des Repräsentantenhauses ablösen könnte, neulich an, dass die Republikaner nach einem Wahlsieg womöglich weniger Finanzpaketen für die Ukraine zustimmen könnten. Privat erhofft sich die Biden-Regierung laut Meldung von Politico, dass sie McCarthy doch noch umstimmen könnte. Doch ihm könnte sich eine selbstbewusstere Anti-Kriegsfraktion innerhalb seiner eigenen Partei entgegenstellen, die sich um einflussreiche Stimmen wie die Abgeordneten Matt Gaetz und Marjorie Taylor Greene sammelt. 

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