Marine Le Pen - Die geläuterte Rabaukin

Marine Le Pen fordert seit langem die etablierte Politik Frankreichs heraus, jetzt hat sie sich ein neues Image zugelegt – um nächstes Jahr doch noch Staatspräsidentin zu werden.

Marine Le Pen hofft darauf, dass die Franzosen Macron abwählen. Sie wählen wollen jedoch auch nur wenige / Bridgemanimages.com
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Vor zehn Jahren, als sie den rechtsextremen Front National (FN) von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernahm, wurde ihr das böse Etikett einer „blonden Bestie“ verpasst. Doch das ist lange her. Heute zähmt Marine Le Pen ihre Auftritte bis zur Selbstaufgabe. Ihre Reibeisenstimme ist weicher, heller geworden, und Madame gibt sich bemerkenswert menschlich. Das entscheidende – und verpatzte – Wahlkampfduell gegen Emmanuel Macron im Jahr 2017 habe sie „stärker“ gemacht, sagte sie. „Man wird besser, wenn man gelitten hat, gestürzt ist und sich Vorwürfe macht, weil man enttäuscht hat.“ 

Immerhin: Sie glaubt, nun besser zu sein. Im warmen Licht einer Salonlampe erzählte Le Pen dem Interviewer der rechten Zeitschrift Valeurs Actuelles, wie sie allein drei Kinder und zwei Katzen aufzog. Wie sie den FN in die Light-Version des Rassemblement National (RN) verwandelte. Und dass sie nicht mehr aus der EU austreten will.

Ihr wahres Gesicht

Im Mai schrieb die einstige Rabaukin der französischen Politik an die Präfekten, jene uniformierten Stützen der Pariser Zentralmacht im weiten Land. Mit weihevollen Worten beklagte sich Le Pen über Macrons Ankündigung, die Eliteverwaltungsschule ENA aufzulösen – als wäre er der Staatsfeind, und sie die Hüterin der Institution.

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Nur einmal in jüngster Zeit fiel der republikanische Firnis von der RN-Chefin ab: Spontan applaudierte sie mehreren pensionierten Generälen aus der rechtsnationalen Ecke, die militärische Staatsstreich-Fantasien wegen „Banlieue-Horden“ hegten – und das genau zum 60. Jahrestag eines Putschversuchs im Algerienkrieg. Da zeigte sich, welchen Wählern Marine Le Pen wirklich nahesteht: nicht den armen Schluckern, Arbeitslosen und Gelbwesten, wie sie behauptet. Sondern den rechtsextremen Nostalgikern der Algérie française in Südfrankreich.

Franzosen wählen gern ab

Trotzdem macht Le Pens „Entdämonisierung“ und „Banalisierung“ – so der Jargon Pariser Politologen – rapide Fortschritte. Die Zahl der Franzosen, die einen Wahlsieg der 52-jährigen Ex-Anwältin als „Gefahr für Frankreich“ beschwören, ist in wenigen Jahren von 80 Prozent auf weniger als die Hälfte gesunken. In den Umfragen für die Präsidentschaftswahl 2022 führt sie im ersten Wahlgang mit 27 Prozent klar vor allen Konkurrenten; in der Stichwahl, die über das politische Schicksal Frankreichs der nächsten fünf Jahre entscheidet, liegt sie mit Präsident Macron gleichauf. 2017 hatte sie gegen ihn in der Schlussrunde noch klar mit 33,9 Prozent verloren.

Der christlich-soziale Politiker Jean Lagarde twitterte im Mai: „Wenn Macron in die Stichwahl kommt, gewinnt Le Pen.“ Der amtierende Präsident habe es sich mit Frankreich verscherzt, meint La­garde: „Die Leute haben nicht unbedingt Lust, für Le Pen zu stimmen. Sicher ist aber, dass 75 Prozent der Franzosen Macron nicht mehr wollen.“ Le Pen profitiert vom Umstand, dass die Franzosen heute systematisch Präsidenten abwählen – zuerst Nicolas Sarkozy, dann François Hollande. „Ob rechts oder links, Sie haben alles versucht“, versetzte sich die Populistin kürzlich in die Wähler. „Versuchen Sie jetzt eine nationale Bewegung, die weise, vernünftig und luzid ist.“

Weiterhin abschreckende Wirkung

Le Pens Problem: Sie ist so isoliert wie ihre Partei, die trotz der Metamorphose vom FN zu RN in der politischen Schmuddelecke bleibt. Wenn die Kandidatin für die Zeit nach ihrer Wahl feierlich zur Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ aufruft, ist das Echo gleich null. Nadine Morano vom rechten Flügel der konservativen Republikaner lehnte dankend ab, da Le Pen eine „linke Wirtschaftspolitik“ betreibe. Sogar mit rechten Juniorpartnern wie Florian Philippot oder Nicolas Dupont-Aignan ist sie heute zerstritten – eine Le Pen will die Macht nicht teilen.

Die Einheitsfront gegen Le Pen bröckelt allerdings merklich. Die Zahl der politischen Überläufer könnte steigen, falls Le Pen die Dynamik zu ihren Gunsten aufrechterhalten kann. Darüber entscheidet sie aber nicht selbst. Wenn die Serie von Terroranschlägen, Messerattacken, brutalen Femiziden und Bandenkriegen mit minderjährigen Opfern (und Tätern) nicht abreißt, steigen Le Pens Wahlchancen. Wenn hingegen im Post-Covid-Jahr 2022 Wirtschaftsfragen in den Vordergrund rücken, dürfte die diesbezüglich unbedarfte, ja unsichere RN-Chefin nicht mehr punkten. Macron als „ultraliberal“ zu bezeichnen, genügt auf die Dauer nicht – und ist zudem schlicht falsch, wenn man seine Milliardenschwemme für Kurzarbeiter, Kultur oder Gastronomie in Betracht zieht.

Gut möglich, dass die Franzosen im letzten Moment vor dem Namen Le Pen auf dem Stimmzettel zurückschrecken werden. Europaweit gibt allein schon die Tatsache zu denken, dass ihr Sieg von äußeren Faktoren wie Terror oder Covid abhängen dürfte.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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