Bisherige Lehren aus dem Ukrainekrieg - Warum der US-Dollar kriegsentscheidend ist

Derzeit wird viel darüber diskutiert, welche Lehren aus dem militärischen Debakel der Russen bei der Invasion in die Ukraine zu ziehen sind. Doch dafür ist es zu früh, denn das Blatt kann sich jederzeit wenden. Eines steht aber jetzt schon fest: Der Einsatz des Dollars und der Zugang zur Fed scheinen eine schlagkräftige Waffe zu sein. China dürfte die Warnung verstanden haben.

Der Dollar, die vielleicht wirksamste Waffe der Welt / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

So erreichen Sie George Friedman:

Anzeige

Nach einem Krieg befassen sich alle Parteien mit den „Lektionen, die man gelernt hat“ – eine Formulierung, die alltäglich geworden ist. Ein Krieg ist in gewisser Weise eine Gelegenheit zum Lernen, wobei das Ziel darin besteht, die Erfolge und Misserfolge der eigenen Streitkräfte zu ermitteln und den Prozess, der zu einem der beiden Ergebnisse geführt hat, zu untersuchen und in die Planung und Ausbildung für den nächsten Krieg einzubeziehen. Das ist durchaus sinnvoll und notwendig. Es liegt auch auf der Hand, dass dieser Prozess eine Gelegenheit für Schuldzuweisungen bietet: Die Anerkennung von Siegen durch andere oder die Abwälzung der Schuld an Niederlagen ist ein unvermeidlicher Teil des Lernprozesses, ganz zu schweigen von der Beförderung: Offiziere sind Menschen wie wir anderen auch.

Ein noch beunruhigenderer Aspekt des Lernprozesses besteht darin, dass der Krieg zur offenkundigen Wahrheit erhoben wird und Nationen mitunter in künftige Niederlagen führt, wenn die Vergangenheit alle inzwischen eingetretenen Veränderungen überragt – und somit die gelernten Lektionen nicht nur nutzlos, sondern kontraproduktiv werden. Napoleons Infanterieangriff wurde 1914 sehr bewundert, wobei viele militärische Befehlshaber zu Beginn des Ersten Weltkriegs zunächst nicht in der Lage waren, die Bedeutung des Maschinengewehrs zu begreifen.

Derzeit herrscht wahrlich kein Mangel an Lehren aus der russischen Invasion in der Ukraine. Ich trage durchaus meinen Teil dazu bei, aber es ist wichtig zu verstehen, dass es inmitten eines Krieges nicht der beste Zeitpunkt ist, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Kriege sind eine heikle Angelegenheit – wie nicht zuletzt die USA in Vietnam, im Irak und in Afghanistan erfahren haben. Dennoch werden die wichtigsten Lektionen im Kampf gelernt und dann eben ohne einen zweijährigen Erneuerungsprozess umgesetzt. Am Leben zu bleiben ist ein großer Motivator für Innovationen.

Wie lange halten die Ukrainer durch?

Es heißt, die Russen würden große Reserven in den Kampf schicken. Außerdem rekrutieren sie syrische Armeekräfte und, wie es heißt, Söldner aus aller Welt. Offensichtlich rechnen sie mit einem langen Krieg und haben zu wenig Infanterie. Oder es ist etwas anderes im Gange. Vielleicht beabsichtigen sie, nach diesem Krieg weiter nach Osteuropa vorzudringen, und sie rekrutieren ausländische Truppen für den Besatzungsdienst – eine interessante Theorie, für die ich nicht den geringsten Beweis habe. Die Ukrainer mobilisieren alle ihre Bürger. Aber wie lange werden diese Leute noch kämpfen, wenn der Kampf aussichtslos wird?

Die wichtigen Lehren sind auf der strategischen und nicht auf der operativen oder taktischen Ebene zu ziehen. Russland ist ein armes Land mit einer mittelmäßigen Armee – und keine Großmacht. Aber es ist von noch ärmeren Ländern mit noch schlechteren Armeen umgeben. Mit Kampfgeist kommt man weit, doch erst mit einer rücksichtslosen, disziplinierten Armee kommt man vielleicht ans Ziel. Das ist kein schöner Anblick, aber es kann sehr effektiv sein. Wer am Ende gewonnen hat, erkennt man daran, wessen Flagge über der Hauptstadt weht – und das werden wir erleben.

Aber die wichtigste strategische Lektion hat bisher nichts mit Russland oder der Ukraine zu tun. Die Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die vielleicht mächtigste Waffe der Welt der waffenfähige Dollar ist. Der Welthandel braucht den US-Dollar, entweder in der Hand oder als Referenzwert, gegen den der Handel stattfindet. Der Euro ist weit abgeschlagen, und niemand würde Verträge für ein fünfjähriges Bauprojekt in Yuan unterschreiben. Um an Dollars zu gelangen, muss man Zugang zu der Stelle haben, die sie druckt: der Federal Reserve, oder zu einem Finanzinstitut, das in Dollars schwimmt. Und solche Institute sind darauf bedacht, nicht allzu sehr mit den US-Vorschriften in Konflikt zu geraten.

Die Geschichte, wie das funktioniert, ist so komplex wie ein Marine-Luftangriff und kann noch tödlicher sein. Über keine Dollars zu verfügen, bedeutet, dass niemand einheimisches Geld in die Hand nehmen wird, um damit etwas zu kaufen. Die Vereinigten Staaten, die bei weitem die größte Volkswirtschaft der Welt und der größte Importeur sind, können ein Land in den Ruin treiben. Wie der Iran festgestellt hat, kann der fehlende Zugang zu Dollars in Verbindung mit der Blockade von Exporten die Wirtschaft eines Landes lahm legen.

Koalition von Zentralbanken

Der Schlüssel zur „Bewaffnung“ des Dollars und des Handels liegt in der Zusammenarbeit mit anderen Nationen. Die Vereinigten Staaten haben nicht nur den größten Teil der Nato mobilisiert, sondern auch Länder wie Japan, das zwar von den Kämpfen weit entfernt ist, aber dem Dollar nahe steht. Der Wunsch der Verbündeten, weder einen kinetischen Krieg zu führen noch die Vereinigten Staaten zu verärgern, hat eine Koalition von Zentralbanken geschaffen, die alle zusammenarbeiten, um Russlands Wirtschaft zu isolieren, welche eher vom Export von Primärrohstoffen (Energie) als von industriellen oder technischen Produkten abhängt. Die Kombination aus dem Verbot russischer Energieimporte in die USA und dem Einsatz des Dollars als Waffe – in Abstimmung mit einem großen Bündnis – stellt Russland vor eine unerwartete militärische Krise.

Es wurde immer wieder behauptet, dass keine Nation mehr als drei nicht servierte Mahlzeiten von einer Revolution entfernt ist. Die Details sind nebensächlich, aber das Prinzip ist richtig. Heroische Taten sind irgendwie leichter zu bewältigen als langes, unablässiges Elend. Es ist eine Sache, für sein Land zu sterben; es ist eine andere, seine Kinder hungern zu sehen.

Die amerikanische Kriegsstrategie ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die USA sich nicht auf Kampfhandlungen mit russischen Truppen einlassen wollen. Zum einen, weil sie keine weiteren Kriege verlieren wollen, und zum anderen, weil der Schwerpunkt des Feindes heute nicht im militärischen, sondern im finanziellen Bereich liegt. Anders als bei einem Luftangriff explodieren finanzielle Angriffe nicht plötzlich. Sie nagen langsam an der Substanz einer Nation, bis die Flagge selbst in Fetzten liegt. Das ist zumindest die Theorie.

Natürlich gibt es auch eine Kehrseite. In jedem Krieg leidet die Heimatfront. In den USA wurde während des Zweiten Weltkriegs Benzin streng rationiert, ebenso wie Kosmetika (wegen Metall oder Öl in der Schminke). Die Vereinigten Staaten ertrugen dies mit Murren, denn im Gegensatz zu den anderen Nationen gab es drei Mahlzeiten pro Tag, und es wurden Filme gezeigt.

Heute sehen sich die Vereinigten Staaten bei ihrer wirtschaftlichen Offensive einem gewissen Schmerz ausgesetzt, der sich vor allem in den gestiegenen Kosten für Benzin und andere Güter niederschlägt. Die Frage ist, ob sie hinter der wirtschaftlichen Offensive stehen werden, um eine Nation zu verteidigen, die für die Vereinigten Staaten zwar von strategischer, aber von geringer emotionaler Bedeutung ist. Sich für den Angriff auf Pearl Harbor zu rächen, war eine Sache; die Sicherheit von Charkiw zu garantieren, ist eine andere. Es ist einfacher, zu kämpfen, als seine Ernährung einzuschränken.

Ein hässlicher Sieg ist immer noch ein Sieg

Doch zurück zu den Lektionen, die wir gelernt haben. Die militärischen Lehren, von denen die Menschen besessen sind, sind nicht endgültig. Russland kann gewinnen, und ein hässlicher Sieg ist immer noch ein Sieg. Russland kann verlieren, und ein Verlust in der Ukraine kann für die Russen viel oder wenig bedeuten. Wir sind noch nicht weit genug, um über die tiefere Bedeutung von Russlands militärischem Ergebnis zu diskutieren.

Aber wir können bereits über zwei Dinge sprechen. Erstens: Der Einsatz des Dollars und der Zugang zur Fed scheinen eine schlagkräftige Waffe zu sein. Die USA haben Russland isoliert, ohne dass eine Blockade nötig gewesen wäre. Die Methode, die in kleinem Umfang mit dem Iran ausprobiert wurde, hat ihre Wirksamkeit bewiesen, und Russland hat gezeigt, dass sie sich ausweiten lässt. Und das Wichtigste: Es ist eine Waffe, über die nur die USA verfügen. Diese Woche sprechen US-Beamte mit chinesischen Beamten. Die Chinesen haben viele wirtschaftliche Probleme und brauchen Dollars. Das bedeutet nicht, dass sie leise und ohne Zugeständnisse zu fordern nachgeben werden. Aber die Chinesen haben gelernt, dass die russische Militärmacht nicht mit der wirtschaftlichen Macht der USA mithalten kann.

Was die mögliche Invasion Chinas in Taiwan angeht, so zeigt ein Blick auf Russlands Verhalten in der Ukraine und den Gegenschlag der USA zwei Dinge: Gehen Sie niemals davon aus, dass ein Krieg ein Selbstläufer ist. Und gehen Sie nicht davon aus, dass die einzigen Verteidigungsmittel in einem kinetischen Krieg Dinge sind, die explodieren.

Der Ausgang des Krieges zwischen der Ukraine und Russland ist von einiger strategischer und großer moralischer Bedeutung. Dieser Ausgang ist noch nicht bekannt. Aber der Beweis dafür, dass die USA die globale Handelswährung kontrollieren, ist erbracht – zumindest solange, bis eine alternative Währung auftaucht und die Menschen bereit sind, Fünfjahresverträge in dieser Währung zu unterzeichnen.

In Kooperation mit

Anzeige