Kongressabgeordneter George Santos - Mit Lügen an die Macht

Der kürzlich gewählte republikanische Kongressabgeordnete George Santos steht im berechtigten Verdacht, große Teile seiner Biografie frei erfunden zu haben. Zurücktreten will er trotzdem nicht.

Stellt mit seinen Lügen sogar Donald Trump in den Schatten: George Santos / picture alliance
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Autoreninfo

Lisa Davidson ist Journalistin, freie Autorin und Podcast-Host. Sie lebt in Virginia, USA. 

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Verdrehte Fakten, um die eigenen Pläne zu rechtfertigen, oder ein paar verschönerte Details, um den Lebenslauf aufzupolieren, sind in der Politik nichts gänzlich Ungewöhnliches. Vor allem Amerikaner sehen nach Donald Trumps Präsidentschaft, die von Unwahrheiten nur so strotzte, unscheinbare Wahrheitsverdreher als kleineres Übel an. Doch selbst die alternativen Fakten der Ära Trump erscheinen vor dem Fall George Santos, der das Lügen zur Strategie entwickelt hat, leichter zu ertragen. Denn laut Recherchen der New York Times habe Santos unter anderem über seine Bildung und Abschlüsse, seinen Glauben, persönliche Tragödien, seine Wohltätigkeitsorganisationen und Finanzen gelogen. Die Times geht sogar so weit, Santos als Personifizierung des Vorwurfs „Alle Politiker lügen“ zu bezeichnen.

Santos lügt sich in den amerikanischen Kongress

So dreist die Unwahrheiten auch waren – erfolgreich war Santos mit seinen Lügengeschichten allemal. Als New Yorker Kandidat für die Kongresswahlen präsentierte er sich als eine überzeugende politische Figur: ein junger, homosexueller, konservativer Finanzier mit guten Beziehungen und Familienvermögen. Das Image kam bei den Wählern in seinem New Yorker Vorstadtbezirk gut an, und bescherte Santos im November einen Sieg mit fast acht Punkten Vorsprung vor dem Demokraten Robert Zimmerman.

Doch in den darauffolgenden Wochen wurde fast jeder entscheidende Punkt in Santos Biografie widerlegt. Der Republikaner behauptete beispielsweise, einen Abschluss am Baruch College gemacht und dann bei Citigroup und Goldman Sachs gearbeitet zu haben. Laut New York Times gab es keinerlei Belege, dass Santos überhaupt einen Hochschulabschluss erworben oder bei einem der beiden Finanzriesen angestellt war. Fest steht hingegen, dass Santos zur Zeit seiner vermeintlichen Karriere im Finanzwesen als Kundendienstberater beim Satellitenfernsehanbieter Dish Network arbeitete.

Wer ist der Republikaner George Santos wirklich?

Auch die Tierrettungsorganisation, die Santos laut eigenen Angaben gegründet haben will und die bereits über 2.500 Hunde und Katzen gerettet haben soll, ist erfunden. Santos log über seinen jüdischen Glauben und seine jüdischen Vorfahren, die vor dem Holocaust geflohen seien. Zudem behauptete er, vier ehemalige Mitarbeiter bei der Schießerei im Nachtclub Pulse in Orlando im Jahre 2016 verloren zu haben. Die Times fand aber auch für diese Behauptung keinerlei Belege. 
 

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Während mittlerweile klar ist, welche Details der Fantasiewelt Santos entsprungen waren, ist es schwierig zu erklären, welche Wahrheiten hinter der erlogenen Fassade stecken. Denn Santos Behauptungen, was seine Finanzen betrifft, sind noch undurchsichtiger als seine Lügenwelt um die eigene Person. Der Republikaner prahlte beispielsweise über ein Familienvermögen in Immobilien, für das es ebenfalls keinerlei Belege gibt.

Recherchen der New York Times brachten statt großem Vermögen vor allem Zwangsräumungen und Kreditkartenschulden ans Tageslicht. Santos hat mittlerweile etwa zugegeben, mit einem gestohlenen Scheckbuch, das sich im Besitz seiner Mutter befand, im Jahre 2008 in Brasilien Kleidung und Schuhe gekauft zu haben. Dennoch gab er 2022 in seinen Finanzberichten an, Millionen zu verdienen. Für seine Wahl-Kampagne soll er sich auf Basis diese Lügen knapp 700.000 Dollar geliehen haben. Woher das Geld gekommen sein soll, ist übrigens unklar.

Die Republikaner brauchen Santos Stimme  

Unter starkem politischen Druck gestand Santos einige seiner Behauptungen erfunden zu haben, hält aber an anderen fest. Trotz widersprüchlicher Zusammenhänge. Letztlich scheint Santos entschlossen, den Skandal auszusizen. Er weigert sich, zurückzutreten, und seine eigene Partei hat bisher obendrein wenig Bereitschaft gezeigt, ihn aus dem Amt zu drängen; insbesondere inmitten eines anhaltenden Streits um die Führung des Repräsentantenhauses. Dafür brauchten die Republikaner in der entsprechenden Wahl auch Santos' Stimme. Seine Unterstützung für Kevin McCarthy, der nach einer historischen Wahl am Samstag doch noch zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt wurde, könnte tatsächlich einer der Faktoren sein, die ihn vor Kritik aus den eigenen Reihen bisher weitgehend geschützt hat.

Trotzdem wird sich das Sprichwort „Lügen haben kurze Beine“ wohl auch im Fall Santos behaupten. Denn obwohl ihm sein falsches Spiel einen Sitz im Kongress verschafft hat, wird es Santos schwer haben, mit seinen neuen Kollegen zurechtzukommen und bedeutende Kontakte zu knüpfen. Das Zustandekommen von Absprachen in der Gesetzgebung basiert oft auf Vertrauen – und das hat Santos auch ohne großen internen Skandal bereits verloren. Denn seine Parteigenossen wissen, dass Santos Lügen die G.O.P. bereits befleckt haben. Und auch, wenn sich die Republikaner aktuell noch bedeckt halten, könnten politische Parteiführer bald versuchen, Santos an den Rand zu drängen oder eine Abstimmung im Repräsentantenhaus einzuberufen, um ihn auszuschließen. 

Rechtliche Konsequenzen

Unklar ist nach wie vor, welche Konsequenzen das Lügengestrick für Santos überhaupt haben kann. Am Dienstag reichten zwei Demokraten des US-Repräsentantenhauses eine Ethik-Beschwerde gegen ihn ein, mit der Erklärung, er müsse für seinen Betrug am Kongress und der Öffentlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden. Aktuell ist Santos größtes Problem allerdings ein rechtliches. Staatsanwälte auf Bundes- und Kommunalebene haben in New York bereits Ermittlungen eingeleitet, um zu prüfen, ob Santos während seiner Kampagne gegen Gesetze verstoßen haben könnte. Und brasilianische Staatsanwälte planen, die Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit dem gestohlenen Scheckbuch wieder aufleben zu lassen.

Sollte es zu einer Strafanzeige gegen Santos kommen, wird sich in der Folge auch zeigen, wie tolerant die Wähler – insbesondere jene US-Bürger, die Trump trotz allem unterstützten und nach wie vor unterstützen – gegenüber Lügen und Halbwahrheiten tatsächlich sind. Das wäre dann zumindest ein positives Resultat dieses Skandals: Hat Santos mit seinen Lügengeschichten das Fass zum Überlaufen gebracht? Die amerikanischen Bürger werden diese Frage früher oder später beantworten. Ausgang offen. 

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