EU-Gipfel berät über den Israel-Iran-Konflikt - Keine weitergehende Einigung

Die Regierungschefs einigten sich auf dem EU-Gipfel auf einen Dreiklang: Unterstützung für Israel, Isolation des Iran und Mäßigung beider Seiten. Das zeigt vor allem, wie unterschiedlich die europäischen Staaten die Konfliktkonstellation einschätzen.

Von Peking nach Brüssel: Bundeskanzler Olaf Scholz / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Noch während des iranischen Angriffs auf Israel sollen die politisch Verantwortlichen in Jerusalem überlegt haben, direkt zurückzuschlagen. Das hat einige Plausibilität, denn es war zu erwarten, dass im Verlauf der Zeit die Stimmen lauter würden, davon abzulassen. Das riet mit dem entsprechenden Nachdruck umgehend und direkt am Telefon mit Ministerpräsident Netanjahu der amerikanische Präsident Biden. 

Die USA waren über Israels Angriff auf die Revolutionsgarden in Damaskus vom 1. April nicht vorab informiert worden, weshalb sie nun umso deutlicher Abstimmung und Information von ihrem Verbündeten einforderten. Dafür hatten sie gute Argumente, denn ohne amerikanische Hilfe wäre Irans Angriff wohl nicht so glimpflich ausgegangen. Israel, das sich den amerikanischen Empfehlungen, den Krieg in Gaza anders zu führen und dem Schutz der Zivilbevölkerung Priorität beizumessen, weitgehend entziehen konnte, weil es diesen Krieg aus eigener Kraft führen kann, ist bei jeder Auseinandersetzung mit dem Iran auf die USA angewiesen. Deswegen hat das Wort der USA hier deutliches Gewicht.

Das sah (und sieht) man in Israel anders

Die amerikanische Regierung argumentierte, dass Israel die erfolgreiche Abwehr des massiven iranischen Angriffs als militärischen Erfolg verbuchen könne. Ebenso wie in Gaza, wo die Hamas, Irans Verbündeter, effektiv bekämpft wird, und wie in Damaskus, wo eine Führungsgruppe des Schattenkrieges gegen Israel getötet werden konnte, wäre auch die effektive Verteidigung gegen den iranischen Angriff als militärischer Erfolg zu werten. Warum sollte der durch einen offenen Schlag gegen den Iran ergänzt werden? Dagegen sprach auch, dass in den arabischen Staaten Irans Angriff auf Israel als gescheitert wahrgenommen wurde. Israel musste deshalb nicht beweisen, dass es militärisch handlungsfähig sei, davon gingen alle Regierungen sowieso aus.

Das sah (und sieht) man in Israel anders: Wer Israel angreift, müsse zur Herstellung wirksamer Abschreckung mit einem Gegenangriff rechnen. Es wäre nicht unplausibel, dass die amerikanische Regierung weit stärker als die israelische bei der politischen Kalkulation berücksichtigen würde, wie sehr sich Israels Stellung im Informationsraum durch Irans Angriff geändert hatte. Denn während Bidens Israelpolitik massiv unter Druck stand – nur noch 18 Prozent der Demokratischen Wähler hielten sie für richtig –, löste sich der Druck nun ein wenig. Umgehend hieß es im Kongress, nun müsse die militärische Unterstützung für Israel beschlossen werden.

Was hatte sich die deutsche Diplomatie dabei gedacht?

Vor dem EU-Gipfel unternahmen dann der britische Außenminister und die deutsche Außenministerin Reisen nach Israel, die den Zweck hatten, eine Eskalation durch einen israelischen Militärschlag zu verhindern. Während Cameron immerhin noch zugestand, dass Israel einen solchen trotzdem ausführen werde, blieb Baerbock eng am vorgegebenen Text. Israel sollte „maximale Zurückhaltung“ üben. So hatte das schon UN-Generalsekretär Guterres gefordert. Weil dies auch noch öffentlich ausgebreitet wurde – Baerbocks Zielpublikum war ja nicht das israelische Kriegskabinett, sondern die deutsche Öffentlichkeit –, rief dies sofort den israelischen Ministerpräsidenten auf den Plan, der sich höflich bedankte und Baerbock mit dem Hinweis, dass Israel dies selbst entscheide, verabschiedete.

 

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Was hatte sich die deutsche Diplomatie dabei gedacht? Wenn sie israelische Zurückhaltung erreichen wollte, war die offene Kommunikation der falsche Weg. Wenn sie offene Kommunikation wählte, verfolgte sie einen anderen Zweck. Sie gab damit jedoch schon ein Präludium für das, was auf dem EU-Gipfel beschlossen werden sollte. Beide Staaten, Israel und Iran, sollten äußerste Zurückhaltung üben und keine Maßnahmen ergreifen, durch die die regionalen Spannungen verstärkt werden können. Israel solle nicht „mit einem massiven Angriff antworten“, sondern die Beziehungen zu den arabischen Staaten positiv entwickeln. Parallel sollte das Ziel, Iran zu isolieren, intensiver verfolgt und besonders die iranische Rüstungsindustrie und Drohnenproduktion mit Sanktionen belegt werden.

Letzteres verwundert dann allerdings sehr. Nicht, weil das Ziel, die iranische Waffen- und Drohnenproduktion einzuschränken, unverständlich wäre. Im Gegenteil. Das ist sofort gut nachzuvollziehen. Warum es dazu aber des Angriffs auf Israel bedurfte, nachdem iranische Drohnen seit über zwei Jahren gegen die Ukraine eingesetzt werden und der Iran die Rüstungskooperation mit Russland in dieser Zeit intensivierte, ist erstaunlich. Das hätte viel früher erfolgen müssen. Somit passt es aber auch wieder in die Abfolge der EU-Gipfel, wo der Hinweis, dass dies früher hatte geschehen müssen, stets wiederholt werden muss.

Ist der Dreiklang der EU überzeugend?

Ist der Dreiklang der EU – Unterstützung für Israel, Isolation des Iran, Mäßigung beider Seiten als Politik gegenüber dem Nahen Osten – überzeugend? Auf der einen Seite können die EU-Staaten eine weitergehende Einigung nicht erzielen. Zu weit liegen die Positionen Spaniens, Irlands, Belgiens auf der einen Seite, und (zumindest bisher) Deutschlands auf der anderen Seite, auseinander. Auf der anderen Seite fehlen den europäischen Staaten die Mittel, eine eigenständige Position im Nahen Osten effektiv umzusetzen. Schließlich ist der Aufruf zur Mäßigung für alle wohlfeil. Wie unterschiedlich die EU-Staaten die Konfliktkonstellation einschätzen, würde sofort deutlich werden, wenn sich Israel nicht an den Rat aus Brüssel hält.

Die über diese Positionierung hinausreichende Aufgabe besteht allerdings darin, dass die EU eine kohärente und ihren Fähigkeiten entsprechende Politik gegenüber dem Nahen Osten – und das heißt für Sicherheitsfragen vor allem gegenüber dem hauptsächlichen regionalen Gewaltakteur Iran – entwickelt. Die Annäherung der arabischen Staaten und Israels wird von der amerikanischen Diplomatie unterstützt, wobei die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel im Zentrum stehen. Deren Verbesserung war einer der Gründe, warum die Hamas im Oktober den Terrorangriff gegen Israel ausführte. Die Annäherung sollte unterbunden werden. Der Iran verfolgt das Ziel, Israel zu isolieren, um den Staat aufzulösen, und wird es so lange verfolgen, wie das Land theokratisch regiert wird. 

Die EU muss aus dieser Konstellation die entsprechenden Schlüsse ziehen oder hinnehmen, dass in ihrer Nachbarschaft die derzeitige Gewaltlage bestehen bleibt und jederzeit eskalieren kann. Denn auch wenn Israel von einem offenen Schlag gegen Iran absieht, würde der Schattenkrieg, den Iran durch seinen Angriff ins Licht gewuchtet hat, im Schatten weitergehen. 

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