Illegaler Goldabbau in Peru - Operation Mercurio

Im peruanischen Hinterland floriert der illegale Goldabbau – das Geschäft ist inzwischen einträglicher als der Kokainhandel. Die Schäden für Mensch und Natur sind gewaltig. Doch der Staat ist machtlos.

Ein Goldsucher wäscht den Sand per Hand in einem trichterförmigen Holzteller aus / Andrzej Rybak
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Autoreninfo

Andrzej Rybak, geboren 1958 in Warschau, ist Journalist und lebt in Hamburg. Er arbeitete mehrere Jahre als Redakteur und Reporter für Die Woche, den Spiegel und die Financial Times Deutschland, berichtete als Korrespondent aus Moskau und Warschau. Heute schreibt er als Autor vor allem über Lateinamerika und Afrika u.a. für Die Zeit, Focus und Capital.

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Metallisches Rattern von Lastwagenmotoren verrät ein Goldsuchercamp. Hinter einem Sandhügel eröffnet sich ein Bild epischer Zerstörung: Wo einst ein prächtiger Urwald stand, liegt eine Kraterlandschaft, die von Hunderten Baggerseen gespickt ist. Ihr Wasser ist meist milchig braun, manche schimmern auch grün und rosa. In einigen Wasserlöchern dümpeln Flöße, auf denen Triebwerke und Pumpen montiert sind. Sie sind für den Krach verantwortlich.

Miguel sitzt auf einem solchen Floß und steuert die Anlage dicht ans Ufer. Immer wieder lässt er ein etwa 30 Zentimeter breites Rohr senkrecht in die Tiefe sinken. Die Pumpe saugt den Sand vom Boden an und spuckt ihn über ein anderes Rohr auf eine am Ufer aufgebaute, drei Meter hohe Holzrutsche heraus, die mit einem faserigen Teppich ausgelegt ist. Den Rest macht die Schwerkraft. „Die Goldpartikel sind deutlich schwerer als Sand oder Steine“, sagt der Goldsucher. „Sie verfangen sich zwischen den Teppichfasern, während das leichtere Material einfach herunterrollt.“ 

Goldfelder fressen sich in den Urwald

Das Gold. Vor mehr als 500 Jahren sind die spanischen Konquistadoren auf der Suche nach dem gelben Edelmetall nach Peru vorgestoßen und haben das Reich der Inka bezwungen. Tausende Tonnen des peruanischen Goldes machten Spanien reich. Peru ist noch heute der zehntgrößte Goldproduzent der Welt und erwirtschaftet jährlich rund sieben Milliarden US-Dollar mit dem Goldexport. Neben mehreren industriellen Minen durchwühlen Hunderttausende Goldsucher den Boden auf eigene Rechnung – obwohl das ohne staatliche Lizenz nicht erlaubt ist. 

Das größte illegale Goldsuchergebiet liegt rund um das Städtchen La Pampa, in der Amazonasprovinz Madre de Dios, unweit der Grenze zu Brasilien und Bolivien. Zwischen 30 000 und 50 000 Goldschürfer, so genau weiß es niemand, graben dort den Urwaldboden um. „Früher mussten die Leute alles mit Schaufeln ausheben, per Hand durchsieben und in einem trichterförmigen Holzteller auswaschen“, sagt Miguel. „Heute machen die Maschinen den schwersten Teil der Arbeit.“ Eine Pumpe kann 15 bis 20 Tonnen Erde pro Tag auswaschen, die im Schnitt 30 bis 40 Gramm Gold enthält.

Die großen Maschinen hinterlassen eine Spur der Verwüstung. In der Gegend von La Pampa, wo das Gold Mitte der 1980er Jahre entdeckt wurde, sind mindestens 1000 Quadratkilometer Urwald dem illegalen Goldabbau zum Opfer gefallen. Wie gigantische Narben fressen sich die Goldfelder immer weiter in den Urwald hinein – die Zerstörung ist auch auf den Satellitenbildern bei Google Maps sichtbar. Tausende verlassene und aktive Baggerseen, manche bis zu acht Meter tief, verstecken sich zwischen Dünen aus lehmartiger Erde und Hügeln aus aufgeschütteten Steinen, auf denen kaum noch etwas wächst. Der Boden ist vergiftet, denn beim Goldabbau wird Quecksilber benutzt, um die winzig kleinen Goldpartikel zu binden.

Nächstes Ziel: Umweltschutzgebiet

Die Goldsucher haben keine Mischer, um das goldhaltige Sediment mit Quecksilber zu vermengen und die chemische Reaktion von Gold und Quecksilber einzuleiten. Sie machen alles manuell – ohne jegliche Schutzmaßnahmen. Miguel und sein Kollege Luis schütten das Material, das sich in den Teppichen der Rutschen verfangen hat, einfach in ein großes altes Ölfass hinein und geben etwas Wasser und Quecksilber dazu. Dann steigt Miguel in die Tonne und mischt den Inhalt – bis zu den Shorts in der giftigen Brühe – mit seinen Füßen durch. Nach etwa einer halben Stunde kommt die Feinarbeit: In einem Metallteller wäscht Luis das feine Sediment so lange aus, bis dort nur noch silbernes Amalgam verbleibt. Durch ein Tuch pressen sie Wasserreste aus – bis das Amalgam eine feste Kugel bildet. „Da sind etwa sechs bis acht Gramm Gold drin“, sagt Miguel. Er wird das Amalgam später zu den Goldhändlern in die Stadt bringen. Dort wird die kleine Kugel mit einem Bunsenbrenner so lange erhitzt, bis das Quecksilber verdampft und reines Gold übrig bleibt.

Mit solchen Anlagen wird goldhaltiger Sand aus Hunderten von Wasserlöchern gepumpt.
Andrzej Rybak
Eines der vielen Bordelle in La Pampa; die meisten Etablissements sind rund um die Uhr geöffnet.
Andrzej Rybak
Im einstigen Urwald liegt heute eine von solchen Baggerseen gespickte Kraterlandschaft.
Andrzej Rybak
Ein Goldsucher wäscht den Sand per Hand in einem trichterförmigen Holzteller aus.
Andrzej Rybak

Wie viel Quecksilber täglich bei La Pampa im Wasser landet, im Boden versickert oder in die Atmosphäre verdampft, kann man nur schätzen. Luis Fernández, Leiter des Centro de Innovación Científica Amazónica (CINCIA) an der Wake Forest University in North Carolina, geht von 185 Tonnen pro Jahr aus. Das Quecksilber verseucht das Land auf Jahrzehnte, wird mit dem Regen in die Flüsse getragen und gelangt in den Nahrungskreislauf – in die Pflanzen, die von Fischen gefressen werden und in die Menschen, die diese Fische essen. Der Import von Quecksilber ist offiziell verboten, das Metall wird meist aus Bolivien ins Land geschmuggelt.

Im Jahr 2018 wurden durch den wilden Goldabbau in La Pampa fast 10 000 Hektar Urwald vernichtet – ein Jahresrekord. Das Abbaugebiet weitet sich ständig aus, die Goldsucher drängen inzwischen in das Naturreservat Tambopata hinein, das mit seiner Artenvielfalt viele Öko-Touristen aus der ganzen Welt anzieht. „Wenn wir sie nicht sofort stoppen, wird Tambopata unwiderruflich geschädigt“, warnt Fernández. Auch internationale Umweltschutzorganisationen schlagen seit Jahren Alarm.

Auftragsmorde sind an der Tagesordnung

Doch die peruanischen Behörden haben bisher nur selten etwas unternommen, um die illegalen Aktivitäten zu unterbinden. Alle paar Jahre führen sie groß angelegte Strafaktionen durch, an denen Tausende Polizisten und Soldaten beteiligt sind. Sie brennen ein paar Förderflöße ab, nehmen ein paar Dutzend illegale Goldsucher fest und lösen ein paar Urwaldcamps auf. Außerdem schicken sie ein paar Dutzend minderjährige Prostituierte nach Hause und schließen einige Bordelle. Doch nie belangen sie die Bosse. „Es ist eine Show für die Presse, um die internationale Gemeinschaft zu beruhigen“, sagt Francisco, der in La Pampa ein Restaurant betreibt. „Am Tag danach kehrt alles zur Normalität zurück, neue Flöße werden eingerichtet.“ Francisco kam vor einem Jahr aus der alten Inkastadt Cusco nach La Pampa. Sein Restaurant liegt mitten zwischen mehreren Dutzend Nachtklubs und Bordellen.

 

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Seit der Goldpreis nach der Finanzkrise im Jahr 2008 auf 60 Dollar pro Gramm in die Höhe schnellte, ist das Geschäft einfach zu profitabel, um es zu beenden. Nach Schätzungen der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAid sind die Gewinne aus dem illegalen Goldhandel heute höher als die aus dem Kokainhandel. „Die Besitzer der Förderflöße haben gute Kontakte zu Politik und Polizei“, sagt Francisco. „Oft sind das Familienangehörige oder Verwandte der Politiker.“ An der „Operation Mercurio“ waren 2019 in La Pampa rund 1800 Polizei- und Militärangehörige beteiligt – eine nachhaltige Wirkung zeigte sie nicht.

Die Region ist nach wie vor eine gesetzesfreie Zone, wo der Staat im Alltag wenig zu sagen hat. In La Pampa selbst gibt es keine Regierungsbehörden und auch keine Polizeistation. Kämpfe um die Kontrolle der Goldfelder werden oft offen ausgetragen, Auftragsmorde und Überfälle sind an der Tagesordnung. In den vergangenen drei Jahren wurden in La Pampa mehr als 30 Menschen ermordet. Was draußen in den Goldfeldern passiert, weiß niemand genau – die Leichen werden dort nie gefunden. 

Wer nicht verkauft, wird erschossen

Die Goldbosse stellen die Regeln auf, an die sich die Einwohner halten müssen. Sie haben brutale Schläger angeheuert und bewaffnet, um ihre Interessen zu schützen. Diese Rabauken sind bereit, jeden Auftrag zu erfüllen. Vor allem schüchtern sie Farmer ein, um ihr Land zu übernehmen – wenn sie dort Gold vermuten. Wer nicht freiwillig verkauft, wird zusammengeschlagen oder erschossen – wie Juan Fernández Hanco.

Dessen Familie besaß Land in La Pampa, Juans Bruder German arbeitete in der Verwaltung des Tambopata Naturreservats und erhielt seit Jahren Morddrohungen. „Die Polizei kennt die Mörder, sie sind immer noch in La Pampa“, sagt German. „Doch sie tut nichts, weil sie korrupt ist.“ Die Banditen bestechen auch Beamte und Richter in Puerto Maldonado, der Hauptstadt von Madre de Dios – die Gerechtigkeit hat kaum eine Chance.

Die Goldfelder sind von der Hauptstraße meist durch Zäune abgeschirmt, damit keine Fremden hineinkommen können. Auch die Camps haben Schilder angebracht, die Unbefugten das Betreten verbieten; natürlich ist auch Fotografieren untersagt. Es gilt die Devise: Das Goldgeschäft braucht keine Öffentlichkeit. Während der Corona-Pandemie hat sich zudem die Drogenmafia in La Pampa eingenistet und Kokapflanzungen in der Umgebung angelegt. Das Goldgeschäft und der Drogenhandel verschmelzen immer stärker miteinander.

Mit Prostitution zum Studium

Den illegalen Abbau stillzulegen und die Goldgräberstadt zu zerstören, ist inzwischen faktisch nicht mehr möglich. Denn La Pampa ist kein Berg­baucamp mit Holzbaracken und Zelten aus Plastikplanen wie vor 30 Jahren. In der Stadt leben 30 000 Menschen, manche Backstein­häuser ragen bis zu vier Stockwerke hoch, entlang der Hauptstraße reihen sich geräumige Hotels, Gemischtwarenläden und Autowerkstätten aneinander. Es gibt Strom, fließendes Wasser, eine weiterführende Schule und sogar eine Kirche. Viele der Einwohner sind denn auch gar keine Goldsucher. „Wir haben hier über Jahre unser Geschäft aufgebaut und verdienen ehrlich unseren Lebensunterhalt“, sagt Mariela, Besitzerin eines Ladens mit Handy-Zubehör. „Wenn die Regierung aber die Goldfelder schließt, verlieren wir die Kundschaft und können selbst einpacken. Das lassen wir nicht zu.“

Die Menschen hier sind aus dem ganzen Land nach La Pampa gekommen, aus Arequipa und Lima, aus Cajamarca und Juliaca. Die meisten stammen aus den Bergen von Cusco, die nur acht Stunden entfernt liegen, seit die Straße asphaltiert wurde. „Ich hatte keine Wahl, in Juliaca gibt es keine Arbeit, wie sollte ich meine Familie ernähren?“, sagt der Goldsucher Miguel. Nun leben sie alle in La Pampa: Während er auf einem Floß in den Goldfeldern schuftet, kümmert sich seine Frau um die zwei kleinen Kinder. Die Schürfer arbeiten in 24-Stunden-Schichten, und zwar jeden zweiten Tag. Sie sind an dem Erlös aus dem Gold beteiligt, das sie finden – meist verdienen sie 150 bis 250 US-Dollar pro Schicht.

Abends wird La Pampa zur Partymeile. Aus den Holzbaracken in den Seitenstraßen schallt laute Musik. Im grellen Neonlicht sitzen dort junge Frauen und warten auf Kundschaft. „Hier ist jedes Nachtlokal gleichzeitig ein Bordell, in ganz La Pampa gibt es Hunderte von Mädchen“, sagt die 19-jährige Samantha aus Arequipa. Sie ist vor zwei Wochen nach La Pampa gekommen und will drei Monate bleiben, um Geld für ein Studium zu verdienen. „Ich kann hier 300 Dollar in der Woche sparen – das ist mehr, als ich in Arequipa in einem Monat erzielen kann.“ Ihre Familie denkt, dass sie in der Goldgräberstadt als Köchin arbeite. 

Ein Wirtschaftsanker

Viele der Prostituierten sehen sehr jung aus, wahrscheinlich sind sie erst 15 oder 16 Jahre alt. Während der Polizeirazzien wurden aber auch schon Zwölfjährige befreit, die aus ihren Dörfern verschleppt oder von ihren Verwandten verkauft wurden. Das scheint in La Pampa niemanden besonders aufzuregen, vielleicht weil viele der Goldsucher ebenfalls nicht volljährig sind. Die Mädchen wohnen hinter der Bar und der Tanzfläche, in kleinen Räumen mit einem Bett und einem Schrank. Dort empfangen sie auch ihre Kunden. „Wenn einer aggressiv ist, kann ich unseren Sicherheitsmann rufen“, sagt Samantha. Jedes Lokal hat Sicherheitspersonal, das Raufereien sofort unterbindet. Samantha arbeitet jeden Tag 18 Stunden, die Nächte durch. Die meisten Bordelle sind rund um die Uhr geöffnet.

Die Nachtklub-Besucher sehnen sich nach weiblicher Gesellschaft. Sie bestellen Bier, das sie zusammen mit den Mädchen ihrer Wahl trinken. Damit die Flasche schneller leer wird, gießen die Prostituierten immer wieder etwas Bier auf den Boden, ohne dass die Kunden es merken. Für zwei verkaufte Biere bekommt Samantha eine Provision von 2,50 Dollar. „Es gibt viele Wege, um dem Goldsucher das Geld aus der Tasche zu ziehen“, lächelt sie charmant. Dazu gehört auch das Glücksspiel. An einer belebten Straßenkreuzung, gleich neben dem Sportplatz und der Bordellmeile, wird jeden Abend unter freiem Himmel „17 und 4“ gespielt. Dutzende Goldsucher drängen sich um die kleinen Tische. Die Einsätze sind nicht besonders hoch, doch manche spielen so lange, bis ihnen nichts in der Tasche bleibt. Auch in La Pampa gilt: Die Bank gewinnt immer. 

Madre de Dios kann auf den Bergbau nicht verzichten, er bildet das Rückgrat der Wirtschaft. In der Provinz sind insgesamt etwa 50 000 bis 80 000 Goldschürfer unterwegs, die meisten von ihnen illegal. Mit ihrer Kaufkraft sorgen sie für das Überleben von Markthändlern und Ladenbesitzern, für die Einnahmen der Bars und Bordelle. „Niemand verlangt, dass die Regierung die Goldfelder stilllegt“, sagt Luis Fernández, der Geschäftsführer von CINCIA. „Doch sie sollte wenigstens neue quecksilberfreie Abbaumethoden einführen und so die weitere Umweltzerstörung verhindern.“

Das kann aber nur gelingen, wenn der Abbau legalisiert und eine regulierte Industrie aufgebaut wird. Die zuständigen Beamten haben bisher aber nur Lizenzen an die Goldsucher vergeben, die hohe Bestechungsgelder zahlten – oder gar nicht. Damit schließt sich der Teufelskreis.

Die Fotos dieses Textes stammen von Andrzej Rybak.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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