Gipfel in Johannesburg - Die unmögliche BRICS-Familie

Die Aussicht, dass der Verbund der BRICS-Länder zu einer mächtigen Institution wird, ist ähnlich schwach wie die wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedsländer mit Ausnahme Chinas.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa empfängt Chinas Präsidenten Xi Jinping / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Jim O’Neill, meinen früheren Chef bei Goldman Sachs, fand ich bewundernswert. Seine eigentliche Tätigkeit als „Devisenmarktstratege“ hatte in meinen Augen zwar mehr Ähnlichkeit mit Voodoo-Zauberei als Ökonomie, aber zum Marketing hatte Jim überragendes Talent. Seine Meisterleistung war die Erfindung des Buchstabenkürzels „BRIC“. Mit dem Devisenmarkt hatte das Akronym nichts zu tun, sondern es war die Abkürzung für Brasilien, Russland, Indien und China. Die Wirtschaft dieser Länder, so Jims Erklärung, wachse so stark, dass sie bald zu den Industrieländern aufschließen würden.

Jims Erzählung hatte enormen Erfolg. Bald sprach man nur noch von den „BRICs“. ETFs (exchange traded funds) wurden aufgelegt, welche die Aktienmärkte dieser Länder abbildeten, und die Regierungen der Länder schufen einen losen politischen Freundschaftsbund, der sich regelmäßig zum Plausch traf. Im Jahr 2010 wurde aus den „BRICs“ die „BRICS“ – Südafrika wurde von dem Club als neues Mitglied aufgenommen. Dort findet nun diese Woche das diesjährige Gipfeltreffen des Clubs statt.

Verlierer an den Aktienmärkten

Auf den Finanzmärkten erwiesen sich die BRICS jedoch als Flop. So weist zum Beispiel der iShares BRIC50 ETF seit Mitte 2007 einen Verlust von stolzen 10 Prozent aus. Dagegen stieg der US-amerikanische S&P 500 Aktienindex um mehr als 250 Prozent in dieser Zeit. Auch ökonomisch passen die BRICS nicht zusammen. So ist in den letzten zehn Jahren nur die chinesische Wirtschaft schneller als die amerikanische gewachsen, wenn man das Bruttoinlandsprodukt in US-Dollar zu konstanten Preisen misst. Indien hinkt mit 8 Prozent Wachstum den USA hinterher, deren BIP um 26 Prozent stieg. Südafrika ist mit minus 47 Prozent, Russland mit minus 52 Prozent und Brasilien mit minus 65 Prozent regelrecht abgestürzt.

Heute vergleicht Jim – ein großer Fußballfan, der sich nun „Lord Jim“ nennen lassen darf – die Entwicklung der BRICS Gruppe mit dem Rasenspiel. Die erste Hälfte lief gut, in der zweiten fiel die Mannschaft auseinander. Die Mitglieder der Mannschaft sehen das aber ganz anders. Statt ökonomisch, wollen sie nun politisch zusammenwachsen, und zwar als Gegenspieler zu den westlichen Industrieländern. Angetrieben wird der neue Kurs von China, das zur neuen Weltmacht aufsteigen möchte, und Russland, das sein Sowjetimperium wieder herstellen will. Die Regierungschefs von Brasilien und Südafrika scheinen von einem verquasten Antikapitalismus beseelt zu sein, während Indiens Narendra Modi gerne die Rolle des egozentrischen Liberos auf dem Fußballfeld spielt.

 

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Man muss kein Hellseher sein, um zu befinden, dass die Aussichten für eine politische Macht der BRICS ähnlich mau sind, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung erwiesen hat. Zum einen haben die BRICS-Staaten unterschiedliche politische Strukturen und politische Ziele. China und Russland sind Diktaturen und suchen die offene Konfrontation mit dem Westen, während die anderen Staaten Demokratien sind und statt Konfrontation allenfalls etwas Abstand wollen. Und nicht alle BRICS sind einander gewogen: Indien und China könnte man als ziemlich beste Feinde bezeichnen, während Brasilien, Indien und zunehmend auch China dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nichts abgewinnen können.

Zum anderen steht es bei den BRICS auch wirtschaftlich nicht zum Besten. China, der Klassenprimus, ist nach der verfehlten Covid-Politik in eine Wirtschaftskrise gerutscht, aus der die Regierung keinen Ausweg zu finden scheint. Russland ächzt unter den Sanktionen des Westens, wie der Absturz des Rubels deutlich macht, während Südafrika in Korruption und Misswirtschaft versinkt. Indien und Brasilien gelten als Hoffnungsträger, aber das schon seit langem. Dass sich die Hoffnungen schließlich erfüllen, wird durch zunehmenden Protektionismus in diesen Ländern immer weniger wahrscheinlich.

Das Projekt einer gemeinsamen Währung

Bleibt also für das diesjährige Gipfeltreffen nur noch die große Geste: die Absicht, eine gemeinsame Währung als Alternative zum US-Dollar aus der Taufe zu heben. „Ich bin dafür, innerhalb der BRICS eine Handelswährung zwischen unseren Ländern zu schaffen, so wie die Europäer den Euro geschaffen haben“, sagte der brasilianische Präsident Lula in einer Rede im April dieses Jahres. Lord Jim hält die Idee für „lächerlich“. Dem kann ich nur zustimmen. Die BRICS sind alles andere als ein einheitlicher Währungsraum. Würde man bei ihnen die Konvergenzkriterien anlegen, die europäische Staaten zur Aufnahme in den Euro erfüllen müssen, würden sie krachend scheitern. Und mit der politischen Einigkeit steht es kaum besser als mit der ökonomischen.

Allenfalls kann das Projekt einer gemeinsamen Währung daher als Reaktion auf den Einsatz des US-Dollars als geopolitisches Instrument durch die US-Regierung verstanden werden. Vermutlich wollen die BRICS im Austausch untereinander und mit Drittländern vom US-Dollar unabhängig werden. Doch dafür bräuchten sie nicht nur eine gemeinsame Währung, sondern auch eine neue Infrastruktur für den internationalen Zahlungsverkehr. Die auf den Dollar gründende Infrastruktur wurde nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte geschaffen. In Konkurrenz dazu schuf die Sowjetunion für ihren Einflussbereich den sogenannten Transferrubel, der den wirtschaftlichen Austausch im Sowjetimperium ermöglichen sollte. Doch im Gegensatz zum westlichen Dollarsystem erwies sich das System des Transferrubel als kaum funktionsfähig. Statt den Handel zu befördern, wirkte der Transferrubel wie Sand im Getriebe. Eine BRICS-Währung nach diesem Muster dürfte kaum besser funktionieren.

Die Befürworter der BRICS-Währung könnten darauf verweisen, dass es mit der Blockchain heute eine neue Technik zur Abwicklung von Zahlungen gibt, wie sie zu Zeiten des Transferrubels unbekannt war. Doch um sich dieser Technik zu bedienen, bedarf es keiner neuen Währung. Die BRICS-Staaten könnten ihren Zahlungsverkehr einfach auf Bitcoin umstellen. Die Bitcoin-Gemeinde dürfte es freuen.

 

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