Spekulationen über Gesundheitszustand - Schiebt Russland Präsident Putin ins Sanatorium ab?

Ein britischer Ex-Geheimdienstchef skizziert einen möglichen Machtwechsel in Moskau: Russlands kriegsmüde Elite könnte Wladimir Putins Gesundheitszustand nutzen, um ihn loszuwerden. Angeblich leide er unter Schilddrüsenkrebs. Spekulationen über Erkrankungen des russischen Präsidenten gibt es schon länger.

Wie gesund ist Putin? In britischen Medien wird über Erkrankungen des Kreml-Chefs berichtet / dpa
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Sophia Martus hat Soziologie studiert und absolviert derzeit ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Gerüchte über die womöglich nicht mehr allzu robuste Konstitution Wladimir Putins kursieren bereits seit Jahren. Obgleich die Stichhaltigkeit medizinischer Ferndiagnosen zumindest anzuzweifeln ist, gibt es aktuelle Berichte von neuer Brisanz. Der vormalige Leiter des britischen Geheimdienstes MI6, Sir Richard Dearlove, äußerte sich laut der britischen Boulevardzeitung Daily Mail in einem Podcast zwar nur indirekt über den besorgniserregenden Gesundheitszustand des Kreml-Chefs, bringt aber die Vermutung ins Spiel, jener könne der Elite in Moskau zum Vorwand werden, um Putin aus dem Amt zu manövrieren.

„Putin will be gone by 2023“, so Dearlove laut Daily Mail. Sein Gesundheitszustand werde die Einlieferung in ein Sanatorium notwendig machen, in dem er dann, wenn es nach der russischen Führungsriege ginge, für „unheilbar krank“ erklärt werde und nicht mehr oder zumindest nicht zeitnah entlassen werden würde. Gesundheitliche Probleme Putins vorzuschieben seien eine denkbare Option für einen Machtwechsel in Russland ohne dafür einen handfesten Putsch anzuzetteln, so Dearlove. Der Ex-Geheimdienstchef sagte, dass bei Putin kürzlich Schilddrüsenkrebs diagnostiziert worden sei.

Zweifel an Putins Führungsstil wachsen

Im politischen System der russischen Föderation, das sich strukturell nur geringfügig von dem der ehemaligen Sowjetunion unterscheide, seien politische Reformen, gleich ob schrittweise oder plötzlicher Natur kaum ohne einen Machtwechsel an der Spitze möglich. Da sich indes in Russland die wirtschaftliche Lage wegen des Ukraine-Kriegs zusehends verschlechtere, wüchsen die Zweifel an Putins „Führungsstil“ in den oberen Kreisen der Staatsduma und bei Militärs. Zumal das zähe Vorankommen der russischen Truppen bei der nicht so siegreich wie geplant verlaufenden „Spezialoperation“ im Bruderland die Unzufriedenheit noch verstärken dürfte. 

Bereits Ende April hatte die Daily Mail unter Berufung auf den ehemals in Russland stationierten Agenten Christopher Steele Ähnliches berichtet: Putin sähe im Kreml „Chaos und Unordnung“. Wie Dearlove hält auch Steele ein klammheimliches Aus-dem-Weg-Schaffen Putins unter Vorgabe einer medizinischen Notwendigkeit für wahrscheinlich und absehbar. So könnte demnach womöglich zeitnah eine Operation anstehen, die aufgrund des Zustands des Patienten Putin nicht viel länger aufzuschieben sei und auch eine längere Verwaisung des Präsidentenstuhls mit sich bringen würde. Interimistisch könne in diesem Fall möglicherweise der ehemalige Leiter des russischen Geheimdienstes FSB und Sekretär des Sicherheitsrates Nikolai Patruschew zum Kreml-Chef deklariert werden, wird in Großbritannien spekuliert.

Dichtes Geflecht an Mutmaßungen

Genährt wurden diese Vermutungen zusätzlich vor den Feierlichkeiten zum 9. Mai, dem Tag des Sieges über Nazi-Deutschland und russischen Nationalfeiertag. Im Vorfeld hatte sich die westliche Presse mit Meldungen über eine angeblich bevorstehende russische Großinvasion in der Ostukraine überschlagen. Ebenfalls im Vorfeld des Tags des Sieges streute der britische Mirror die Nachricht, ein medizinischer Eingriff bei Putin und infolgedessen die kurzzeitige Verwaisung der Staatsduma stehe unmittelbar bevor. Auch von deutschen Medien wie der Bild-Zeitung, dem Focus und, wenn auch vorsichtiger, der Frankfurter Rundschau wurde diese Meldung aufgegriffen. 

Die damaligen Meldungen und die neuen Berichte ergänzen ein ohnehin bereits dichtes Geflecht an Mutmaßungen, angeblichen Insider-Berichten über eine Darmkrebserkrankung und der These, Putin leide unter Parkinson, die bereits seit einiger Zeit nicht nur von der britischen Presse verbreitet werden. Besonders ausführlich widmete sich in ihrem Artikel von April auch die Daily Mail diesem Thema: Putin leide nach wie vor an Darmkrebs sowie an Parkinson, werde permanent von einer Horde Leibärzte begleitet, mit Krebsmedikamenten aus „feindlichen“ westlichen Staaten behandelt und weigere sich notorisch, sein Parkinsonpräparat wegen sich verschlechternder Symptome zu wechseln, weil er Angst vor der Einnahme der neuen Medikamenten habe. Das Gerücht, der Präsident leide außerdem an einer Angststörung, würde dazu passen. Auch Putins große Angst vor Covid-19 könnte dies erklären.

Auf Aufnahmen wirkt Putin unruhig

Auch der Dokumentarfilmer und Oscar-Gewinner Oliver Stone, der zwischen 2015 und 2017 ausführliche Interviews mit Wladimir Putin führte, bestätigte die Gerüchte über eine Erkrankung Putins. Stone zufolge habe Putin ein Krebsleiden überwunden, was jedoch der (russischen) Öffentlichkeit vom Kreml vorenthalten werde. Dort sah man sich noch im März 2022 genötigt, dem Präsidenten sowohl mental als auch physisch einen glänzenden Gesundheitszustand zu attestieren, ob der zunehmenden Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Staatsoberhaupts, angesichts des vom Zaun gebrochenen Kriegs. 

Eine potentielle Parkinsonerkrankung Putins wird spätestens seit seinem Treffen mit Aljaksandr Lukaschenko, dem belarussischen Staatsoberhaupt, im Februar diskutiert. Auf Aufnahmen wirkt Putin unruhig und scheint nicht ganz Herr seiner Körperregungen zu sein, insbesondere die Füße scheint er nicht still halten zu können. Danach, bei einer Konferenz mit dem längere Zeit verschollen geglaubten Verteidigungsminister Sergei Schoigu wippt Putin unablässig mit den Füßen, hält zudem die Tischkante mit der rechten Hand fest umklammert und sitzt steif und eingefallen. Dabei wirkt er noch aufgedunsener als gewöhnlich. Aus dieser stets charakteristischen Physiognomie sollen sich außerdem Rückschlüsse auf eine Behandlung mit Stereoiden ziehen lassen.

Möglicher Machtwechsel

Inwiefern diese und die neuerlichen Spekulationen zu Recht Hoffnung auf eine baldige Ablösung an der Spitze Russlands und damit womöglich ein rasches Ende des Kriegs in Europa aufkommen lassen, bleibt indes fraglich. Plausibel machen kann Sir Richard Dearloves Theorie und können die Vermutungen über mögliche Erkrankungen Putins allerdings, wie ein möglicher (friedlicher) Machtwechsel im Kreml still und leise vor sich gehen könnte. Ein solcher könnte dann vielleicht auch einen „gesichtswahrenden Rückzug“ Russlands unter Berücksichtigung ukrainischer Interessen nach sich ziehen. Denn, dass der Patient Ukraine sich nicht ohne Widerstand einer „Spezialoperation“ unterziehen lassen würde, müsste langsam selbst beim russischen Staatsoberhaupt die vermessenen Großmachtphantasien zerstört haben. 

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