Geplatzter U-Boot-Deal mit Frankreich - Entsteht da gerade ein neues Militärbündnis?

Die Tragweite des Streits zwischen Australien und Frankreich wegen des geplatzten U-Boot-Deals kann kaum überschätzt werden. Tatsächlich bildet sich derzeit mit dem Abkommen zwischen den USA, Großbritannien und Australien eine englischsprachige Militär-Allianz heraus. Die Nato wird zum Auslaufmodell.

Australiens Premier Scott Morrison besteigt am Montag ein Flugzeug der australischen Luftwaffe, das ihn zu einem Treffen mit Joe Biden bringen soll / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Die Entscheidung der australischen Regierung, sich einem amerikanisch-britischen Konsortium zum Bau von Atom-U-Booten anzuschließen, hat Frankreich verärgert. Die Australier begründeten ihren Schritt damit, dass es bei der Zusammenarbeit mit den Franzosen zu erheblichen Verzögerungen gekommen sei – und verwiesen auf kulturelle Probleme wie etwa die Neigung der Franzosen, während des gesamten Monats August Urlaub zu machen und nicht pünktlich zu Sitzungen zu erscheinen. Viel wichtiger dürfte allerdings die Tatsache gewesen sein, dass ein nukleares U-Boot-Programm den Bedürfnissen Canberras wesentlich besser entspricht als ein dieselelektrisches.

Wie dem auch sei: Es handelte sich um einen riesigen Auftrag, und ich finde es immer wieder interessant, wie empört Frankreich sich gibt und wie wenig die Australier in der Lage sind, dem argumentativ etwas entgegenzusetzen.

Vom ganzen Lärm einmal abgesehen, ging es bei Australiens Entscheidung natürlich um Geopolitik – und nicht um Vertragsdetails. Als das Abkommen mit Frankreich 2016 unterzeichnet wurde (und in den Jahren zuvor, als man es aushandelte), sah die Welt anders aus als heute. China war dabei, sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln, sich auf den internationalen Handel zu konzentrieren und womöglich eine Art inneren Liberalismus anzustreben. Das Land war ein wichtiger Abnehmer australischer Mineralien, und chinesische Studenten strömten an die australischen Universitäten.

Frankreich als unsicherer Partner

Für Australien ist die Entscheidung zugunsten der Atom-U-Boote zunächst einmal keine Vorbereitung auf eine künftige Schlacht; vordergründig geht lediglich um die Modernisierung der eigenen Flotte. Die Australier waren mit den Vereinigten Staaten verbündet, aber nicht dazu verpflichtet, amerikanische Technologie zu kaufen. Doch Nationen müssen sich eben auf den schlimmsten Fall vorbereiten. Und vor diesem Hintergrund stellt sich beim Kauf von Ausrüstung aus Frankreich die Frage, was Paris im Fall eines Krieges zu leisten bereit wäre.

In Friedenszeiten basiert der Kauf von Ausrüstung nicht unbedingt auf einer Interessenübereinstimmung beziehungsweise auf der Fähigkeit oder der Bereitschaft, dass der Verkäufer sich auch an einem potenziellen Konflikt beteiligt. Im Ernstfall muss eine Nation aber umfassende Beziehungen zu einem Land unterhalten, das auch bereit und in der Lage ist, Risiken zu teilen. Mit anderen Worten: Der Preis ist nicht das Problem. Der Erwerb von Waffen muss vielmehr Teil einer gemeinsamen Interessenarchitektur sein.

Frankreich aber entsprach ganz einfach nicht diesem Profil. Sein Handeln oder Nichthandeln sind aus australischer Sicht unvorhersehbar. Frankreich hat seine eigenen Interessen – und es ist nicht klar, ob diese mit den Interessen Australiens übereinstimmen. Im Jahr 2016 war das alles kein Thema – jetzt hingegen schon.

Pakt zwischen drei Inselnationen

Durch den U-Boot-Deal werden drei Inselnationen miteinander verbunden. Großbritannien und Australien sind eindeutig Inseln; die Vereinigten Staaten als dominierende Macht in Nordamerika sind in gewisser Weise ebenfalls eine Inselnation. Der Zweite Weltkrieg war im Wesentlichen ein Seekrieg. Großbritannien konnte nur überleben, wenn es Material von den Vereinigten Staaten erhielt – und wenn Großbritannien fallen würde, wäre die Herrschaft über den Atlantik und damit auch die Zukunft der Vereinigten Staaten in Frage gestellt. Die Vereinigten Staaten mussten aber auch verhindern, dass Japan den Pazifik beherrscht. Von Anfang an sahen sie deshalb in Australien die Chance, um sich geografisch für einen Gegenangriff im Westpazifik in Stellung zu bringen.

Weder Großbritannien noch Australien konnten zulassen, dass Japan den asiatisch-pazifischen Raum kontrolliert oder Deutschland die Hoheit über den Atlantik erringt. Im aus amerikanischer Sich schlimmsten Szenario würden beide Küstenlinien der Vereinigten Staaten in Gefahr geraten und dadurch eine Isolation vom Rest der Welt drohen. Ein Bündnis von Großbritannien, Australien und den USA unter Einbeziehung Kanadas und Neuseelands würde die deutsche und japanische Vorherrschaft auf den Weltmeeren aber verhindern. Die Interessen aller beteiligten Nationen stimmten also überein. Für die Vereinigten Staaten war es schlicht unerlässlich, Großbritannien zu sichern und Japan zu blockieren. 

Großbritannien und Australien selbst mussten natürlich ihre eigenen Territorien schützen. Zwar existierten einige taktische Unstimmigkeiten, aber die strategische Konvergenz war offensichtlich.

Mit dem U-Boot-Abkommen (ganz zu schweigen von vielen anderen Kooperationen der drei Länder) kehrt die Logik des Zweiten Weltkriegs jetzt wieder zurück – nicht in Form eines Krieges, sondern, um auf einen potenziellen Krieg vorbereitet zu sein. Die Vorherrschaft über den Atlantik ist derzeit nicht in Frage gestellt, aber Großbritannien hat sich durch den Brexit bereits von Europa abgewendet. Es hat in vielen Kriegen an der Seite der Vereinigten Staaten gekämpft – wenn auch einige davon unnötig gewesen sein mögen. Die strategischen Interessen der Briten sind langfristig nicht an Europa gebunden. Sondern, wie in den 1940er Jahren, an die Vereinigten Staaten.

Wer kontrolliert den Pazifik?

Australien sieht sich einer potenziellen Bedrohung durch China gegenüber, das auf Zugang zum und auf Kontrolle über den westlichen Pazifik drängt. Australien kann China aber nicht allein entgegentreten. Die Vereinigten Staaten wiederum können den Pazifik weder ganz noch teilweise China überlassen. Im Falle eines Krieges – ein aus meiner Sicht unwahrscheinliches Szenario – muss Australien mit einer Macht zusammenarbeiten, die China zu blockieren in der Lage und dazu auch verpflichtet ist. Wie im Zweiten Weltkrieg muss Australien eine bedeutende Rolle in einem möglichen militärischen Krieg spielen können.

So gesehen, ist die geopolitische Logik in Australiens Atom-U-Boot-Deal nur allzu verständlich. In einer Situation, in der ein Krieg unwahrscheinlich ist, kann die Beschaffung von Ausrüstung als etwas völlig Normales gelten. Steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Auseinandersetzung, muss man sich auf ein umfassendes, stabiles und gut ausgerüstetes Bündnis verlassen können, bei dem die Nachschubversorgung im Interesse aller beteiligten Länder liegt.

Frankreich hat nur begrenzte Interessen im Pazifik und ist sicherlich auch nicht in der Lage, dort einen längeren Krieg zu führen. Die geopolitische Situation Australiens hat sich seit 2016 verändert, und daher ist es von grundlegendem nationalen Interesse, von wo die Unterstützung für eine U-Boot-Flotte kommt. Natürlich ist sich Frankreich dessen bewusst, aber es sieht jetzt eben einen Vorteil darin, sich als verraten darzustellen.

Viel interessanter ist es jedoch, die Entwicklung der „Five Eyes“ zu beobachten, jenes Geheimdienstkonsortiums der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Australiens, Kanadas und Neuseelands. Zumal die drei führenden Fünf-Augen-Mächte bereits ein Bündnis geknüpft haben, das weit über die Geheimdienste hinausgeht. Wichtigster Punkt in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass sich ein sehr reales internationales Bündnissystem herausbildet, das sich auf den pazifischen Ozean konzentriert. Der Nordatlantikpakt namens Nato existiert zwar noch, aber sein Auftrag und seine Fähigkeiten im Falle eines Krieges sind unklar.

Das sich derzeit entwickelnde englischsprachige Bündnis bewegt sich schrittweise nach vorn. Und die Aufkündigung des Vertrags mit Frankreich sollte in exakt diesem Licht gesehen werden. Womöglich hat ja die Wut der Franzosen, die erkennbar über die Enttäuschung wegen eines geplatzten und unbestreitbar lukrativen Vertrag hinausgeht, genau damit etwas zu tun.

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