General Sergej Surowikin - Neuer Kriegsplan, neues Kommando

Russlands Kriegsplan war von Anfang an fehlerhaft. Nachdem selbst ein enger Verbündeter Putins dessen Strategie öffentlich kritisierte, hat der russische Präsident den zuständigen Militärbefehlshaber durch General Sergej Surowikin ersetzt. Doch das neue Kommando und der neue Kriegsplan ändern nichts daran, dass die USA die Kontrolle über den Verlauf des Ukraine-Krieges haben.

General Sergej Surowikin (Aufnahme von 2017) / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Vor einigen Tagen beschloss der russische Präsident Wladimir Putin, den für den Ukraine-Krieg zuständigen Militärbefehlshaber durch General Sergej Surowikin zu ersetzen – und damit die militärische Kultur des Konflikts selbst zu verändern. Das war ein wichtiger Schritt, aber nicht unbedingt aus den Gründen, die von den meisten Medien genannt wurden. Er erfolgte, nachdem die Ukraine, die in erster Linie von den Vereinigten Staaten bewaffnet wurde, die Initiative auf dem ukrainischen Schlachtfeld ergriffen hatte. Putins Glaubwürdigkeit stand auf dem Spiel, und zwar selbst bei den vermeintlichen Kriegsbefürwortern, die nun begannen, seine Leistung zu kritisieren.

Der Ursprung der Kritik ist wichtig. Einer der lautesten Kritiker der russischen Strategie in der Ukraine ist Ramsan Kadyrow, Putins langjähriger Funktionär, der auf dessen Geheiß mit äußerster Brutalität den Aufstand in Tschetschenien unter Kontrolle hielt. Sowohl Kadyrow als auch Putin waren bestrebt, die Zersplitterung Russlands aufzuhalten und das zurückzugewinnen, was noch zu retten war.

Russlands Kriegsplan war fehlerhaft

Kadyrow unterstützte die Invasion in der Ukraine, war aber entsetzt über die Schwäche der russischen Armee, insbesondere ihres Oberkommandos. Aus seiner Sicht war eine rücksichtslose Operation gegen die ukrainische Öffentlichkeit und das ukrainische Militär erforderlich – mit anderen Worten: ein Krieg nach tschetschenischem Vorbild. Ein treuer Verbündeter Putins hat also öffentlich die Inkompetenz und Schwäche der russischen Armee angeprangert, um dann einen neuen Kommandeur zu ernennen.

Kommandeure, die bei Übungen und Stabssitzungen gut aussehen, versagen manchmal im Kampf. Mitunter ist es entscheidend, einen Kommandeur zu ersetzen, egal unter welchen Umständen. Das kommt immer wieder vor. Es ist seit einiger Zeit klar, dass Russlands Kriegsplan von Anfang an fehlerhaft war. Ein neuer Kriegsplan erfordert ein neues Kommando. Der neue Befehlshaber hat sofort ein Sperrfeuer von Raketen auf die Ukraine angeordnet.
 

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Im Krieg geht es darum, den Widerstandswillen des Feindes zu brechen; ein rücksichtsloser Angriff, bei dem alles als mögliches Ziel angesehen wird, ist der erste Schritt. Der zweite Schritt besteht darin, den russischen Soldaten klarzumachen, dass sie extrem gefährdet sind, wenn sie auf dem Schlachtfeld versagen. Moral und Motivation sind wichtig, aber sie funktionieren nicht, wenn die Armee schlecht ausgerüstet ist oder die Soldaten schlecht ausgebildet sind. Der Abschuss von Raketen ist also ein Signal für die Zukunft, aber die russischen Militärpläne werden nicht nur dann aufgehen, wenn die Truppen Angst vor ihren Befehlshabern haben. Sie setzen eine gute Ausbildung auf allen Ebenen voraus, mit geeigneten Waffen und anderen Instrumenten der modernen Kriegsführung. Beides aber braucht Zeit. Ein rechtzeitiges Raketensperrfeuer kann in dieser Hinsicht ein bisschen helfen.

Grausamkeit als Grundlage für Einigung

Um mehr Zeit zu gewinnen, würde ein Angriff von der Peripherie aus noch mehr helfen. So gibt es Berichte über russische Streitkräfte in Weißrussland und Gerüchte, dass sich die weißrussische Armee auf den Krieg vorbereitet. Sollte dies zutreffen, könnte ein Vorstoß von Weißrussland aus in Richtung Süden durchaus dabei helfen, Zeit zu gewinnen. Er würde die Ukraine dazu zwingen, sich an einer anderen Front zu verteidigen, und er würde die ukrainische Versorgungslinie von Polen aus bedrohen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Es ist unklar, ob Weißrussland in der Lage ist, einen Krieg mit hoher Intensität zu führen, und allein schon die Verlegung russischer Truppen dorthin ist schwierig.

Ein Angriff an der Peripherie wäre vielleicht möglich gewesen, bevor die ukrainische Armee kampferprobt war und bevor die USA damit begannen, massenhaft Waffen an Kiew zu liefern. Auch ein Friedensvertrag wäre vielleicht möglich gewesen – wenn jemand ernsthaft daran interessiert gewesen wäre. Nichts davon ist aber möglich, wenn Russland nach seinen eigenen Maßstäben schwach ist. Ein Raketenbeschuss in Verbindung mit dem wiederaufgebauten russischen Militär soll Russland wahrscheinlich ein Druckmittel in die Hand geben, das es vorher nicht hatte. Die einstudierte Grausamkeit des neuen Befehlshabers könnte theoretisch eine Grundlage für eine Einigung schaffen.

Die USA dominieren

Letztlich haben die USA die Kontrolle über den Verlauf des Krieges in der Ukraine, und daher ist die Ukraine eine Geisel amerikanischer Interessen. Da für die Ukraine jedoch Menschenleben auf dem Spiel stehen, kann sie den Krieg nicht so lange und so intensiv führen. Das amerikanische Ziel ist es, die russischen Streitkräfte so weit wie möglich nach Osten und damit von der Nato fernzuhalten. Das russische Ziel ist es, die gesamte Ukraine zurückzuerobern. Ein Fortschritt in diesem Konflikt hängt also bis zu einem gewissen Grad davon ab, wie glaubwürdig die neue russische Militärführung ist und wie sie die vorhandenen Truppen motivieren kann, während sie im Frühjahr eine neue Truppe aufbaut.

Bis dahin müssen sie zeigen, dass die Soldaten, die bereits vor Ort sind, ernst zu nehmen sind, und dass noch Schlimmeres bevorstehen könnte. Sie müssen den Ukrainern und Amerikanern Angst einjagen. Nächstes Mal reicht die Kritik von jemandem wie Kadyrow vielleicht nicht mehr aus. Die Produktion von Waffen ist die Grundlage dieses Krieges, und die USA dominieren die Produktion. Wenn Russland da nicht schnell mithalten kann, muss es einige Zugeständnisse machen, möglicherweise sogar große. Das ist das Problem, mit dem das neue Kommando sich auseinanderzusetzen hat.

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