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Syrischer Facebook-Aktivist - „Alle haben geweint, nur ich nicht“

Der syrische Student Wissam Alkhalil postete regimekritische Bilder und Kommentare auf Facebook und wurde dafür monatelang in einem Gefangenenlager in Syrien verhört und gefoltert. An die Revolution glaubt er immer noch

Autoreninfo

Studiert Politikwissenschaften in Hamburg und hat unter anderem für die Süddeutsche Zeitung geschrieben.

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Wenn Wissam Alkhalil die Zahl 54 hört, zuckt er innerlich zusammen. Die 54 macht ihn nervös. Die drei Monate im syrischen Gefangenenlager, in denen er kein Mensch, sondern nur noch die Nummer 54/8 gewesen ist, liegen jetzt über ein Jahr zurück. Doch die Erinnerungen bleiben präsent, auch hier in einem Hamburger Café, Tausende Kilometer von der Heimat des 20-Jährigen entfernt.

Das Far‘ Falastin-Gefängnis bei Damaskus ist berüchtigt für seine vielfältigen Foltermethoden. Narben an Wissams Armen und Beinen sind stille Zeugen: An seiner Wade drückte ein General während eines Verhörs brennende Zigaretten aus. Sie schlugen ihn mit Gummiknüppeln, versetzten ihm Stöße mit dem Gewehrlauf. Die Spuren sind bis heute noch nicht ganz verheilt.

Der Student hatte auf seiner Facebook-Seite regimekritische Kommentare veröffentlicht. Er hatte Demonstrationen mitorganisiert und dabei geholfen, die Freie Syrische Armee mit Medikamenten zu beliefern.

Angefangen hatte Wissams Engagement gegen die Assad-Regierung vor fast zwei Jahren. Mit 18 machte er sein Abitur in Damaskus. Wenig später begann er ein Ingenieursstudium an der Universität. Er gehörte zu den Besten seines Jahrgangs. Neben dem Studium begannen er und ein paar Freunde, ihre Facebook-Accounts zu nutzen, um mit Kommentaren, Bildern und Gedichten die Regierung anzuprangern. Einmal veröffentlichte Wissam ein Foto Martin Luther Kings, auf dem in arabischer Schrift steht „Fuck Bashar al-Assad“. Wissam schaut es sich auf seinem Handy-Display nochmals an. „Für dieses Bild bin ich oft geschlagen worden“, sagt er mit einem leichten Grinsen.

Dem jungen Syrer reichte es aber nicht, nur im sozialen Netzwerk aktiv zu sein. Er half, Demonstrationen mitzuorganisieren und die Freie Syrische Armee heimlich mit Lebensmitteln und Medizin zu versorgen. „Die Polizei brauchte immer 20 Minuten bis zu dem Ort, an dem wir die Demonstrationen abgehalten haben. Also haben wir sie so geplant, dass wir nach 20 Minuten wieder weg waren“, erzählt Wissam.

An die Medikamente kam er leicht, seine Schwester ist Zahnärztin, einige seiner sechs Brüder arbeiten ebenfalls als Ärzte. Das Geld für Essen sammelte er von Freunden und Bekannten.

Von der Uni in den Knast
 

Wissam erzählt das alles mit einem gewissen Stolz. Und doch, gibt er zu, sei er irgendwann „übermütig“ geworden: „Ich habe auch viele Leute um Hilfe gebeten, die gar nicht zur Revolution gehörten“. Eines Tages griffen ihn Soldaten in der Universität auf und verhörten ihn und vier seiner Kommilitonen stundenlang. Mit Schlägen und Elektroschocks versuchten sie die Studenten zu Geständnissen zu bewegen. „Alle haben geweint, nur ich nicht. Deswegen dachten sie, ich nehme Marihuana“, sagt Wissam. „Aber ich konnte nicht weinen, ich war geschockt“.

Von der Universität aus ging es in einem kleinen Bus nur ein paar Kilometer weiter ins Far‘Falastin-Gefängnis. „Das ist kein normales Gefängnis. Es ist eher ein Kriegsgefängnis“, sagt Wissam. „Ich wurde fünf Mal von syrischen, persischen und russischen Militärs verhört und bis zur Ohnmacht geschlagen. „Sie sagten, ihr seid Terroristen, ihr arbeitet für Israel“. Auch Frauen und vierzehnjährige Mädchen hielt die Regierung dort offenbar für Terroristen.

Am meisten Angst hatte Wissam, dass die Soldaten seinen USB-Stick finden, den er unter einer Einlage im Schuh versteckt hatte. „Wenn sie ihn gefunden hätten, wäre ich tot gewesen“. Auf dem Stick waren Fotos und Videos von Anti-Assad-Demonstrationen gespeichert. Ihm gelang es, beim Ausziehen den Stick in seiner Socke zu verstecken. Es war fast ein Wunder.

Aus dem Gedächtnis zeichnete Wissam später irgendwann eine Skizze des unterirdischen Komplexes, in dem er gefangen war. Er tippt auf das Handydisplay – dort, wo die Zelle mit der Nummer acht eingezeichnet ist. Mit etwa 120 anderen wurde er, die Nummer 54, hier eingepfercht.

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Die Zellen, sagt der 20-Jährige, seien nicht größer als 20, 25 Quadratmeter gewesen. Jeder habe einen Platz von etwa zwei Kacheln gehabt, beschreibt er und deutet auf den Fliesenboden des Cafés. Pro Verlies gab es demnach ein WC und eine Dusche, in der jeder Gefangene pro Tag 30 Sekunden zubringen durfte. Zu essen hätten die Gefangenen jeden Tag zwei Scheiben Brot und eine Handvoll ungesalzenen Reis bekommen. Viele seien krank geworden. Wissam blieb gesund.

 

Im Gefängnis traf er seinen besten Freund wieder, der versucht hatte, in den Libanon zu fliehen. Auch einer seiner Professoren an der Universität wurde inhaftiert. In einem Vortrag hatte er den Studenten gesagt, Syrien sei keine Demokratie mehr. „Er hat immer gesagt, Wissam, du musst lachen. Wir leben hier, wir bleiben hier, du musst lachen“. Lachen war schwierig, denn die Gefangenen durften nicht einmal laut reden, nur flüstern.

Fotos aus dem Innern des Gefangenenlagers kursieren zuhauf im Internet. Wissam hat ein paar davon auf seinem Handy gespeichert. Sie zeigen halbnackte, ausgezehrte Menschen, die mit dem Gesicht zur Wand stehen, die Hände in Eisenhalterungen über dem Kopf. Oder zusammengekauerte Körper, dicht aneinandergedrängt auf dem Steinboden. „Die Gefängniswärter verdienen Geld damit, dass sie Fotos machen und sie an die Medien verkaufen“, erklärt Wissam. Nach drei Monaten begann seine Gerichtsverhandlung. „Sie fragten mich: Bereust du, was du getan hast? Und ich sagte, ja“. Der Richter sprach ihn frei.

Mit umgerechnet drei Euro wurde Wissam aus dem Gefängnis entlassen, zehn Kilo leichter, ausgemergelt, voller Wunden und mit dreckiger Kleidung. Das erste Mal seit drei Monaten sah er die Sonne wieder. Statt einer Busfahrkarte nach Hause kaufte er sich Süßigkeiten. Dann rief er seine Mutter an. Beide weinten nur am Telefon. „Sie wusste gleich, dass ich es bin. Ich habe nur gesagt: Mama, koch mir Maldum“. Das Pfannengericht mit Hackfleisch, Tomaten und Auberginen ist eines von Wissams Lieblingsspeisen.

Von Damaskus nach Hamburg
 

Seit zehn Monaten lebt Wissam nun nicht mehr in seiner Heimat Damaskus, sondern in Hamburg. Der Weg nach Deutschland war abenteuerlich: Von Damaskus aus schlug er sich allein bis nach Homs durch. Dort schloss er sich der Freien Syrischen Armee an. In Aleppo verhörten ihn die IS-Terrortruppen. Er hatte Glück: Sie schickten ihn weiter. In der Türkei holte ihn schließlich sein älterer Bruder ab, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt.

Wissam möchte hier nicht ständig als Flüchtling angesehen werden. „Sie nennen mich immer einen Ausländer“, sagt er. Und das, obwohl er gut Deutsch spricht, im Verein Fußball spielt und mittlerweile seine ganze Familie in Hamburg lebt und arbeitet. Er muss sich mit der Bürokratie der Hamburger Behörden herumschlagen, mit Visabestimmungen, Aufenthaltsgenehmigungen, besucht Sprachkurse und macht sich wie jeder angehende Student Gedanken um einen Studienplatz.

Hier in der Hamburger Innenstadt scheint die Revolution weit weg zu sein. In Wissams Welt aber geht die Revolution weiter, ganz gleich, wo er gerade ist. Immer noch postet er auf seiner Facebook-Seite, schreibt regimekritische Artikel, hält Kontakt zu den Bekannten und Freunden in Syrien. In der Hamburger Innenstadt organisiert er Demos und Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Assad-Regimes. Manchmal würde er gerne kämpfen, als Teil der Freien Syrischen Armee. Das aber will seine Mutter nicht.

Stattdessen bleibt er vorerst hier. Mit seinem karierten Hemd, den sorgfältig gestylten Haaren und den modischen Schuhen sieht er aus wie jeder andere Student. Die langen Jeans und die Hemdsärmel verdecken seine Narben. Nur das Armband mit der Aufschrift „Free Syria“ und der oft gedankenverlorene Blick erinnern daran, dass er ein Mensch ist, der Ungerechtigkeit, körperliche Gewalt und unmenschliche Angst erfahren hat. An die Revolution und an sein Land glaubt er trotzdem noch.

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