Gabriel Attal wird Premierminister - Das Wunderkind steigt auf

Der politische Senkrechtstarter Gabriel Attal, der den Franzosen als Regierungssprecher bekannt war und zuletzt mit gerade einmal 34 Jahren das Bildungsministerium leitete, wird neuer Premierminister seines Landes. Mit Macron hat er einiges gemeinsam.

Gabriel Attal hinter Emmanuel Macron / dpa
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Martina Meister ist Korrespondentin in Frankreich für die Tageszeitung Die Welt.

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Eigentlich war es nur ein stinknormaler Parteitag, aber als Erziehungsminister Gabriel Attal Anfang Oktober des vergangenen Jahres in der Messehalle von Bordeaux auftauchte, führten sich die Mitglieder von Emmanuel Macrons Partei Renaissance wie die Fans eines Rockstars auf: Selfies ohne Ende, Autogrammbitten und hysterische Rufe seines Namens. Auch der Saal, in dem Attal mit seinem Vorgänger Jack Lang diskutieren sollte, erwies sich als viel zu klein. Die französischen Medien sprachen nach diesem Wochenende von einer „attalmania“, als wäre die Begeisterung für den jungen Politiker eine Form von manischem Krankheitszustand. 

Seit der 34-jährige Gabriel Attal mitten in der Sommerpause 2023 zum Erziehungsminister ernannt wurde, stieg seine Beliebtheitskurve raketenhaft hoch im Umfragehimmel. Seine erste Amtshandlung, das Verbot der Abaya an den Schulen, sorgte für wochenlange Debatten in der Gesellschaft und seine Omnipräsenz in den Medien. Als Attal kurz nach dem tragischen Selbstmord eines jungen Schülers innerhalb weniger Tage auch noch einen ambitionierten Plan zur Bekämpfung des Mobbings an Schulen vorlegte, wirkte es, als sei er der erste Erziehungsminister, dem es gelingen könnte, aus diesem schwierigen Amt politisches Kapital zu schlagen. Viele in Frankreich fragten sich bereits, wie weit es der ehrgeizige Minister noch bringen wird. Nun ist klar: Er wird Frankreichs neuer Premierminister, nachdem Elisabeth Borne von diesem Amt zurückgetreten ist. 

Jung, brillant und scheinbar unschlagbar

Da Macron sich nicht um eine dritte Amtszeit bewerben kann, bringen sich in den Reihen seiner politischen Familie derweil bereits zahlreiche Anwärter in Stellung. Innenminister Gérald Darmanin träumt laut davon, Präsident zu werden; Modem-Chef und Koalitionspartner François Bayrou sieht sich mit seinen 72 Jahren als „Joe Biden à la française“. Und Ex-Premierminister Édouard Philippe hat eigens eine Partei gegründet, Horizons mit Namen, die ihm den Weg in den Élysée-Palast ebnen soll. 

Philippes Name fiel lange als erster, wenn man die Franzosen fragte, wer im Umfeld Macrons am besten für seine Nachfolge geeignet ist. Doch pünktlich zur großen Parteisause in Bordeaux veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Ifop vor wenigen Monaten eine Umfrage, bei der Attal den Platzhirsch Philippe erstmals entthront hat. Eine deutliche Mehrheit fand, dass Attal der geeignete Nachfolger des Präsidenten sein könnte, ungeachtet dessen, welcher Partei sich die Befragten nahe fühlen. 

Attal wusste selbst, dass die dreieinhalb Jahre bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen eine lange Zeit sind. Kometen leuchten hell, aber sie verglühen auch schnell. Sein Profil ähnelt dem Macrons jedoch verdächtig: jung, brillant und scheinbar unschlagbar. Wie Macron hat Attal eine Bilderbuchkarriere vorzuweisen: Nach dem Abitur an der privaten École alsacienne, wo schon Sechsjährige auf hohe Ämter vorbereitet werden, studierte Attal an der Eliteuniversität Sciences Po. Noch vor seinem Masterabschluss wurde er mit 23 der jüngste Berater in einem Ministerkabinett, mit 25 beigeordneter Bürgermeister von Vanves, dann Abgeordneter, mit 28 der jüngste Staatssekretär, mit 29 Parteisprecher, mit 31 Jahren Regierungssprecher, mit 33 Minister, der jüngste in der Geschichte der V. Republik. 

 

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Mit seinem politischen Ziehvater Macron teilt er die Lust am verbalen Gefecht, ein fotografisches Gedächtnis und eine fast unmenschlich anmutende Arbeitskapazität gepaart mit einem geringen Bedürfnis an Schlaf. Wie Macron hat auch Attal immer alle Zahlen parat, beherrscht seine Themen bis ins Detail und brachte Oppositionspolitiker bisher schon mal mit einem gezielten Satz zum Schweigen. Als „sniper“, als verbalen Scharfschützen, hat ihn Le Monde bereits 2017 bezeichnet, als Attal mit damals nur 28 Jahren die große politische Bühne betrat. Seither hat er sich als brillanter Politiker entpuppt, der sich in der „schwammigen Ideologie Macrons wie ein Fisch im Wasser bewegt“, so formuliert es ein Beobachter. 

Wenn 2027 die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen, wird Attal erst 38 sein, ein Jahr jünger also als Macron 2017, der mit 39 Präsident wurde. „Ein Wettrennen der Jungen“, prophezeite bereits ein Berater des Präsidenten mit Blick auf die Konkurrenz des rechtspopulistischen Rassemblement National, dessen Kandidatin Marine Le Pen bereits zwei Mal erfolglos in der Stichwahl war. Gut möglich, dass sie ihrem politischen Ziehsohn und Parteichef Jordan Bardella, 28, das Rennen überlässt, um eine dritte Niederlage zu vermeiden. Ob Attal trotz Ernennung zum Premierminister nun immer noch vorhat, zum Präsidenten aufzusteigen? Die kommenden Jahre werden es zeigen. 

Dieser Beitrag ist in einer usprünglichen Form in der November-Ausgabe des Cicero erschienen. 

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