G7-Gipfel in Japan - Im Angesicht der Bedrohungen

Am ersten Tag des G7-Gipfels in Hiroshima steht offiziell der Frieden im Vordergrund. Tatsächlich aber stellt man sich weiter auf das Gegenteil ein. Und mit Wolodymyr Selenskyj soll am Wochenende noch ein Ehrengast dazukommen – was das Gefühl eines neuen Kalten Krieges nur verstärkt.

Die Regierungschefs der G7-Staaten erinnerten an die Opfer des Atombombenabwurfs in Hiroshima / dpa
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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Die Regierungschefs sahen etwas steif aus, als sie vor diesem einmaligen Denkmal stehen und irgendwie freundlich schauen sollten. Es nieselte, im Hintergrund ragte der „Atomic Dome“ über ihren Köpfen, jene Ruine mit Kuppelturm, die deutlicher als jedes andere Gebäude an die Wehen durch Atomwaffen erinnert. Am 6. August 1945 wurde Hiroshima von der ersten in einem Krieg eingesetzten Atombombe verwüstet. Der ramponierte „Atomic Dome“ war das einzige Gebäude der Innenstadt, das nicht völlig zerstört wurde. Und vor dieser Kulisse posierten die hohen Politiker nun.

Das Bild bei Regenwetter fasst zusammen, wie delikat dieser G7-Gipfel in Hiroshima ist: Inmitten des russischen Krieges gegen die Ukraine und weiterer geopolitischer Spannungen wollen diese sieben führenden Industriestaaten und die EU zeigen, dass sie für Frieden stehen. Fumio Kishida, Premierminister des Gastgebers Japan, hat Hiroshima auch deshalb als Standort ausgewählt, weil sich Hiroshima seit Jahrzehnten für Pazifismus und nukleare Abrüstung einsetzt. Die Zerstörung zu Ende des Zweiten Weltkriegs will man hier als Mahnung für die gesamte Menschheit verstanden wissen.

Japan möchte sicherheitspolitische Potenz ausstrahlen

Allerdings schwebt über diesem G7-Gipfel das Gegenteil von Friedfertigkeit. „Dies wird der wichtigste G7-Gipfel der japanischen Geschichte“, hat Kishida im Voraus erklärt. Der Premier des ostasiatischen Landes hatte sich schon vor dem offiziellen Beginn des dreitägigen Treffens mit diversen Regierungschefs auf bilateraler Ebene besprochen. Jedes Mal ging es nicht um eine Intensivierung sicherheitspolitischer Kooperation. Das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs pazifistisch eingestellte Japan präsentiert sich in Hiroshima als Hegemon Asiens, flankiert von potenten Freunden.

Am Donnerstagabend schüttelte Kishida etwa die Hand von US-Präsident Joe Biden, dessen Land zahlreiche Militärbasen in Japan unterhält, und erklärte die Stärke dieser Allianz. Dann traf sich Kishida mit Italiens Ministerpräsidenten Giorgia Meloni und dem britischen Premier Rishi Sunak – mit diesen beiden Staaten entwickelt Japan derzeit ein neues Kampfflugzeug. Und nach einem Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz hieß es in einer Presseerklärung, die zwei Staaten würden auch in Bezug auf die Sicherheitsherausforderungen China und Nordkorea „eng zusammenarbeiten“.

Sanktionen gegen Russland werden verstärkt

Die ausgestrahlte Potenz zeigte sich am Freitag auch in Gestalt des ersten offiziellen Statements. „Wir, die Anführer der G7, bestätigen unsere Verpflichtung, gemeinsam gegen Russlands illegalen, ungerechtfertigten und unprovozierten Angriffskrieg gegen die Ukraine einzustehen.“ Die militärische wie finanzielle Unterstützung für die Ukraine werde nicht enden. Was sich auch darin ausdrückt, dass an diesem Wochenende der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spontan zum Gipfel dazustoßen soll. Die Sanktionen gegen Russland werden unterdessen einmal mehr verstärkt.

Im Statement heißt es etwa, die G7-Staaten werden dafür sorgen, dass diverse mit dem Militär verbundene Wirtschaftssektoren in Russland vom internationalen Handel abgetrennt werden: „Industriemaschinen, Werkzeuge und andere Technologie, die Russland für den Wiederaufbau seiner Kriegsmaschinerie nutzt.“ Ebenso durch Sanktionen soll das russische Diamantengeschäft blockiert werden, durch das der Krieg derweil ebenso subventioniert wird. Zudem wolle man seine Abhängigkeit von russischen Rohstoffen insgesamt weiter reduzieren.

 

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Drittstaaten sollen fortan nicht nur dazu ermutigt werden, bei dieser Initiative mitzuziehen. Gegen diejenigen, die etwa den Krieg Russlands unterstützen, werden die G7-Staaten eigens aktiv werden. Dies ist nicht zuletzt als Fingerzeig in Richtung China zu verstehen. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 besteht schließlich die Sorge, dass China es Russland bald nachmachen und das von Peking reklamierte Taiwan angreifen könnte. Für diesen Fall haben zumindest die USA und Japan mehrmals angedeutet, dass sie auf der Seite Taiwans stünden.

Sowohl Russland als auch China bedrohen benachbarte Demokratien

Die Parallelen dieser zwei Konflikte liegen auf der Hand: Russland und China sind zwei nationalistisch und autoritär regierte Staaten, die Ukraine und Taiwan dagegen wesentlich kleinere Demokratien, die eine lange Konfliktgeschichte mit ihren größeren Nachbarn haben, aber großen Wert auf ihre Autonomie legen. Chinas Regierungschef Xi Jinping hat zudem immer wieder zu verstehen gegeben, dass er auch vor Zwang nicht zurückschrecken werde, wenn es darum geht, dass Taiwan künftig von Peking aus regiert wird.

Andererseits bestehen auch deutliche Unterschiede. So ist China von einem funktionierenden Taiwan abhängig, das den globalen Markt für Halbleiter dominiert. Im Falle eines Angriffs käme es zu Kämpfen, die Chipfabriken erlitten entweder Schäden oder wären in ihrer Produktionskapazität reduziert. Die Folge wäre wohl eine Wirtschaftskrise. Zudem wäre Taiwan wegen seiner Insellage wohl schwieriger einzunehmen als die Ukraine, die mit Russland eine lange Landgrenze hat. Und die USA haben zuletzt durch einen neuen Pakt mit den Philippinen ihre regionale Militärpräsenz erhöht.

Zukunft des Taiwan-Konflikts

Tatsächlich könnte die entschlossene Reaktion westlicher Staaten gegen Russlands Aggression auch Peking beeindruckt haben. So hat es die chinesische Regierung in Wahrheit womöglich gar nicht so eilig, Taiwan schnell unter seine Kontrolle zu bringen. Viele Analysten vermuten, Peking werde eher versuchen, durch dauerhafte militärische Drohungen, diplomatische Isolation und wirtschaftlichen Druck langfristig darauf hinzuarbeiten, Taiwan ohne Krieg einzunehmen. 

Unklar ist auch, ob die westlichen Staaten ähnliche Sanktionen wie solche gegen Russland auch gegen China beschließen würden. Von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist jeder G7-Staat deutlich stärker abhängig als von Russland. Um dies zu vermeiden, bemühen sich die in Hiroshima konferierenden Staaten allerdings auch, durch eine Diversifizierung der Wertschöpfungsketten ihre Abhängigkeit von China zu vermeiden. Nicht zuletzt deshalb hat der Gastgeber Japan Südkorea, Indien, Indonesien, Australien, Brasilien, Vietnam, die Komoren und die Cookinseln eingeladen.

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