Reisen soll wieder rar werden - Frankreich limitiert den Zugang zu Sehenswürdigkeiten

Sorgt die Covidpause für ein Umdenken? In Frankreich wird der Zugang zu Sehenswürdigkeiten und Naturschauplätzen von der Côte d’Azur bis zur Bretagne zunehmend eingeschränkt.

Auch die Insel Bréhat in der Bretagne hat ein Tageslimit eingeführt / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Es ist bekannt: Ins Paradies kommen leider nicht alle. Der Chauffeur der Buslinie B1 von Marseille fragt freundlicherweise, als er den ausländischen Reisenden an der menschenleeren Endstation im Studentencampus Luminy aussetzt: „Haben Sie eine Reservierung für die ‚calanques‘?“

Die Calanques, diese Felsbuchten mit türkisblauem Meerwasser in pittoresken Kalksteinschluchten, besucht man neuerdings nicht mehr spontan. Drei Tage vor dem gewünschten Besuchstermin muss man sich auf der Webseite dieses nationalen Naturparks einschreiben. Und wer schon im Ferienmodus des Ausschlafens ist, kommt nicht weit: Das Reservierungsfenster geht jeweils um Punkt neun Uhr morgens auf; wenige Minuten später sind die 400 Plätze schon vergeben.

Léon, das Haar schneeweiß, die Haut dunkelbraun gebrannt, kommt mit seinem Fahrrad an. Der Marseiller Rentner besucht die Calanques seit vierzig Jahren. Was ihn ärgert, ist nicht so sehr die Reservierungspflicht, sondern der Umstand, dass man sich nur übers Internet einschreiben kann. Denn Léon hat weder Telefon noch Computer. Abgesehen davon begrüßt er die Kontingentierung der Besucherzahlen. „Früher, als es hier noch keinen Autoparkplatz gab, waren wir eine Handvoll Calanques-Insider. Wir wussten, wo die Wanderfalken hausten und dass die Schlangen harmlos sind. In den Meeresbuchten fühlten wir uns so naturnah und unschuldig wie Adam und Eva. Heute ist das alles vorbei.“

Kontingentierung stößt auf breite Zustimmung

In den letzten Jahren überfluteten an einzelnen Tagen 3500 Besucher den Calanques-Park. Jeden Sommer wurden es mehr. Jetzt hat die Parkleitung die Reißleine gezogen und die Besuchsobergrenze auf 400 pro Tag festgelegt. Darüber freut sich auch Agathe, „écogarde“ (Umweltwächterin), am Eingang zum riesigen Parkgelände. Am liebsten begrüßt sie die jüngeren Besucher, um ihnen zu erzählen, dass in den Calanques spezielle Fledermäuse lebten – und siebzehn Habichtsadler, mehr als die Hälfte des Bestandes in ganz Frankreich.

Dann geht es unter der sengenden Sonne eine Dreiviertelstunde lang durch die mediterrane Kalklandschaft. Die Grillen zirpen, der blühende Lavendel riecht. Ortsfremd wirken nur die zwei Wachleute, die hinter einer Wegbiegung die Reservation auf dem Handy sehen wollen. Am Meer angelangt, gilt es die Felsen bis zu den wunderschönen Strandbuchten hinunterzuklettern. An den teilweise nur zwanzig Meter breiten Stränden liegen die Badetücher bereits am Morgen eng. Nicht auszumalen, wie überfüllt die Buchten mit zehnmal mehr Menschen waren.

 

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Wie Zacharie Bruyas von der Parkleitung später erklären wird, stößt die Kontingentierung in und um Marseille auf „breite Zustimmung“. Das ist vielleicht auch so, weil das ganze Gelände Umweltschutzrevier ist, in dem Restaurants oder Hotels nichts zu suchen haben. Eine ähnliche Limitierung haben diesen Sommer die zwei malerischen Inseln Porquerolles und Port-Cros in der Nähe von Toulon beschlossen. Dort gab es aber Widerstand von Seiten der Fährbetriebe und Reisebüros, die sich nicht mit 6000 Besuchern am Tag begnügen wollen.

Anders in der Bretagne. Die an der Nordküste gelegene Insel Bréhat hat im Juni erstmal selbst ein Tageslimit von 4700 Besuchern festgelegt. Das ist immer noch mehr als das Zehnfache der 427-köpfigen Inselbevölkerung. Ankunft für Besucher ist einzig per Fährschiff und zwischen 8:30 Uhr und 14:30 Uhr erlaubt. Bürgermeister Olivier Carré will auf diese Weise die Böden schützen und die wilde Ablagerung von Abfall verhindern. Und an den Komfort der Reisenden denken: Wie es eine Studie über die bretonischen Inseln formuliert, „sinkt die Zufriedenheit der Inselbesucher bei starkem Andrang rasch“.

Gemeinden zögern gelegentlich

Es ist kein Zufall, dass vor allem Inseln oder begrenzbare Naturschutzgebiete Besucherquoten einführen: Durchsetzung und Kontrolle erfordern wenig Aufwand. Manchmal zögern aber auch die vom Fremdenverkehr lebenden Gemeinden, Kontingente einzuführen: Sie wissen, dass dann potenziell auch in den Gaststätten weniger reserviert und konsumiert wird. Dieses Argument führt auch der zuständige Gemeinderat des korsischen Naturschutzgebietes Scandola in Korsika an. Das zum Unesco-Welterbe gehörende Wildrevier zögert, eine Besucherobergrenze einzuführen.

Auch andere Orte tun sich schwer damit. Der berühmte Mont Saint-Michel will keine Restriktionen ergreifen, obwohl an Spitzentagen bis zu 30.000 Besucher Kopf an Kopf den mythischen Kirchenhügel in der Meeresbucht heimsuchen. Der kleine Ort Etretat, umgeben von den imposanten Kalkfelsen der Normandie, weiß sich so wenig zu helfen wie Monets legendärer Seerosen-Garten in Giverny, wo Autofahrer an schönen Sonntagen bis zu drei Stunden auf einen Parkplatz warten müssen.

Nur unwesentlich besser geht es dem schmucken Provence-Ort Gordes, der von Sommereisenden überflutet wird, obwohl er die Parkierpreise weit entfernt vom Dorfzentrum massiv erhöht hat.

„Der Tourismus tötet das Reisen“

Der Tourismussoziologe Rodolphe Christin schildert in einem vielbeachteten „Handbuch des Anti-Tourismus“ die negativen Folgen für Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien. Seine prägnante Formel: „Der Tourismus tötet das Reisen.“ Und sein Rezept: „Wir müssen weniger häufig reisen, aber dafür jeweils länger.“ Außerdem müssten die Reiseländer bahnbrechende Neuerungen einführen und zum Beispiel die zweimonatige Sommerpause französischer Schulen staffeln. Die einzelnen Gemeinden seien jedenfalls überfordert; sie schöben sich die Touristenmassen nur gegenseitig zu.

Die Regierung in Paris will sich nun des Problems des touristischen Massenandrangs in Spitzenzeiten annehmen. Tourismusministerin Olivia Grégoire hat im Juni ein Expertengremium eingesetzt, das Wege prüfen soll, die Besucherströme besser zu verteilen. Sogar Influencer sollen eingespannt werden, um die Touristen umzuleiten. Geprüft werden auch Werbekampagnen, um die meistbesuchten Sehenswürdigkeiten wie die Loire-Schlösser oder das Louvre-Museum in Paris zu entlasten. Grégoire denkt an ähnliche Besuchsfenster, wie sie heute bereits für vielbesuchte Sonderausstellungen gelten. Und neuerdings auch für Felsbuchten oder Trauminseln.

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