Bijan Djir-Sarai über die iranische Protestbewegung - „Deutschland muss jetzt auf der richtigen Seite stehen“

Der iranischstämmige FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai fordert im Gespräch mit Cicero eine neue Härte im Umgang mit der Islamischen Republik. Zu lange sei Deutschland naiv gewesen und habe der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen wollen. Außerdem spricht er über seine Ablehnung der Atomverhandlungen, die Notwendigkeit scharfer Sanktionen sowie seine Kindheit in Teheran.

Iranische Frauen demonstieren für ein Leben in Freiheit / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren und aufgewachsen. Als Kind brach er 1987 zu seinem Onkel nach Grevenbroich auf, um in Deutschland bessere Lebenschancen zu erhalten. Als Politiker vertritt Djir-Sarai heute den Wahlkreis Neuss im Deutschen Bundestag.

Herr Djir-Sarai, Sie sind im Alter von elf Jahren aus Teheran nach Deutschland gekommen. Was sind Ihre Kindheitserinnerungen an die Islamische Republik?

Ich bin wenige Jahre vor der Machtübernahme der Islamisten auf die Welt gekommen. An meine Grundschulzeit kann ich mich noch sehr gut erinnern. Meine Lehrer waren bewaffnete Revolutionsgardisten, und unsere Schulbücher waren voller hasserfüllter Propaganda, die uns zu glühenden Anhängern der Islamischen Republik machen sollten. Politische Verfolgung und Unterdrückung waren ein ständiger Begleiter der Menschen, daher herrschte in diesen radikalen Zeiten auch ein permanentes Klima der Angst. Sehr eindrücklich erinnere ich mich auch noch an die Bombardierungen meiner Geburtsstadt Teheran durch das irakische Militär. Auch uns Kinder wollten die Revolutionsgardisten für einen Fronteinsatz im Krieg gegen den Irak begeistern.

Wie groß ist Ihre emotionale Verbindung zu Ihrem Geburtsland?

Der Iran ist meine alte Heimat, und meine Muttersprache ist Persisch. Ich bin in Teheran aufgewachsen und habe als Kind dort prägende Jahre meines Lebens verbracht. Meine Heimat ist heute Deutschland, aber meine Gedanken sind auch bei den mutigen und tapferen Menschen im Iran.

Sie haben Familienangehörige, die im Iran leben. Was berichten diese über die Proteste der letzten Wochen?

Ehrlich gesagt berichten sie nicht viel, da sie große Angst davor haben, von den iranischen Sicherheitsapparaten abgehört zu werden. Außerdem wurde das Internet im Iran seitens des Regimes größtenteils gesperrt, damit die Kommunikation zwischen den Demonstranten beeinträchtigt wird. Doch die Community der Exil-Iraner ist weltweit sehr gut vernetzt. Dort tauscht man sich in diesen Tagen intensiv über die politischen Vorgänge im Iran aus.

Was unterscheidet die heutige Protestbewegung von vergangenen Aufständen?

Die Menschen im Iran haben lange Zeit geglaubt, dass sich ihre Lebensverhältnisse durch Reformen verbessern könnten. So gab es Ende der 1990er-Jahren große Hoffnungen, als mit Mohammad Khatami ein vermeintlicher Reformer zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Seit einigen Jahren hat sich für die überwiegende Mehrheit der Iraner jedoch eine tiefe Ernüchterung eingestellt, da das System schlichtweg nicht reformierbar ist. Das Regime besteht aus ultrakonservativen Hardlinern, deren Existenz vom Fortbestand der Islamischen Republik abhängt.

Wie kann die Bundesregierung die Demonstranten im Iran unterstützen?

Bijan Djir-Sarai / picture alliance

Wir müssen unmissverständlich klar machen, dass wir in diesen Wochen an der Seite der iranischen Demonstranten stehen. Doch auf Worte müssen auch Taten folgen. Die USA und Kanada zeigen den iranischen Machthabern in Teheran mit starken Sanktionen, dass sie die brutalen Menschenrechtsverletzungen nicht dulden. Die Sanktionen der Europäischen Union hingegen sind vor allem symbolischer Natur und können nur als erster kleiner Schritte verstanden werden.

Die neuen EU-Sanktionen richten sich gegen Sittenwächter und Revolutionsgardisten. Warum werden nicht die höchsten politischen Machthaber in die Verantwortung genommen?

Für mich ist klar, dass von der Europäischen Union noch mehr kommen muss. Wir sollten zielgerichtete personenbezogene Sanktionen gegen die politische Elite des iranischen Regimes auf den Weg bringen. Die Machthaber der Islamischen Republik dürfen mit ihrer menschenrechtsverletzenden Brutalität nicht einfach unbestraft davonkommen. Das erwarten übrigens auch viele freiheitsliebenden Iraner von uns. Seit einigen Wochen riskieren sie ihr Leben im Kampf für Demokratie und Menschenrechte, also genau für jene Werte, die für uns Europäer von zentraler Bedeutung sind.

Das iranische Regime betreibt ein weltweites Netzwerk an politischen Lobbyisten. Auch das Außenministerium hofiert mit dem Berater Adnan Tabatabai einen Getreuen der Islamischen Republik. Warum geben wir Lobbyisten einer Diktatur eine solche Bühne?

Dazu sollte das Außenministerium auf der Grundlage von Fakten Stellung beziehen. Unabhängig davon verweisen Exil-Iraner seit Jahren auf Institutionen und Personen, welche die Interessen des iranischen Regimes in Deutschland auf höchster politischer Ebene offensiv bewerben. Deutschland muss den Einfluss von Lobbyisten der Islamischen Republik eindämmen. Wir müssen die deutsche Naivität gegenüber dem iranischen Regime endlich hinter uns lassen.

Wie erklären Sie sich die lange anhaltende Naivität in der deutschen Außenpolitik gegenüber der Islamischen Republik?

Ähnlich wie gegenüber Putins Regime in Russland haben wir der Wahrheit lange Zeit nicht ins Gesicht sehen wollen. Wandel durch Handel, das war profitabel und auch in den letzten Jahren gegenüber dem Iran das vorherrschende Mantra der deutschen Außenpolitik. Darüber hinaus haben auch wir in Deutschland lange Zeit daran glauben wollen, dass eine Auseinandersetzung zwischen Hardlinern und Reformern zu einer Veränderung führen kann. Diese Hoffnung hat sich allerdings als große Illusion erwiesen.

 

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Sie fordern eine neue „Iran-Strategie“. Wie sollte diese Strategie aussehen?

Anstatt die Appeasement-Politik der letzten Jahre fortzusetzen, müssen wir mit der Islamischen Republik hart ins Gericht gehen. Wir brauchen scharfe Sanktionen gegen die politische Führung des Landes und müssen die Atomverhandlungen mit dem Iran aussetzen. Außerdem sollten wir das iranische Raketenprogramm wieder intensiver in den Blick nehmen, da es den Frieden der gesamten Region massiv gefährdet und ohne besondere Beachtung der internationalen Gemeinschaft bedrohlich vorangeschritten ist. Aber am wichtigsten ist, dass wir die Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für die Freiheit künftig entschiedener unterstützen. Nicht die Mächtigen der iranischen Diktatur sind unsere Verbündeten, sondern all die Menschen, die jeden Tag von einem Leben in Demokratie und Würde träumen.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für die deutsche Appeasement-Politik nennen?

Die Gratulation unseres Bundespräsidenten, den ich sehr schätze, zum Jahrestag der sogenannten Islamischen Revolution ist noch lebhaft in meiner Erinnerung. Wissen Sie, ich wurde als Kind dazu gezwungen, meine Heimat und Familie zu verlassen. Was glauben Sie, was jemand mit meiner Lebensgeschichte empfindet, wenn den Mullahs zum Tag der Revolution gratuliert wird? Ich habe das als außerordentlich unglücklich empfunden.

Sie befürworten die Aussetzung des Atomabkommens mit dem Iran. Was sind Ihre Gründe für Ihre Position?

Länder wie Israel, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate lehnen das Atomabkommen schon lange ab. Und selbst die überwiegende Mehrheit der Menschen im Iran spricht sich gegen die Verhandlungen aus. Was glauben wir eigentlich, wer wir Europäer sind? Warum sollten ausgerechnet wir den Iran besser einschätzen können als all die Länder des Nahen Ostens? Es ist arrogant von der Europäischen Union, so zu denken und so zu handeln. Man muss sich im Klaren sein, dass die Islamische Republik ein Feind der Demokratie und eine Bedrohung für alle freien Völker auf der Welt ist.

Für wie wahrscheinlich halten Sie derzeit einen Systemsturz im Iran?

Aus meiner Sicht erleben wir gerade einen revolutionären Prozess. Die Menschen im Iran wollen heute die Abschaffung der Islamischen Republik. Die Frage ist daher nicht, ob, sondern wann der Systemsturz erfolgreich sein wird. Möglicherweise wird die islamistische Diktatur die aktuelle Phase der Aufstände niederknüppeln und mit Gewalt beenden können. Doch die Sehnsucht der iranischen Bevölkerung nach Freiheit und Demokratie ist stärker und lässt sich langfristig nicht unterdrücken.

Befürchten Sie nicht ein innenpolitisches Chaos im Iran, wie wir es auch in vielen Ländern nach dem Arabischen Frühling erlebt haben?

Was im Iran derzeit passiert, ist nicht vergleichbar mit dem Arabischen Frühling. Der Iran hat heute bereits eine starke Zivilgesellschaft mit einer sehr gut ausgebildeten Bevölkerung. Die iranische Gesellschaft wäre in der Lage, ein modernes und freies System aufzubauen. Ich bin sogar zutiefst davon überzeugt, dass ein demokratischer Iran zu einem westlichen Partner und Impulsgeber im Nahen Osten werden kann. Deutschland sollte daher in den nächsten Wochen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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