EU-Gipfeltreffen - Keine Einigung, nirgends

Beim EU-Gipfeltreffen einigen sich die Mitglieder auf eine Antwort gegen Donald Trumps Aufkündigung des Atomabkommens. Ratspräsident Donald Tusk fordert ein geeintes Europa, um den USA entgegentreten zu können. Doch davon ist die Union weit entfernt

Auf dem EU-Gipfeltreffen forderte Ratspräsident Donald Tusk ein wirtschaftlich, politisch und militärisch geeintes Europa / picture alliance
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Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Der EU-Ratspräsident Donald Tusk brachte es auf den Punkt. „Um Akteur und nicht Objekt globaler Politik zu sein, muss Europa wie nie zuvor wirtschaftlich, politisch und auch militärisch geeint sein“, sagte er vor dem EU-Gipfel in Sofia. Nach der Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, das Abkommen mit dem Iran aufzukündigen, soll der Gipfel genau das liefern: die EU als globale, eigenständig handelnde, Macht sichtbar aufscheinen lassen, die den USA entgegentreten kann. 

Eine ebenso einfache wie fundamentale Frage, die sich an diese Einsicht des EU-Ratspräsidenten anschließt, lautet: Ist die EU wirtschaftlich, politisch und militärisch geeint? Und weiter könnte man fragen: Ist sie das auch in dem Maße, dass sie auf dem Niveau der Mächte, denen sie auf Augenhöhe begegnen will – den USA und China – mithalten kann? Die Antwort ist dreimal „Nein“. 

Drei Gründe für die Schwäche der EU

Wirtschaftlich nicht, weil ein tiefer Konflikt um die Ausrichtung der EU-Wirtschaftspolitik die Staaten entzweit, die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften unterschiedliche Lebensverhältnisse schafft und noch nicht einmal die dreiviertel-gemeinsame Währung international so gefestigt ist, dass sie als Reservewährung in Frage kommt.

Politisch ist die EU uneins wie stets, vom Brexit gezeichnet, einen tiefen Konflikt um die rechtsstaatlichen Grundlagen demokratischer Systeme austragend und ohne Idee, wie sie denn politisch in den kommenden Jahren aussehen soll. Wer diese Frage mit dem Europa der „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ beantwortet, verkennt die politischen Sprengsätze asymmetrischer Entwicklung. Oder würde mehr Unterschiedlichkeit die wirtschaftliche Einheit fördern? Freilich nicht.

Militärisch ist die EU erst recht nicht handlungsfähig. Sie kann ihre territoriale Integrität nicht bewahren, sollte sie infrage gestellt werden. Sie kann sich auch nicht selbst verteidigen, niemanden abschrecken und nicht einmal kleine Landstriche in ihrem Umfeld, geschweige denn ihre Peripherie im Mittleren Osten und Nordafrika, stabilisieren. Auf den Punkt gebracht, kann sie nichts Relevantes leisten und Deutschland steht dabei ganz vorne. 

Keine Stabilitätsanker mehr

Was ist Donald Tusks Aufruf also? Ein Apell an die EU-Staaten, nun endlich damit zu beginnen, Fähigkeiten zu erwerben, politischen Willen auszubilden und gemeinsame Zwecke zu verfolgen. Wie realistisch ist es, dass ihm die Regierungen folgen?

Wenig. Denn viele sind innenpolitisch nicht stark genug, um unliebsame Entscheidungen durchsetzen zu können. Großbritannien ist raus. Die spanische Minderheitenregierung kämpft gerade darum, das Land beisammen zu halten. In Italien kündigen sich die Umrisse einer Regierung aus linken und rechten EU-kritischen Populisten an, die kaum zur proeuropäischen Stabilität beitragen werden. Im Gegenteil, sie machen sich jetzt schon einen Spaß aus ihrer Europapolitik. Die Gruppe derer, die bei der EU mitmachen, wenn es politisch passt und ansonsten ihren eigenen Weg gehen wollen – Polen, Ungarn, die Slowakei, Tschechien (wo über ein Referendum über den Austritt aus der EU diskutiert wird), Bulgarien, Rumänien – wird eher größer als kleiner. Deutschland und Frankreich taugen als Stabilitätsanker derzeit auch nicht. 

Hinzu kommen die Budgetstreitigkeiten, die viel Zwist und Streit mit sich bringen werden. Eine zeitnahe Einigung scheint ausgeschlossen. Wer zahlt wie viel für den bald fehlenden britischen Beitrag? Werden zukünftig Zuweisungen an die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen gekoppelt? Wird die EU – angebunden an welche Institution auch immer – mit einem weiteren milliardenschweren Budget auf dem Weg zu einem Europäischen Währungsfond  ausgestattet? Heißt es bald Autos (Deutschland) gegen Agrarprodukte (Frankreich), wenn mit der amerikanischen Administration über Handel gestritten wird? An jeder dieser Fragen wird sich ein tiefer Verteilungskampf entzünden.

Neue Probleme

Dabei suggeriert die europapolitische Debatte – „wir müssen uns nur zusammenraufen“ – dass die angestrebte Einigung stattfinden könne. Das ist das Ergebnis jahrelanger, sorgsam geübter politischer Nabelschau. Aber Brüssel ist weder der Nabel der Welt, noch werden sich andere Mächte aus diesem europäischen Einigungsprozess heraushalten, wenn er ihre Interessen berührt. Meinen die Brüsseler Strategen wirklich, man könne die USA in der Iranpolitik frontal angehen, ohne dass es aus Washington eine Antwort gibt?

Meint irgendwer, dass sich die EU-Staaten – zerrissen zwischen den russlandfreundlichen Regierungen in Sofia und Rom, den russlandkritischen Regierungen in Warschau, Vilnius, Tallinn und Riga – eine gemeinsame Russlandpolitik über dem kleinsten gemeinsamen Nenner vereinbaren können? Und ist irgendjemand der Ansicht, dass sich die russische Regierung aus den europäischen Entwicklungen heraushält, falls sich abzeichnet, dass sie demnächst einem politisch, wirtschaftlich und militärisch geeinten EU-Block gegenübersteht? 

Die Wirklichkeit setzt sich durch

Das alles heißt nicht, dass man die Aufforderung von Donald Tusk nicht aufnehmen soll. Man sollte es aber ernsthaft machen: beginnend mit einer schonungslosen Analyse, danach die Frage beantworten, welche Fähigkeiten nötig sind, und diese drittens auch noch erwerben. Parallel dazu gilt es, den politischen Willen auszubilden, der erforderlich ist, um international als Akteur wahrgenommen zu werden. 

Die Diskussion über die Forderungen von Donald Tusk hat in Brüssel jedoch noch nicht einmal begonnen. Möglicherweise wird bald eine Ernüchterung zu spüren sein. Die in vielen Mitgliedsstaaten herrschende kritische Haltung gegenüber der EU könnte dann zusätzlich befeuert werden. Deshalb wäre die Europäische Union in ihren Maßnahmen klug beraten, Wunsch und Wirklichkeit nicht allzu weit auseinanderfallen zulassen. Die Wirklichkeit setzt sich am Ende durch. 

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