Drohende Nahrungsmittelkrise? - Zukunft ukrainischer Getreideexporte unklar

Nach der Weigerung Russlands, das Getreideabkommen mit der Ukraine zu verlängern, ist die Zukunft ukrainischer Getreideexporte unklar. Es wächst die Sorge vor einem weiteren Ansteig der weltweiten Lebensmittelpreise. Das wäre vor allem für ärmere Länder verheerend.

Der letzte Frachter verlässt den Hafen von Odessa / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Hier finden Sie Nachrichten und Berichte der Print- und Onlineredaktion zu außergewöhnlichen Ereignissen.

So erreichen Sie Cicero-Redaktion:

Anzeige

Nach dem Auslaufen des Getreideabkommens ist die Zukunft von Agrarexporten der Ukraine auf dem Seeweg über das Schwarze Meer unklar. Die von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelte Vereinbarung endete nach knapp einem Jahr am späten Montagabend offiziell, weil Moskau eine Verlängerung ablehnte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte, die für die Welternährung wichtigen Exporte in Kooperation mit den UN und der Türkei fortzusetzen: „Die Schwarzmeer-Getreideinitiative kann und sollte weitergehen – wenn ohne Russland, dann ohne Russland.“

Nach der Aufkündigung des internationalen Abkommens zum Export von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer hat Russland andere Staaten davor gewarnt, das Abkommen allein wiederaufzunehmen. Eine Fortsetzung ohne russische Beteiligung wäre riskant, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge. „Es handelt sich um eine Zone, die unmittelbar an das Kampfgebiet grenzt und in der ohne entsprechende Sicherheitsgarantien gewisse Risiken entstehen.“

Internationale Kritik

Als letztes Schiff aus der Ukraine wurde der türkische Frachter „TQ Samsun“ am Montag in den Gewässern vor Istanbul kontrolliert und machte sich auf die Fahrt in die Niederlande. Dann lief abends das Abkommen über den Seeexport des ukrainischen Getreides nach knapp einem Jahr aus; von einer Verlängerung wurde nichts bekannt. Die Vereinbarung hatte es der Ukraine seit Sommer 2022 ermöglicht, trotz des russischen Krieges mehr als 30 Millionen Tonnen Getreide über den Seeweg in andere Länder zu verkaufen. Selbst während des Krieges blieb die Ukraine im Jahr 2022 den Angaben zufolge der größte Weizenlieferant des Welternährungsprogramms (WFP) und lieferte mehr als die Hälfte der weltweiten Weizenbeschaffung des WFP.

International wurde das russische Nein zu einer Verlängerung scharf kritisiert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „schlechten Botschaft“. UN-Generalsekretär Antonio Guterres reagierte enttäuscht. US-Außenminister Antony Blinken nannte die Aufkündigung „skrupellos“. Damit würden Lebensmittel als Waffe eingesetzt. Auch die Europäische Union verurteilte die Aufkündigung: „Mit dieser Entscheidung verschärft Russland die weltweite Krise der Ernährungssicherheit weiter, die es durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Blockade der ukrainischen Seehäfen verursacht hat“, erklärte der Außenbeauftragte Josep Borrell am Montagabend im Namen der Mitgliedstaaten. Russland müsse die illegale Blockade der ukrainischen Häfen aufgeben und die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer ermöglichen.

„Die EU fordert Russland dringend auf, seine Entscheidung zu überdenken und die Umsetzung der Schwarzmeer-Getreide-Initiative unverzüglich wieder aufzunehmen“, erklärte Borrell. Durch die Aufkündigung der Abkommen blockiere Russland im Alleingang eine der wichtigsten Exportrouten der Ukraine für Getreide für den menschlichen Verzehr. Moskau sei allein verantwortlich für die Unterbrechung der weltweiten Getreidelieferungen und den Anstieg der Lebensmittelpreise auf der ganzen Welt. „Russland macht weiter damit, Nahrungsmittel als Waffe einzusetzen.“

Furcht vor hohen Weizenpreisen

Während die ukrainischen Exporte damit zunächst in der Schwebe sind, schloss Kremlsprecher Dmitri Peskow eine Rückkehr Russlands zu der Vereinbarung nicht aus. Erst müssten aber Probleme mit der Zulassung von russischem Getreide und Dünger auf den Weltmarkt gelöst werden.

Ohne Getreide des wichtigen Produzenten Ukraine wächst die Furcht vor einem erneuten Anstieg der Lebensmittelpreise gerade für arme Länder. Die Weizenpreise seien „immer noch auf einem Zehnjahreshoch“, sagte Martin Frick, Direktor des UN-Welternährungsprogramms in Deutschland, im „heute journal“ des ZDF. „Aber wenn dieses Abkommen nicht verlängert wird, erwartet uns eine Preisentwicklung, die für die Ärmsten der Welt große Probleme verursachen wird.“

Quelle: dpa

Anzeige