- Das schlechte Gewissen im Gepäck
Reisen auf Kosten von Mensch und Natur? Cicero Online sprach mit Tourism-Watch-Leiter Heinz Fuchs über die menschenrechtliche Sorgfaltsfplicht touristischer Unternehmen, Nachhaltigkeitsstrategien und den Boykott der Fußball-EM
Herr Fuchs, wohin ging Ihre letzte Reise?
In den Bayrischen Wald.
Hier
hatten Sie wohl kaum mit der Menschenrechtsfrage zu
tun…
Nun ja, der Bayrische Wald ist nicht weit
entfernt von der deutsch-tschechischen Grenze, wo Kinderhandel oder
auch Prostitution mit Minderjährigen nach wie vor ein Problem sind.
Es gibt wohl kaum ein Reisegebiet, in welchem man sich vollkommen
frei von der Menschenrechtsfrage bewegt.
Müssen wir also unsere Wahrnehmung schulen?
Man muss zumindest offen sein gegenüber dieser Dimension des
Reisens und sich mit den Regionen, in die man reist, genau
beschäftigen. Es sind nicht immer nur Menschenrechtsfragen im
engeren Sinne: Manche Menschen boykottieren ein Land, weil es in
den Walfang verstrickt ist.
Halten Sie touristischen Boykott denn für
sinnvoll?
Nur dann, wenn die Boykottaufrufe aus dem
Land selbst kommen, von der Opposition, der Exilregierung oder
starken gesellschaftlichen Kräften wie es in Myanmar oder Südafrika
der Fall war, die damit eine politische Strategie zur Veränderung
verfolgten. Es ist nicht unser Anliegen, zum Boykott aufzurufen.
Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, dass Urlauber mit
den Menschen vor Ort in Kontakt treten, den Dialog suchen und so
vielleicht zu einer politischen Veränderung beitragen.
[gallery:Vergessene Kinder – Wenn Tourismus zum Täter wird]
Vor Kurzem geriet die ukrainische Regierung massiv in
Kritik aufgrund der Inhaftierung Timoschenkos und der
menschenunwürdigen Behandlung, zu der es im Gefängnis gekommen sein
soll. Joachim Gauck sagte daraufhin seinen Besuch in der Ukraine ab
und es gab den Aufruf zum Boykott der Fußball-Europameisterschaft.
Nun hat sich die Ex-Regierungschefin selbst zu Wort gemeldet: Sie
hält den EM-Boykott für eine schlechte Idee.
Wir
sollten nicht in eine Debatte verfallen, in der wir einzelne
Reisende mit solchen Entscheidungen überfordern. Hingegen müssen
Reiseveranstalter, Unternehmen und im konkreten Fall insbesondere
die UEFA in die Pflicht genommen werden. Man spricht hier auch bei
touristischen Unternehmen von due diligence, von der
menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, wenn es um die Entwicklung
und Vermarktung von Reiseprodukten geht. Ähnlich der
Verbraucherinformation sollten Reiseveranstalter nicht nur über die
Produktqualität, sondern auch über Hintergründe informieren. So
prüft beispielsweise Stiftung Warentest mittlerweile Regenjacken
nicht mehr nur auf ihre Wasserundurchlässigkeit, sondern auch auf
die Produktionsbedingungen in den Fertigungsanlagen in Asien.
Eine Woche Kluburlaub in Tunesien für 199
Euro inklusive Flug kann nicht kostendeckend
sein. Hier müssten doch eigentlich beim Anbieter als auch beim
Reisenden die Alarmglocken schellen!?
Bei solchen
Angeboten sollten alle auf den ersten Blick merken, dass hier keine
angemessene Kostenerstattung erfolgt, geschweige denn entsprechende
Löhne bezahlt oder Gewinne erwirtschaftet werden, um
Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Wie jedes Schnäppchen auf dem
Ramschtisch führen solche Dumpingreisen zu ausbeuterischen
Arbeitsverhältnissen, die keine soziale Sicherheit garantieren und
auf Niedringstlohn-Niveau rangieren. Auch Umweltschutzmaßnahmen
oder die Wasserfrage dürften hier – wenn überhaupt – nur
unzureichend geklärt sein.
Seite 2: Von Menschenrecht und Menschenwürde
Der tägliche Wasserbedarf eines Golfplatzes beträgt
ungefähr 2.000 Kubikmeter Wasser. Das entspricht dem Tagesverbrauch
eines deutschen Ortes mit 8.000 Einwohnern. Kann man da seinen
Golf-Urlaub in Ägypten überhaupt noch mit seinem Gewissen
vereinbaren?
Auch für diese Entscheidung kann man
keine ethische Pauschalorientierung vorgeben; das muss jeder
Reisende individuell für sich nach bestem Wissen und Gewissen
entscheiden. Die wenigsten Menschen wählen ihr Reiseziel allerdings
aufgrund einer Gewissensfrage, sondern meist über den Preis: Umso
wichtiger ist es, diese Dimension in den Blick zu nehmen.
Doch woran liegt es, dass das Thema
Menschenrechtsverletzung bei der Wahl des Reiseziels keine oder
zumindest nicht die entscheidende Rolle spielt?
Am
Image des Reisens. Reiseanbieter werben mit einer heilen Welt und
versprechen das Paradies auf Erden. Sie wecken Sehnsüchte bei
Reisenden, die der Urlaub dann befriedigen soll – eine reine
Vermarktungsstrategie. Auf der anderen Seite soll die Reise auch
den Ausstieg aus dem Alltag ermöglichen. Sie beinhaltet den Wunsch
nach Entspannung, danach, die Sorgen hinter sich zu lassen und sich
daher nicht zwangsläufig mit neuen Problemstellungen
auseinanderzusetzen.
Wir verschließen also die Augen vor der tatsächlichen
Lebensrealität?
Wenn man sich die hermetische
Geschlossenheit von touristischen Hotelkomplexen und
All-inclusive-Ressorts ansieht, in der die gesamte Infrastruktur
für einen „erholsamen“ Urlaub beherbergt ist, dann ist die
Auseinandersetzung mit dem Reiseland und der Lebensrealität der
Menschen dort allenfalls noch an einen organisierten Ausflug
gekoppelt.
Muss man bei der Demokratisierung eines Landes auch den
Tourismus neu gestalten?
Tourismus nach der Revolution
kann nicht Tourismus vor der Revolution sein. Touristische Angebote
haben die Möglichkeit, Demokratisierungsprozesse positiv zu
unterstützen, indem sie die gesellschaftliche und ökonomische
Beteiligung kleine und mittlerer Unternehmen und
von Menschen fördern, die bisher von der gesellschaftlichen
Teilhabe ausgeschlossen waren.
Wie schmal ist der Grat zwischen der Wahrung der
Menschenwürde und der Wahrung der Menschenrechte?
Der
Unterschied liegt darin, dass ein rechtsbasierter Ansatz im Grunde
einklagbar ist. Ein Begriff wie „die Würde des Menschen“ ist
rechtlich jedoch schwer zu fassen. Die Begegnung mit
unterschiedlichen Kulturen und menschlichen Ausdrucksformen im
Urlaub darf nicht auf ihren Unterhaltungswert reduziert werden. Wie
definiert sich menschenwürdiges Leben? Ein Dach über dem Kopf,
Arbeit, Einkommen, Bildung... Wenn man diese Idee weiterträgt,
haben wir auch ein Recht auf Wasser, auf den Schutz unserer
Privatsphäre. All diese Rechtsbereiche beinhalten in der Summe auch
die Achtung menschlicher Würde.
Sehen wir einmal ab von Iran, das nicht gerade bekannt
ist für eine humane Gesellschaftsordnung: Die USA vollstreckt immer
noch die Todesstrafe, trotzdem würden wahrscheinlich die wenigsten
Menschen aus diesem Grund auf eine Reise dorthin verzichten. Lässt
sich also der eigene idealistische Anspruch mit der
„Reise-Wirklichkeit“ vereinbaren?
Reisen ist
Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist, dass viele Länder zerrissen
sind, ganz gleich ob im Menschenrechtsbereich, im Umweltbereich, in
der Frage der Einkommenssicherung oder sozialer Sicherungssysteme.
Es ist die Frage danach, wie ich konsumiere: Diejenigen, die gerne
fair, biologisch und regional einkaufen, sollten diese Art von
Lebensstil auch auf den Reisebereich übertragen. Wenn ich
Fair-Trade-Kaffee kaufe, dann kann ich nicht guten Gewissens für
199 Euro nach Tunesien fliegen, um bei Ihrem Beispiel zu
bleiben.
Seite 3: Wenn Tourismus zum Täter wird
Der Club of Rome veröffentlichte gerade eine düstere
Prognose: Nämlich, dass der Verbrauch wertvoller Ressourcen bald zum Kollaps
der Zivilisation führt. Stößt die
Tourismusindustrie in ihrem Drang nach Fernweh, Abenteuer und
Exotik auch bald an ihre Grenzen?
Der Tourismus ist hier in beiderlei Richtung beteiligt. Er ist von
den negativen Veränderungen wie Klimaerwärmung oder der Zerstörung
der Wälder betroffen, weil viele Reisegebiete nicht mehr attraktiv
genug sind. Auf der anderen Seite birgt der Tourismus selbst eine
ganz klar umweltzerstörerische Dimension; sei es der CO2-Ausstoß
durch den internationalen Flugverkehr oder der Kreuzfahrttourismus,
der bis heute mit Schweröl und ungeregelten
Müllentsorgungskonzepten hantiert. Daher ist der Tourismus sehr
wohl Täter, wenn es um den Verbrauch und die Beschädigung
wertvoller Ressourcen geht. Bis 2030 werden die gegenwärtig eine
Milliarde internationale Auslandsreisen auf 1,6 Milliarden
angestiegen sein – ein Schreckensszenario unter ökologischen
Gesichtspunkten.
Wie lässt sich der Ausbeutung und Kommerzialisierung von
Mensch und Natur vorbeugen?
Es wäre das Mindeste, die
Umweltbelastung, die wir beispielsweise durch den Flugverkehr
verursachen, durch angemessene finanzielle Beiträge an anderer
Stelle zu kompensieren. Ressourcen wie Luft, Wald, Küste oder
Korallenriffe werden nach wie vor weitestgehend kostenlos genutzt,
ohne dass eine angemessene Ausgleichszahlung erfolgt, mit der sich
entsprechende Schutzprogramme finanzieren ließen. Auch gibt es kein
globales Klimaabkommen, das entsprechende Begrenzungen herleitet
und in diesem Sinne die Lebensgrundlage für Menschen sichert.
Brauchen wir also ein besseres
Nachhaltigkeitskonzept?
Ausreichend durchdachte
Nachhaltigkeitskonzepte gibt es genug – die fehlende konsequente
politische und gesellschaftliche Umsetzung ist das Problem.
Hierzulande merken wir, wie schwer es ist, eine ernst zunehmende
Energiewende in Deutschland umzusetzen. Selbst im nationalen
Kontext ist der Druck offenbar noch nicht groß genug, um
tatsächliche Veränderung in Gang zu setzen und die
Nachhaltigkeitsstrategie politisch auch zu einer gesellschaftlichen
Gemeinschaftsaufgabe zu machen.
Was sollten Reisende beherzigen?
Letztendlich zählt der eigene minimale Anspruch, fair
unterwegs zu sein, ganz nach dem Leitmotiv: „Do no harm!“ – Richte
mit deinem Tun keinen weiteren Schaden an. Daran müssen sich
Reisende, Reiseveranstalter und diejenigen, die die touristische
Infrastruktur schaffen, ausrichten, orientieren und messen
lasse.
Dann könnten wir ja eigentlich auch gleich zuhause
bleiben, oder?
Das richtet wohl den geringsten Schaden
an, liegt aber fernab unserer Lebensrealität. Durch unser
Verhalten werden wir den Tourismus nicht radikal verändern, aber
jeder kann dazu beitragen, ob Tourismus Arroganz, Überheblichkeit
und Rassismus fördert, oder ob er weltbürgerliches Bewusstsein und
globale Verantwortung stärkt.
Herr Fuchs, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Maria Deckert
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