Chinas Wirtschaftspolitik - Treiber der Inflation

Die Zero-Covid-Politik Chinas und die anhaltenden Lockdowns in der Region Shanghai verschärfen auch im Westen die Inflation und tragen zu Teuerung und Lieferschwierigkeiten bei. Gleichzeitig profitiert China von billigen russischen Energieimporten. All das führt zu Spekulationen, ob die chinesische Regierung ganz bewusst dem Westen wirtschaftlich schaden will.

Ohne Covid-Test geht in Shanghai derzeit gar nichts / dpa
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Philipp Mattheis ist Herausgeber von BlingBling, einem wöchentlichen Newsletter über Bitcoin, Geld und Freiheit. Von November 2019 bis März 2021 war er Ostasien-Korrespondent von Stern und Capital in Shanghai.

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Bei vielen Unternehmen in dem für chinesische Verhältnisse beschaulichen Ort Taicang herrscht derzeit wieder Verunsicherung: Wie alt darf ein PCR-Test derzeit sein, um damit über die Provinzgrenze nach Shanghai zu gelangen? Was ist sonst noch nötig? Wo ist gerade Lockdown? Und droht am Ende wieder eine komplette Stilllegung in Shanghai wie zwischen März und Juni dieses Jahres? Die Fragen beschäftigen nicht nur Expats, die das Land verlassen möchten, sondern wirken sich auch konkret auf das Geschäft aus. Während des Shanghaier Lockdowns war der gesamte Warenverkehr stark eingeschränkt oder stand teilweise völlig still. Aufgrund der rigorosen Zero-Covid-Politik durften Lastwagenfahrer die Landesgrenze nicht überqueren oder mussten sich zwei Wochen in strikte Quarantäne begeben.

Was in der 700.000-Einwohner-Stadt 50 Kilometer nördlich von Shanghai geschieht, hat Auswirkungen auf die ganze Welt.

Das Yangze-Delta rund um Shanghai ist vielleicht das Herz der globalen Wirtschaft. 140 Millionen Menschen leben hier auf 100.000 Quadratkilometern, knapp 80 Prozent davon in Millionenstädten wie Shanghai, Hangzhou, Ningbo, Suzhou. Wer in dieser Region lebt und einen Wochenendausflug ins Grüne machen möchte, fliegt am besten. Sonst dauert es zu lange, die Ansammlung von Metropolen zu verlassen. Zehntausende von internationalen Unternehmen haben sich in den vergangenen 20 Jahren hier angesiedelt.

Damit die Produktion reibungslos funktioniert, müssen Waren mit dem Schiff zu den größten Containerhäfen der Welt nach Ningbo, Shanghai und Hangzhou gebracht, dort mit LKWs zu den Fabriken in den Provinzen Zhejiang und Jiangsu gefahren werden. Die verarbeiteten Produkte wandern von dort in andere Landesteile, um Chinas konstant wachsenden Binnenmarkt zu versorgen, oder über die Häfen zurück in den globalen Wirtschaftskreislauf zurückgelangen.

Weil China immer mehr Waren produzierte, konnten westliche Zentralbanken die Geldmenge ausweiten

Auch wenn der Exportanteil an Chinas Wirtschaft zurückgegangen ist, verkauft das Land noch immer weit mehr Waren, als es einkauft. 2021 erzielte das Land sogar einen Rekord-Exportüberschuss. Zumindest teilweise ist der Partei gelungen, die sogenannten „Middle Income Trap“ zu vermeiden. Diese bezeichnet eine Phase der Stagnation, in die Schwellenländer oft nach anfänglich starken Wirtschaftswachstum fallen: Weil Bildung, Knowhow und Innovation nicht Schritt halten, können Schwellenländer zwar billig Kugelschreiber und T-Shirts produzieren, ihnen gelingt aber nicht der Sprung auf höhere Glieder der Wertschöpfungskette. China aber hat diese Falle bisher gut umschifft: Chinesische Maschinen sind zwar noch nicht Highend, aber in vielen Märkten der Welt als günstigere Alternative zu westlichen Produkten gefragt.  

Auch weil China in den vergangenen Jahren immer mehr Waren produzierte und damit die globale Gütermenge anwuchs, konnten westliche Zentralbanken die Geldmenge ausweiten, ohne dass die Konsumentenpreisinflation stark anstieg. Vereinfacht gesagt: Weil Flipflops und Smartphones billiger wurden, fiel der Kaufkraftverlust eines Euro oder Dollar nicht so auf. Man sagt deswegen auch: China exportiert Deflation.

 

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Was passiert, wenn der chinesische Warenfluss stoppt, konnte man in den vergangenen Monaten gut sehen: Durch die Lockdowns hatten sich rund um die großen Häfen der Region die Schiffe gestaut. Ende April betrug die Wartezeit durchschnittlich 69 Stunden. Derzeit liegt sie bei rund 28 Stunden – noch immer weit über dem Durchschnitt. Überall auf der Welt fehlten plötzlich Waren und wichtige Produkte. In amerikanischen Krankenhäusern zum Beispiel konnten vorübergehend lebenswichtige Operationen nicht durchgeführt werden, weil ein Leuchtmittel fehlte, das nur in China hergestellt wurde. Auch der aktuelle Einbruch der deutschen Exporte hat damit zu tun.  

Auf einmal macht sich die gestiegene Geldmenge eben doch bei den Konsumenten bemerkbar. Mehr Geld trifft plötzlich nicht mehr auf mehr, sondern weniger Waren. In der Folge steigen die Preise. Natürlich ist das nicht einzige Grund, weshalb die Inflation im Westen so stark angestiegen ist: Hinzu kommen der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland. Energie und damit die meisten anderen Rohstoffe wurden teurer.

Seit Februar haben sich die russischen Ölexporte nach China verdoppelt

Das ist der Grund, weshalb die Spekulationen nicht abreißen, ob sich die kommunistische Partei Chinas nicht vielleicht längst im Krieg mit dem Westen befindet. Denn die Lockdowns, die immer wieder die Lieferketten stören oder ganz zum Stillstand bringen, amplifizieren genau die Probleme, unter denen Europa und die USA derzeit leiden. Gleichzeitig profitiert Peking vom russischen Öl, da es nun billiger an Energie kommt. Seit Februar haben sich die russischen Ölexporte nach China verdoppelt.

Natürlich treffen die Lockdowns auch die chinesische Wirtschaft. Die Industrieproduktion brach im April um drei Prozent ein. Die Autoverkäufe gingen sogar um ein Drittel zurück im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Aber Chinas Binnenmarkt, der nach Xi Jinpings rigorosem Hineinregieren immer mehr einer Kommandowirtschaft ähnelt, kann dies leichter verkraften. Ende vergangener Woche hieß, die Lokalregierungen erhielten die Erlaubnis, Anleihen in Höhe von 220 Milliarden Dollar für Infrastrukturprojekte aufzunehmen. Das Wachstumziel von 5,5 Prozent dieses Jahr bleibt unangefochten. Die Pläne, sich von den globalen Wirtschaftskreisläufen zu entkoppeln, existieren seit Jahren. Die Theorie der zwei Kreisläufe nennt sich das im blumigen Propagandasprech der KP.

Dass nun US-Präsident Biden manche der Strafzölle wieder abschaffen will, um die Inflation in den Griff zu bekommen, klingt zunächst großartig. Man muss dazu aber wissen, dass diese stets eine Antwort auf die unfaire Handelspolitik Pekings waren: Noch immer sind ausländische Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe benachteiligt, noch immer werden internationale Firmen in Joint-Ventures und zur Preisgabe von Technologie gezwungen. Hinzu kommt: Viele der Produkte, gegen die die Zölle nun wieder gesenkt werden, kommen aus der Region Xinjiang, in der die Minderheit der Uiguren brutal unterdrückt wird und Zwangsarbeit in großem Stil stattfindet.

Inzwischen verlassen immer mehr Ausländer das Land, und auch europäische Unternehmen planen, ihre Lieferketten auf andere Länder in der Region zu verlagern. All das aber ist preissteigernd – zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt.

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