Parlamentswahlen in Bulgarien - „Im Prinzip besteht die Junta fort“

Vorerst steht der Sieger der Wahlen in Bulgarien fest: Die Partei von Boiko Borissov. Einige Stimmen werfen der Regierung aber Korruption vor und fordern Neuwahlen. Der bulgarische Oligarch und Unternehmer Vasil Bozhkov erzählt im Interview von den Machtspielen der Regierung und was er sich von möglichen Neuwahlen erhofft.

Der bulgarische Premier Boiko Borissov / dpa
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Autoreninfo

Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Vasil Bozhkov aka Tscherepa (Schädel) ist ein bulgarischer Oligarch und Unternehmer. Mit Valuta-Handel im Umfeld des legendären Cafés Magura auf Sofias Boulevard Vitoscha legt der diplomierte Mathematiker in Bulgariens Wendezeit 1989/1990 den Grundstock seines Vermögens. Als Präsident seiner Nove Holding mit Geschäftsaktivitäten in Tourismus, Bau und Glücksspiel wird er in den 1990er zu einem der schillerndsten Unternehmer in Bulgariens Wild-West-Kapitalismus. Im Jahre 2008 listet ihn das polnische Nachrichtenmagazin Wprost als Reichsten der Bulgaren mit einem persönlichen Vermögen von 1,5 Milliarden $.

Boschkov war zuletzt Eigentümer des bulgarischen Fußball-Traditionsvereins Levski Sofia und plante, für seine Sammlung archäologischer Artefakte der antiken Thraker die Eröffnung eines Museums in Sofia. Obwohl sich um seine Person seit vielen Jahren Legenden ranken und zahlreiche Verdächtigungen illegaler Machenschaften kursieren, bleibt er über 30 Jahre von der bulgarischen Justiz unbehelligt.

Erst der öffentlich ausgetragene Konflikt mit der Familie Naidenovi, seinen langjährigen Geschäftspartnern in dem gemeinsamen Unternehmen Evrofutbol, bringt Boschkov zum Jahresende 2019 in ernsthafte Schwierigkeiten. Anfang Januar 2020 entzieht ihm das bulgarische Parlament durch eine Gesetzesnovelle die Geschäftsgrundlage für sein Glücksspielgeschäft. Dann beschuldigt ihn die bulgarische Staatsanwaltschaft einer ganzen Reihe von Verbrechen –von Steuerhinterziehung, Geldwäsche bis zu Vergewaltigung und Mordbeteiligung. Ende Januar 2020 entzieht sich Vasil Boschkov drohender Strafverfolgung in seiner Heimat durch die Flucht nach Dubai. Von dort aus gründet er die politische Partei Bulgarsko Ljato (Bulgarischer Sommer) und attackiert die Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissov mit Vorwürfen von Korruption und Machtmissbrauch. Bei den Wahlen in Bulgarien hat sie gerade 2,93 Prozent der Stimmen gewonnen. 

Herr Bozhkov, Sie haben mit Ihrer Partei Bulgarsko Ljato (Bulgarischer Sommer) den Einzug in die Bulgarische Volksversammlung knapp verfehlt. Haben Sie erwartet, dass es für Ihre Partei schwer werden würde oder sind Sie nun enttäuscht?

Der Wahlausgang ist, wie er ist. Er ist die Entscheidung des bulgarischen Volkes. So hat es gewählt. Die Wahlen waren aber nicht fair. Es gab viele gekaufte Stimmen. Unsere Partei befand sich in einer sehr schwierigen Situation. Zunächst wurde ich angeschwärzt von der Staatsanwaltschaft mit einer Reihe von Anschuldigungen, von denen keine einzige real ist. Dann haben uns die Medien völlig ignoriert. Bis zu den Wahlen hat unsere Partei in der Öffentlichkeit gar nicht existiert. Die Soziologen haben sie nicht beachtet, die Medien auch nicht. Das reale Resultat unserer Partei ist für mich zwei bis drei Mal höher. Zudem sind unsere Stimmen authentisch. Es gibt keine gekaufte Stimmen und kein korporatives Votum. Die Leute, die uns mögen, haben für uns gestimmt.

Viele haben auch aus Protest für Ihre Partei gestimmt. 

Schlecht ist, dass die Proteststimmen verschwendet wurden. Ich weiß nicht, was jetzt diese Leute machen, die ins Parlament eingezogen sind. So wie ich die Situation sehe, wahrscheinlich nichts. Es sind die alten Politiker und ein neuer Politiker Slavi Trifonov, der sich überhaupt nicht im Klaren ist, warum er im Parlament ist. Aber ich hoffe, es wird etwas passieren. Der erste Schritt ist getan, Premier Boiko Borissov ist zumindest von der Macht gestürzt. Schaue ich mir die Konfiguration im Parlament an, sehe ich nicht, wer die Regierung bilden kann und wie er es machen will. Sprechen wir über prinzipielle Politik und Ideologie, kann keine Regierung gebildet werden. Sprechen wir über Interessen und wie die 60 Milliarden Euro von der Europäischen Union abzugreifen sind, kann es eine prinzipienlose Regierung geben. Jeder für sich. 

Sie erwarten vorgezogene Wahlen und hoffen auf eine zweite Chance zum Einzug ins Parlament?  

Ich bin mir fast sicher, dass es Neuwahlen geben wird. Und ich hoffe, dass wir dort eine seriöse Präsenz haben werden. Ich nehme an, dass es bei Neuwahlen nicht so eine mediale Missachtung uns gegenüber geben wird. Und dass es auch keine Drohungen gegen unsere Leute, keinen Stimmenkauf und keine derartige Manipulation der Wahlen geben wird. Sondern dass sie beträchtlich ehrlicher sein werden. Dann wird sich die wirkliche Abstimmung zeigen. Und wir werden eine seriös vertretene politische Kraft im Parlament sein. Das hoffe ich nicht nur, ich bin mir sicher, dass es so sein wird bei neuen Wahlen.

Sie haben das Kabinett Borissov eine Junta genannt. Nun wird es voraussichtlich keine Regierung Borissov mehr geben. Heißt das für Sie, die angebliche Junta ist gestürzt, und für Sie als Politiker und Geschäftsmann wird es leichter und gerechter?

Im Prinzip besteht die Junta fort. Noch regiert Borissov. Ich habe auch nicht sein Kabinett eine Junta genannt, sondern ein paar Leute, die im Schatten agieren. De facto ist Borissov gestürzt, der erste Schritt ist getan. Noch aber haben diese Leute Einfluss. Sie haben ihre Leute überall in der Verwaltung, im Justizsystem und wo man es sich denken kann. 

In bulgarischen Medien war zu lesen, Sie hätten gedroht, wenn Ihre Partei bei den Wahlen erfolgreich ist, gingen Borissov und seine Leute ins Gefängnis. 

Natürlich. Ich habe sogar versprochen, dass sie in drei Monaten im Gefängnis sind.

Nun sind Politik und Justiz aber getrennt. Wie können Sie als Politiker mit einer gewissen Macht dafür sorgen, dass Boiko Borissov ins Gefängnis kommt?

Als Politiker kann ich das nicht direkt. Doch als Politiker kann ich für die Unabhängigkeit der Justiz sorgen. Und dann kann ich genügend Beweise vorlegen, die Borissov ins Gefängnis bringen. Das ist der Weg. Es ist nicht so, dass ich als Politiker ihn verhaften und ins Gefängnis bringen kann. Solche Sachen geschehen in der heutigen Welt nicht.

Die Dinge in Bulgarien gehen aber meist langsam vonstatten.

Sie können sehr schnell passieren. Es reicht, wenn der Wille vorhanden ist. Sie können so schnell passieren, dass innerhalb eines Jahres alles erreicht werden kann. Wirtschaftlich vielleicht nicht so schnell, doch wenigstens können die Einkommen erhöht werden. Auch kann die Meinungsfreiheit garantiert werden, damit die Leute nicht mehr unter Druck gesetzt werden. Das alles kann sehr schnell erreicht werden. Wir müssen schauen, dass wir das Leben der Leute in Ordnung bringen. Ziel der Politik ist, dass die Menschen besser leben. Die bulgarischen Politiker tun das genaue Gegenteil. Sie nutzen die Politik, um sich zu bereichern.

Nun gibt es Bulgaren, die denken, Ihnen ging es 30 Jahre lang gut, in denen Sie zum reichsten Mann des Landes wurden. Im Januar 2020 haben Sie dann plötzlich Probleme bekommen mit der Regierung und der Staatsanwaltschaft. Und jetzt präsentieren Sie sich als engagierte Person des öffentlichen Lebens mit dem Anspruch, Bulgarien zu einem Rechtsstaat zu machen. Viele glauben nicht, dass man in Bulgarien so reich werden kann, ohne selber mit den Politikern zu kungeln und krumme Geschäfte zu machen.

Ich habe mehrfach gesagt, dass ich nicht wegen den Politikern, sondern trotz ihnen so reich geworden bin. Letztlich aber regieren sie. Diese Junta regiert Bulgarien über zehn Jahre. Sie hat genug Macht angehäuft, um alle Gewalten zu beherrschen. Und sie haben entschieden, mich zu attackieren, völlig ungesetzlich. Gegen mich gibt es 19 Anschuldigungen, die auf der Aussage einer einzigen Person basieren. Ein Mann hat gesagt… Das ist nicht seriös. Sie haben nicht einmal andere Zeugen angehört. 

Ein Tatvorwurf betrifft Steuern und Gebühren.

Ja, in den vergangenen Jahren wurden alle Bilanzen stets akzeptiert, da alles rechtmäßig war. Selbst wenn es unbezahlte Gebühren geben sollte, so sind das Unternehmensgebühren. De facto aber attackieren sie absichtlich mich als Person. Ich habe in den Unternehmen Partner und Direktoren, die Dokumente unterzeichnen. Sie werden in Ruhe gelassen. Die Attacke richtet sich allein gegen mich. 

Vasil Bozhkov / Frank Stier

Was erklären Sie sich, dass Borissov und seine Leute Sie über zehn Jahre in Ruhe gelassen haben und auf einmal versuchen, Ihnen Ihr Unternehmen wegzunehmen?

Weil sie vom Staat bereits alles geklaut haben, was sie konnten. Jetzt gehen sie gegen das private Business vor, weil sie vom Staat nichts mehr holen können. Sie aber wollen alles. Die Gründe sind Gier, Neid und dass niemand etwas haben soll außer ihnen.

Nun behaupten Sie, nicht wegen, sondern trotz der Politiker so reich geworden zu sein. Gleichzeitig geben Sie zu, Borissov und Goranov 60 Millionen BGN (ca. 30 Mio. Euro) gezahlt zu haben. Auch Bestechung ist ein Vergehen. 

Ich würde es nicht Bestechung nennen. Es war Nötigung, Erpressung. Die kommen und sagen, Du gibst uns 20 Prozent vom Gewinn, oder wir schließen Dein Geschäft. So wie sie es schließlich geschlossen haben. In den meisten meiner Unternehmen hielt ich über 50 Prozent. So dachte ich mir, wenn ich 20 Prozent gebe, bleiben mir 30 Prozent und wir können weiter existieren und viele Arbeitsplätze sichern. Deshalb habe ich mich darauf eingelassen. Andernfalls hätten sie mich schon vor vier, fünf Jahren geschlossen.

Warum gelingt es dem bulgarischen Staat über ein Jahr lang nicht, Dubai dazu zu veranlassen, Sie nach Bulgarien auszuliefern?

Weil es kein Verbrechen gibt. Und weil sie keine Beweise haben. Der bulgarische Staat schafft es über ein Jahr lang nicht, irgendeine Anklage vor Gericht zu erheben. Es sind Beschuldigungen, PR der Staatsanwaltschaft. Sie sagen, der hat dies und jenes getan, fünfhundert Frauen vergewaltigt, ein paar Leute umgebracht, Woher haben sie diese Angaben? Von einem Mann, der sagt, ich habe es nicht gesehen, aber von einem Typen gehört, der es von einem anderen gehört hat. So sind die Anschuldigungen gegen mich. Die bestehen nicht mal vor dem von ihnen selbst beherrschten Gericht.

Sie haben internationale Institutionen wie die Europäische Kommission angerufen und auch die Unesco wegen ihrer beschlagnahmten Antiken- und Gemäldesammlung. Gibt es Reaktionen?

Vor dem Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg sind Verfahren gegen den bulgarischen Staat anhängig. Die Unesco aber reagiert nicht. Die bulgarischen Unesco-Mitarbeiter sind tatsächlich Angestellte des bulgarischen Außenministeriums. Was können sie sagen, wenn sie ihre Gehälter von dort beziehen? Ich werde die geführten Prozesse gewinnen. Aber das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist es, dass so etwas nicht mehr passiert. Das muss sich ändern. Und damit sich das ändert, muss die ganze Junta weg.

Ihre Thraker-Sammlung ist jetzt im Nationalen Historischen Museum, Ihre Gemälde sind in der Nationalgalerie. Sie haben behauptet, ein antiker Rhyton werde schon auf dem Markt feilgeboten.

Händler haben es mir zum Kauf angeboten. Ob es noch auf dem Markt oder schon gekauft ist, oder ob sie es zurück nach Bulgarien gebracht haben, das kann ich nicht sagen. Ein Rhyton, das ich in einer Galerie in London gekauft habe, mit Rechnung, mit allem, bezahlt auf dem Bankweg. Übrigens unterliegen im Ausland gekaufte Artefakte gemäß unseren Gesetzen nicht der Regulierung in Bulgarien. Das heißt, man kann nicht sagen, das ist gesetzlich, das ungesetzlich. Es gibt keine Regularien dafür. Was du gekauft hast, kannst du ausführen, verkaufen, du kannst machen damit, was du willst.

Aber es gibt den Vorwurf gegen Sie, Ihre Sammlung so aufgebaut zu haben, dass Grabräuber in Bulgarien Artefakte finden, sie nach München zur Auktion bringen und Sie sie dann dort kaufen.

Ich habe Dinge in München auf Auktionen gekauft. Aber die Grabräuber in Bulgarien, wenn sie Sachen finden, was machen sie damit? Sie verkaufen, ob in München oder in Amerika. Einige der wertvollsten Stücke habe ich in Amerika gekauft und sie nach Bulgarien gebracht. 

Was wird aus dem Thraker-Museum, das Sie in Sofia einrichten wollten?

Es hätte das schönste Museum werden können. So eine Sammlung gibt es nicht noch einmal auf der Welt. Alle Gelehrten auf der Welt erkennen das an. Man kann solche Artefakte überall einzeln sehen, aber versammelt an einem Ort nirgendwo. Um das, was ich gesammelt habe, zu sehen, muss man alle Museen der Welt besuchen. Und die Leute wären gekommen, um sie zu sehen. Sie werden sie wieder sehen. Diese Sammlung wird wieder dahinkommen, wo sie hingehört. Vor einigen Jahren hat meine Sammlung unser Land noch bei der EU-Kommission in Brüssel repräsentiert, danach hat sie Bulgarien auch in Bonn und Moskau vertreten. Und auf einmal wird die Sammlung fürchterlich ungesetzlich.

 
Die Fragen stellte Frank Stier

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