Brexit - Wie die EU es verbockt hat

Die spinnen eben, die Briten – bei der Frage, wer das Brexit-Chaos zu verantworten hat, sind die Schuldigen schnell gefunden. Doch auch die EU hat mit ihrer Selbstgefälligkeit dazu beigetragen, dass ein Ausweg immer schwieriger wird

May, Merkel: Die EU und auch die deutsche Regierung geben sich gern unschuldig für das Brexit-Chaos / picture alliance
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Die Briten sind an allem schuld. Dieses Narrativ zieht sich durch fast sämtliche Erklärungen der EU-Regierungen und auch durch die meisten Kommentare der öffentlich-rechtlichen Sender und der Zeitungen. Es ist ja auch nicht so, dass daran nichts dran wäre. Die britische Regierung, allen voran die irrlichternd voranschreitende Premierministerin Theresa May, und das Parlament versinken über die Fragen des Austritts in lähmendem Chaos. Laura Kuenssberg, Politikchefin der BBC, hat die europäische Sicht der Briten in der sehenswerten Dokumentation „The Brexit Storm“ so zusammengefasst: „Für die Europäer sind die Briten einfach verrückt geworden.“ Für die EU-Offiziellen, so Kuenssberg, wirkten die Briten wie der etwas langweilige, aber stets vernünftige Onkel, der auf einmal bis vier Uhr morgens wach bleibt und nur noch Wodka trinkt.

Die Comedy-Truppe des Brexits

Tatsächlich scheinen die britischen Brexit-Protagonisten wie aus einer besonders schwarzen Komödie entnommen. Da ist May, die immer weiter macht ohne Rücksicht auf Verluste, wie ein General aus dem Ersten Weltkrieg. Da ist Boris Johnson, ein Falstaff, der wohl nur in Großbritannien politische Karriere machen könnte. Da ist Jacob Rees-Mogg, bei dem man nie sicher sein kann, ob er vielleicht nicht doch nur die lang angelegte Karikatur eines Aristokraten von einem britischen Hape Kerkeling ist. Und da ist Jeremy Corbyn, der personifizierte Erdkunde-Lehrer mit gutem Gewissen, der wohl insgeheim ganz froh ist, dass er doch nicht Premierminister wurde und die Nation durch den selbstverursachten Schlamassel führen muss. 

Die armen, doofen Briten, könnte man meinen. Gut, dass es die EU-Politiker gibt, die ihnen erklären können, wie ihr eigener Ausstieg funktioniert. Die Briten selbst kriegen das ja eh nicht hin, und wie soll man mit denen überhaupt verhandeln, wenn die doch immer nur „no“ sagen. 

Die Arroganz der EU

Wer genauer hinschaut, erkennt schnell, dass hinter dieser Haltung eine gehörige Portion Selbstgefälligkeit und Arroganz steckt. Denn die Briten haben sich ein ganzes Stück weit auf die EU zubewegt. Sie haben sich auf den im November vereinbarten EU-Austrittsvertrag weitgehend eingelassen. Sie wollen den Deal mit der EU nicht mehr ersatzlos streichen und auch nicht „hart“ aussteigen, also ohne Deal. Nur beim „Backstop“, also der Frage nach der Grenze von Nordirland zu Irland, wollen sie „alternative Lösungen“ finden. Vor allem wollen sie nicht, dass der „Backstop“, der eine Zollunion und eine enge Anbindung Großbritanniens an EU-Recht vorsieht, zeitlich unbegrenzt gelten soll. Auch eine Klausel, nach der sich Großbritannien London nicht aus dem „Backstop“ zurückziehen kann, stößt auf Widerstand. Außerdem sei dies mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren, sagen einige Rechtsexperten. 

Die EU hingegen gibt beim „Backstop“ keinen Deut nach. Man hätte zwei Jahre lang nach Alternativen gesucht und einfach keine gefunden, heißt es. Das ist schlicht Unsinn. Denn natürlich gibt es Alternativen. So hat Polen vorgeschlagen, den „Backstop“ auf fünf Jahre zu befristen. In dieser Zeit könnte dann das noch fehlende Partnerschaftsabkommen mit der EU ausgehandelt werden, das den „Backstop“ irgendwann überflüssig machen würde. Denkbar wären auch bilaterale Vereinbarungen zwischen London und Dublin, welche die neue EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland sichern und den europäischen Binnenmarkt schützen könnten. 

Was will die EU eigentlich?

Mit ihrer Unachgiebigkeit erweist sich die EU nicht nur als für eine Staatengemeinschaft unangemessen stur. Sie macht auch alle verbale Unterstützung für Theresa May lächerlich. Denn indem die EU May den „Backstop“ quasi aufzwingt, bringt sie die Premierministerin zuhause in eine unmögliche Lage. Auch der Vorwurf, mit Großbritannien könne man nicht verhandeln, weil dort keiner wisse, was man genau wolle, hinkt. Denn was will die EU eigentlich? Sollen die Briten tatsächlich an der für sie eigentlich absurden Europawahl teilnehmen? Soll der Brexit möglichst lange hinausgezögert oder sogar doch noch ganz verhindert werden? Eine gemeinsame Strategie scheint es nicht zu geben, was sich an zwei nicht ganz unwichtigen Personen festmachen lässt. Ratspräsident Donald Tusk möchte den Brexit am liebsten ungeschehen machen, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron will ihn möglichst schnell über die Bühne bringen. 

Immerhin auf eine Sache kann man sich offenbar einigen, auf das Briten-Bashing. Den neuen Aufschub beim Brexit dürfen Briten nur mit neuen Auflagen bekommen. Kurz gesagt, lässt es sich so zusammenfassen: Die Briten sollen zwar noch ihre EU-Abgeordneten wählen, danach aber bitte nichts mehr zu melden haben. So soll die EU geschützt werden, sagen die EU-Chefs. Oder meinen sie ihre eigene Macht? Eines ist jedenfalls sicher: Natürlich ist der Brexit kein Ruhmesblatt für die politische Tradition Großbritanniens. Aber unschuldig an dem Chaos ist auch die EU nicht. 

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