Funktionales Singapur - Wenn’s läuft, dann läuft’s

Während die Bundesrepublik zunehmend ambitionslos erscheint, wird 10.000 Kilometer entfernt fleißig am eigenen Morgen gebaut: in Singapur. Über den Besuch in einer Metropole, die tatsächlich funktioniert, und Fragen aufwirft über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Marina Bay Sands Hotel (l.) und ArtScience Museum bei Nacht / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Wer in Singapur den öffentlichen Nahverkehr nutzt, braucht sich keine Gedanken zu machen über Tarifzonen. Im Stadt- und Inselstaat – gut 10.000 Kilometer von der Bundesrepublik entfernt – reicht die Kreditkarte aus. Selbige hält man einfach an eines der Lesegeräte in den Bussen und an den Zugängen zur Metro. Damit ist man eingeloggt für die Fahrt. Und wer den Nahverkehr verlässt, loggt sich in gleicher Weise wieder aus. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch jede Menge Nerven – und steht im Kleinen exemplarisch für etwas viel Größeres. 

Ehrlicherweise kämpfe ich, während ich diese Zeilen schreibe, noch mit dem Jetlag. Verschiedenen Zeitzonen und einer Reisedauer von 24 Stunden von Tür zu Tür – von Harbor Bay in Singapur bis Sendling in München – geschuldet, inklusive mehrstündigem Aufenthalt in Istanbul. Gleichwohl lohnt sich ein Besuch in der dortigen Ferne zweifellos. Aus touristischer wie aus journalistischer Sicht, weil ein solcher gleichermaßen faszinierend wie – mit Blick auf Deutschland und den Westen – ziemlich ernüchternd ist. 

Clownesken finden nicht statt

Zwei Wochen habe ich in Südostasien verbracht. Wir haben Freunde besucht, die wegen eines vom Arbeitgeber möglich gemachten Auslandaufenthalts derzeit in Singapur leben. Erstmal für zwei Jahre, wobei ein drittes nach gerade mal sieben Monaten halbwegs sicher scheint, weil es ihnen in Singapur sehr gut gefällt. Das hat nicht nur mit dem Klima zu tun, nicht nur damit, dass im botanischen Garten große Echsen und Affen leben, auch nicht nur mit dem Meer und all den Möglichkeiten, die es einem in der Freizeit bietet. Nicht allein mit dem guten Essen, das man in Singapur gemeinsam mit anderen Touristen wie Einheimischen in Hawkern genießt. Das sind kleine Kulinarikhallen mit zahlreichen Ständen, die von Satay-Spießen bis Burger verschiedenste Gerichte anbieten. 

Besuch in China-Town / Autor

Nein, dass unsere Freunde Singapur schätzen und wohl länger bleiben werden, hat auch damit zu tun, dass die Stadt sauber ist, der Nahverkehr pünktlich, das Zusammenleben friedlich, kurzum, dass diese Stadt verrückterweise einfach funktioniert, trotz den 5,5 Millionen Menschen, die hier leben. Aus Deutschland ist man anderes gewohnt. 

Das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Cicero-Titelgeschichte über die Deutsche Bahn und andere Ärgernisse in der Bundesrepublik (März-Ausgabe). Das zeigt das dysfunktionale Berlin, das so gerne eine echte Hauptstadt wäre, es aber nicht ist, und das zeigen auch all die seltsamen Debatten, die wie hierzulande führen, die an den echten Problemen der Bevölkerung weitgehend vorbeigehen; über postfaktische Geschlechtersysteme und irgendwelche Klimasekten, die sich auf Straßen kleben, ungehindert Weihnachtsbäume stutzen und jüngst das Grundgesetz-Denkmal in Berlin beschmiert haben. Derlei Clownesken finden in Singapur nicht statt. Schon der Höflichkeit wegen, aber nicht nur. 

Ein „Arschloch-Vermeidungsprogramm“

Wer noch nie in Singapur war, weiß möglicherweise, dass es dort eine sehr rigide Gesetzgebung gibt. Also theoretisch. Rauchen in der Öffentlichkeit ist nur an ausgewiesenen Plätzen gestattet, Kaugummikauen verboten, wer seinen Müll auf die Straße wirft, dem drohen hohe Geldstrafen, und auch sonst ist Recht und Ordnung in Singapur Staatsräson. Das gilt übrigens auch für die Einwanderung. Singapur schaut sich nämlich ganz genau an, wer da warum und wie lange ins Land will. Wer dort länger leben möchte und über keine finanziellen Möglichkeiten in einem vom Insel- und Stadtstaat festgelegten Maße verfügt, braucht es gar nicht erst zu versuchen. Frage nicht, was Singapur für dich tun kann, frage, was du für Singapur tun kannst, lautet das Motto.

Satay Street in Downtown / Autor

Wer in Singapur einige Tage verbringt und dank der Hilfe jener, die sich dort bereits besser auskennen, tiefer eintauchen kann in diese faszinierende Stadt, der merkt allerdings auch: Die allermeisten Strafandrohungen im Alltag dienen lediglich der Abschreckung. Nicht nur in Chinatown geht es dann doch deutlich liberaler zu, als man das vielleicht erwarten würde. Alt trifft auf Neu und für beides bietet Singapur ausreichend Platz. 

Unterm Strich ist die Gesetzgebung in Singapur damit – pardon für die Wortwahl, aber das trifft es leider ziemlich gut – eher ein großes „Arschloch-Vermeidungsprogramm“, mit dem nicht nur die Stadt sauber, friedlich und am Laufen gehalten wird, sondern auch ethnische Konflikte verhindert werden. Die größte ethnische Gruppe unter den Einheimischen bilden gebürtige Chinesen mit etwa 76 Prozent, gefolgt von Malaien mit etwa 14 Prozent und Indern mit acht Prozent. Obendrauf kommen dann noch all die Ausländer, die für einen begrenzten Zeitraum im Land sind. 

Singapur ist also eine multiethnische Stadt. Und damit sich die diversen Einheimischen nicht nur vom Hörensagen kennen, sich auch begegnen untereinander, sorgt Singapur dafür, dass die Wohnareale – für Einheimische übrigens staatlich subventioniert – ethnisch und religiös durchmischt sind. Ghettoisierung findet in Singapur nicht statt, wenn man mal davon absieht, dass Einheimische und kurzzeitig hier lebende und arbeitende Ausländer in unterschiedlichen Quartieren wohnen. Anders als in Deutschland, wie wir wissen.

Friedliches Zusammenleben als Staatsräson

Mehr noch: Singapur verpflichtet sich in seiner Verfassung sogar dazu, für ein friedliches Zusammenleben der diversen Bevölkerungsgruppen zu sorgen; was mit verschiedenen kleinen wie größeren Maßnahmen gelingt. In den erwähnten Hawkern zum Beispiel gibt es zwei verschiedene Geschirrabgabe-Stellen, eine normale und eine „halal“ für die Muslime der Stadt, in der Regel Malaien. 
 

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Die unterschiedlichen Ethnien haben zudem ihre verschiedenen kleinen Habitate, wo sie ihre Kultur ausleben können, von Chinatown bis zum arabischen Viertel mit entsprechenden Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie. Moscheen treffen auf hinduistische treffen auf buddhistische Tempel, wo jeder seine Religion friedlich praktizieren kann; mit offenen Türen, geöffnet für andere Religionen und neugierige Touristen gleichermaßen.

Besonders gut – um an dieser Stelle mal einen klassischen Reisetipp zu liefern, wenn wir schon dabei sind – hat mir der Buddha Tooth Relic Temple gefallen, im Herzen Chinatowns, der sich über mehrere Stockwerke erstreckt und einen schönen Dachgarten hat. Aber auch der Sri Mariamman Tempel (Hinduismus) und die Masid-Jamae-Moschee sind zweifellos einen Besuch wert.  

Bevölkerungsfrieden als Staatsräson

Jedenfalls hat es ungefähr 48 Stunden gedauert, bis ich morgens in Singapur aufwachte und mir angesichts all der Eindrücke, die ich bereits sammeln konnte, dachte: Deutschland hat eigentlich fertig, gemessen an alldem, was hier so los ist. Kluge, weil pragmatische Ansätze, wie die Sache mit dem öffentlichen Nahverkehr und der Kreditkarte, treffen auf sicherheitspolitische Durchsetzungsfähigkeit, treffen auf Traditionsbewusstsein der einzelnen Bevölkerungsgruppen, treffen auf eine gemeinsame kulinarische Identität aller Singapurer, treffen auf visionäre Architektur und Raumkonzepte – von Marina Bay Sands, bestehend aus drei Hochhäusern, die sich ein Dach teilen, das an ein Schiff erinnert, bis zum beeindruckenden Gastronomie-Konzept in einem alten Kloster („Chijmes“).

Dachgarten Buddha Tooth Relic Tempel / Autor

Und während in Deutschland im Jahre des Herren 2023 angesichts der Klimaapokalypse und anderer Herausforderungen missionarisch vom großen Verzicht gepredigt wird, ist überall in Singapur der unbedingte Wille zu spüren, weiter zu wachsen und wirtschaftlich noch einflussreicher, noch größer zu werden als man das als einer der reichsten Städte der Welt ohnehin schon ist (BIP: 400 Mrd. US-Dollar); auch in der Fläche übrigens. 

Flächenwachstum durch Sandaufschüttungen

Während in Deutschland dringend benötigte Bauprojekte stillstehen, weil erst noch irgendeine Krötenart gerettet werden muss oder die Behörden irgendwas einfach nicht auf die Reihe kriegen, obwohl es in Deutschland nun wirklich mehr als genug Staatsbedienstete gibt, wird Singapur in den kommenden Jahren von derzeit ungefähr 730 Quadratkilometern auf 800 Quadratkilometer weiter wachsen, wofür sich die Stadt durch Sandaufschüttungen einfach selbst vergrößert. Das ist schon auch ein bisschen verrückt, ich weiß, aber es zeigt doch ziemlich gut, wie die Regierung des Landes so drauf ist. 

Das Trinkwasser kommt übrigens aus Malaysia, der entsprechende Vertrag gilt noch knapp 40 Jahre, las ich, und wird in Singapur sorgfältig aufbereitet, mit der Folge, dass die Wasserqualität aus dem Hahn dort besser ist als in manchen Regionen Deutschlands. Nicht das einzige Asien-Klischee, das Singapur partout nicht erfüllt. Und wer lieber ein schönes kaltes Bier der Marke Tiger trinken möchte, kann dies unter anderem auf der künstlich aufgeschütteten Spaßinsel Sentosa tun, direkt am Strand, wo einen die für alle Fahrgäste kostenlose Monorail in wenigen Minuten vom Einkaufszentrum Vivo City aus hinbringt; vorbei an beeindruckenden Hotelprojekten, eines der besten Aquarien der Welt und dem Sitz von Universal Studios Singapur. 

Entschlossen in die Zukunft

Außerdem ist Singapur das einzige asiatische Land mit einer „AAA“-Bonitätsbewertung aller großen Bewertungsagenturen und verfügt über ein durchschnittliches Pro-Kopf-BIP von über 72.000 US-Dollar. Zudem ist die Steuerlast gering, was den Zuzug von Fachkräften stark befördert. Und während die größte Leistung der deutschen Hauptstadt Berlin zuletzt darin bestand, eine Wahl halbwegs erfolgreich wiederholt zu haben, wird in Singapur – wie in sehr vielen anderen Regionen Asiens eben auch – hart und entschlossen an der eigenen Zukunft gearbeitet.

Sonnenuntergang vor Sentosa / Autor

Also wirklich handfest, nicht nur theoretisch in irgendwelchen Ansprachen von wegen „Zeitenwende“. Visionäres Denken und viel Disziplin in Singapur machen halt einen gewaltigen Unterschied zur ambitionslosen bundesrepublikanischen Hauptstadt, in der er Künstler ist und sie auch nichts zu tun hat. 

Erstmal schauen, dass es läuft

Es wäre gleichwohl unsinnig, an dieser Stelle nur eine einzige Lobeshymne auf Singapur zu singen. Insbesondere als liberaler Geist. Dass überall in der Stadt Kameras zuschauen, ist genauso unschön wie die Tatsache, dass es in Singapur staatliche Pressezensur gibt und es Oppositionelle eher schwer haben. Zur Wahrheit gehört aber auch: Im Dezember 2022 wurde Homosexualität in Singapur offiziell entkriminalisiert; eine entsprechende Szene gibt es in der Stadt ohnehin längst. Und auch an anderen Stellen sind Liberalisierungstendenzen klar erkennbar, also positive, weil freiheitliche Tendenzen, während es in Deutschland jetzt eine Meldestelle für Antifeminismus einer ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin gibt, die von der Bundesregierung finanziert wird. So kann’s gehen.

Wenn Sie mich fragen, macht das vom Prinzip her auch durchaus Sinn in Singapur. Erstmal schauen, dass alles reibungslos läuft, dann erst an den Details herumdoktern und auch gesellschaftlich mehr Moderne, noch mehr Freiheiten wagen. In Deutschland läuft das bekanntermaßen andersherum. Da doktert man bereits an irgendwelchen Details herum, während drumherum alles quietscht und pfeift. In Deutschland streicht man den Gartenzaun beseelt vom eigenen Tun in Regenbogenfarben, während das Haus brennt.

Quo vadis, Germany? 

Verstehen Sie mich nicht falsch: Dies hier ist auch kein Plädoyer, dass deutsche Städte sich vollumfänglich ein Vorbild an Singapur nehmen sollten. Denn die Voraussetzungen hier und dort sind natürlich ganz andere, gesellschaftlich, freiheitlich, geografisch, klimatisch. Aber wer als deutscher Staatsbürger Singapur besucht, dem drängen sich einige Fragen auf.

Hawker in Downtown / Autor

Warum steht sich Deutschland eigentlich dermaßen selbst im Weg und nutzt seine Potenziale nicht? Warum kann Singapur Ambitionen und Deutschland immer weniger? Warum werden jene Gesetze, die wir beispielsweise bei der Einwanderung sinnvollerweise haben, nicht konsequenter durchgesetzt? Warum experimentieren die Deutschen lieber an ihrem Bildungssystem herum, statt es zu verbessern?

Warum glaubt man in Deutschland, dass Maßnahmen, die in vielen Bereichen nicht funktionieren, nur intensiviert werden müssen, dann wird's schon klappen? Warum sehnen sich gewisse Milieus hierzulande zurück nach der Steinzeit? Warum schalten wir inmitten einer Energiekrise die letzten verbliebenen Atomkraftwerke ab? Warum lässt sich der Rechtsstaat auf der Nase herumtanzen?

Warum sitzen in Deutschland reihenweise Leute an entscheidenden Schalthebeln der Macht, die ich nicht einmal als Manager einer Currywurst-Bude einstellen würde? Und warum will Deutschland im internationalen Vergleich eigentlich nicht technologisch, was es durchaus könnte, wenn die Rahmenbedingungen verbessert werden, vorangehen, sondern moralisch, obwohl sich für den deutschen Moralismus im Ausland wirklich niemand interessiert? 

Germany-Town als letzter Ausweg

Ja, das sind so Fragen, die ich mir während meines Aufenthalts in Singapur gestellt habe. Und die einzige Antwort, die mir halbwegs plausibel erscheint, ist, dass große Teile der Bevölkerung und der Politik den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen haben; nämlich, dass es so wie in den vergangenen Jahren nicht weitergehen kann mit der Bundesrepublik. Dass wir wieder gestalten statt verwalten müssen, dass ein bisschen mehr Germany First nicht böse nationalistisch wäre, sondern ziemlich gesund für ein Land, das zukunftsfähig sein und bleiben will. Dass man immer noch nicht kapiert hat, dass der Westen gerade dabei ist, von anderen Regionen der Welt für sehr lange Zeit abgehängt zu werden. Vielleicht für immer. 

Aber keine Sorge, um diesen Beitrag mit ein bisschen Optimismus zu beenden: Wenn der ganze Laden hier endgültig den Bach runtergeht, können wir ja immer noch als Gastarbeiter nach Asien auswandern. Singapur wäre meine erste Wahl. Für die letzten verbliebenen Deutschen mit echten Ambitionen findet sich dort schon noch irgendein Plätzchen. Dann bauen wir halt ein kleines Germany-Town auf einer der neu aufgeschütteten Inseln. Und der Rest, jener Teil der Bevölkerung, der immer noch glaubt, irgendein Land würde sich Deutschland tatsächlich zum Vorbild nehmen, kann dann gerne bleiben, wo der Pfeffer wächst. Wenn hierzulande überhaupt noch irgendwas wächst irgendwann.  

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