Nord Stream 2 - Baerbock gegen Scholz

„Wie hältst du’s mit Nord Stream 2?“ Diese Frage markiert eine Bruchstelle zwischen den Koalitionspartnern SPD und Grünen. Während die neue Außenministerin Annalena Baerbock mit der Äußerung vorprescht, die Erdgas-Pipeline sei nicht genehmigungsfähig, muss sich Bundeskanzler Olaf Scholz an seine anderslautenden Wahlkampfäußerungen erinnern lassen.

Brücke oder Bruchstelle? Erdgaspipeline Nord Stream 2 / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Russlands Präsident Wladimir Putin hat es in der Hand, die Ampelkoalition in ihre erste ernsthafte Krise zu stürzen. Denn SPD und Grüne beurteilen die Pipeline Nord Stream 2 völlig unterschiedlich. Beide haben in den letzten Tagen bewiesen, dass sie ihre verschiedenartigen Positionen auch durchsetzen wollen.

Außenministerin Annalena Baerbock mahnte sogleich Russland, dass jede Eskalation gegenüber der Ukraine hohe politische und wirtschaftliche Kosten verursachen werde. Diese Warnung kam am ersten Tag noch sehr allgemein daher, wurde nach kurzer Zeit aber konkreter. Unter den gegebenen Umständen könne Nord Stream 2 – so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart sei – nicht genehmigt werden, weil nach europäischem Recht der Betreiber der Pipeline nicht auch gleichzeitig die Pipeline zum Transport von Gas nutzen darf; es müssen unterschiedliche Unternehmen sein. Nord Stream 2 arbeitet gerade daran, hierfür eine Rechtsform zu finden.

Baerbock ging aber noch weiter, indem sie erklärte, die USA und die vorherige Bundesregierung hätten sich darauf verständigt, „dass bei weiteren Eskalationen diese Pipeline so nicht weiter ans Netz gehen könnte“. Das klang so, als würde diese Vereinbarung nach Auffassung der Außenministerin auch für diese Bundesregierung gelten. In welcher Form sich die amerikanische und deutsche Regierung darauf verständigt haben, erläuterte sie nicht. „Weitere Eskalationen“ sind zudem ein so weiter Begriff, dass damit auch Maßnahmen vor einer Entscheidung zu militärischen Handlungen, etwa solche der hybriden Kriegsführung, gemeint sein können.

Letzte Brücke zwischen Russland und Europa

Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Grünen, ging noch weiter als die Außenministerin, indem er erklärte, dass die SPD in der letzten Bundesregierung mit den USA folgendes vereinbart hätten: „Falls Russland die Ukraine wieder angreift, sind alle Optionen auf dem Tisch, und die erste, die sich aufdrängt, ist Nord Stream 2.“ Gewöhnlich schließt die Formulierung „alle Optionen“ auch militärische Maßnahmen ein. Bisher sprechen die Nato-Staaten davon, die eigenen Abschreckungs- und Abwehrmaßnahmen in den Mitgliedstaaten der Nato zu stärken und die Ukraine bei der Ausrüstung zu unterstützen. Massive wirtschaftliche Sanktionen, etwa der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsdienstleister SWIFT und damit die Abtrennung des Landes vom internationalen Zahlungsverkehr, sind ein hocheffektives und zweischneidiges Schwert zugleich. Die Sanktionsländer müssen die dann entstehenden Kosten ebenso tragen wie der Staat, gegen den die Sanktionen verhängt wurden.

Die Grünen haben damit eine Position markiert, die sich um 180 Grad von der Position der SPD unterscheidet. Bundespräsident Steinmeier brachte deren Grundintention zum Ausdruck, als er sagte, die Energiebeziehungen seien „fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa“. Und das Symbol dieser Beziehungen ist Nord Stream 2. Steinmeier verteidigte die Pipeline explizit. Olaf Scholz hatte im Wahlkampf die Inbetriebnahme der Pipeline befürwortet, sie als rein wirtschaftliches Projekt charakterisiert, aber eine Hintertür offen gelassen. Falls Russland die Ukraine unter Druck setzen würde, wäre der Betrieb gefährdet, was freilich voraussetzt, dass sie erst einmal in Betrieb genommen wird. Scholz wörtlich: „Die Beeinträchtigung des Gastransits und der Sicherheit für die Ukraine hat Konsequenzen für den möglichen Transit für die dann fertiggestellte Pipeline.“ Ein starkes Statement klingt allerdings anders. Der Wahlkämpfer Scholz hat den Bundeskanzler Scholz nicht auf eine Position festgelegt.

Ansehensverlust in der SPD

Scholz könnte seine Position also wechseln und auf frühere Äußerungen verweisen. Das würde inzwischen aber zwei Konsequenzen haben. Die erste ist inhaltlich gravierend, denn er müsste die SPD und deren Schröder-Netze überzeugen, ihn weiter zu unterstützen. Die zweite ist für sein öffentliches Auftreten halsbrecherisch, denn es entstünde der Eindruck, dass Baerbock und Nouripour ihm ihre Position in dieser Frage aufgezwungen haben. Gesichtswahrend könnte dies durch die EU abgefedert werden, aber Scholz’ Bild in Deutschland wäre angestoßen.

Gewichtiger wäre der Ansehensverlust in der SPD. Diese hatte immer darauf bestanden, dass Nord Stream 2 eine europäische Angelegenheit sei, aus der sich die USA herauszuhalten hätten. Scholz hätte dann dem gemeinsamen Druck aus Washington und der Parteizentrale der Grünen nachgegeben. Zudem galt das Argument, dass enge Verbindungen zu Russland ein wichtiges Ziel der SPD seit der Neuen Ostpolitik seien. Es ist Willy Brandts Erbe.

Deutschlands Unabhängigkeit gestärkt

Ebenso wurde darauf verwiesen, dass durch diese Energiebeziehungen Deutschlands Unabhängigkeit gestärkt werde. Dazu sagte Norbert Walter-Borjans: „Unabhängigkeit sichert man meiner Meinung nach nicht dadurch, dass man Verbindungen zu anderen kappt, sondern dass man möglichst viele Verbindungen zu möglichst vielen Partnern hat.“ Darüber hinaus wies er auf die Bedeutung für die Klimapolitik hin: „Es geht in diesem Fall aber nicht um Handel, sondern um eine Infrastruktur, die uns hilft, den Übergang unseres hochindustrialisierten Landes zur Klimaneutralität zu schaffen.“ Diese Position wurde im Januar 2021 besonders heftig gegen Baerbock persönlich formuliert. „Mit grünem Illusionismus versucht sie, die Menschen im Land für dumm zu verkaufen“, sagte der damalige stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Sören Bartol und bezog auch das auf eine unabhängigere Energieversorgung: „Indem sie Nord Stream 2 ablehnt, macht sie den Import von schmutzigen Fracking-Gas hoffähig ... Das ist dann die verschwiegene Konsequenz des grünen Populismus.“ Sören Bartol ist inzwischen zum Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen aufgestiegen, also Olaf Scholz’ Mitkandidatin um den Parteivorsitz.

Bundeskanzler Scholz hat sich durch sein Zögern in dieser Frage in eine schwierige Lage manövriert. Präsident Putin kann sie anheizen oder abkühlen. Das wird nicht den Ausschlag für die russische Ukrainepolitik geben, aber für den geschickten Taktiker im Kreml ist dies eine weitere Handlungsdynamik. Für die SPD hält die Entwicklung der Lage womöglich einen schwerwiegenden Richtungswechsel bereit, der nach allen Beteuerungen, an Nord Stream 2 und den Verbindungen nach Russland festhalten zu wollen, nicht zu erklären wäre. Denn Eskalationen im Verhältnis zu Russland müssten ja nach dieser Logik erst recht bedeuten, die letzten Brücken nicht einzureißen.

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