Atomverhandlungen mit dem Iran - Am Nullpunkt

Die Atomverhandlungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten sind ergebnislos geblieben. Dabei ist das Regime in Teheran nur noch wenige Wochen davon entfernt, eine Atombombe produzieren zu können. Tatsächlich geht es aber um mehr: Irans politisches System zerfällt schneller, als es vielen Beobachtern klar ist.

Mitglieder der iranischen Revolutionsgarde / picture alliance
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Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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Ein Jahr nach dem Beginn der Atomverhandlungen mit dem Iran in Wien sind die Gespräche wenig überraschend ohne eine Einigung in den Kernfragen zu Ende gegangen. Obwohl der Iran eine Einigung braucht, um seine sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lindern, hält er die Kosten eines Kompromisses in den Kernfragen – nämlich die Rolle der Islamischen Revolutionsgarden – für zu hoch, um sie zu akzeptieren. Irans ultrareligiöse Führungselite will auch weiterhin ihre Ideologie im gesamten Nahen Osten verbreiten und glaubt, dass jegliche Zugeständnisse in den Gesprächen dieses „göttliche Ziel“ verhindern könnten.

Trotz der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage des Irans und der zunehmenden Frustration der Bevölkerung wird die iranische Führung keine Kompromisse in Fragen eingehen, die sie als vorrangig betrachtet. Sie glauben, dass die Verhandlungsführer in Wien die Gespräche nicht dauerhaft aussetzen werden und dass schließlich eine Einigung mit den USA erzielt werden kann. Das Regime sieht daher keine Notwendigkeit, sich übereilt auf ein unvorteilhaftes Abkommen einzulassen. Einige im Iran unterstützen diesen Ansatz, da sie der Meinung sind, dass das Land eine regionale Supermacht sei, die den Nahen Osten und alle islamischen Staaten anführen sollte. Seit der Revolution von 1979 ist der Iran in der gesamten Region auf dem Vormarsch und hat überall dort lokale Verbündete gefunden, wo es den politischen Systemen nicht gelungen ist, einen Rechts- und Bürgerrechtsstaat zu errichten, die Schiiten zu integrieren und auf ihre grundlegenden Forderungen einzugehen.

Jahrhundertealte Lehren

Diese Ansichten über die Rolle des Landes in der islamischen Welt beruhen auf jahrhundertealten religiösen Lehren. Nach schiitischer Überzeugung ging der zwölfte Imam in der Nachfolge des Propheten Muhammad, Muhammad al-Mahdi, 874 in Deckung, da er um sein Leben fürchtete. Die Schiiten glauben, dass das sunnitisch dominierte islamische Kalifat die elf vorangegangenen Imame ermordet hat und dass es zwingend notwendig war, dass er verschwindet, um die Interessen der islamischen Gemeinschaft zu wahren und sie auf das Wiedererscheinen des Mahdi vorzubereiten, der die Aufgabe haben wird, Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu beenden. Das endgültige Ziel der Rückkehr Mahdis wäre es, die Menschheit zur Erlösung in einem gerechten und göttlichen Staat zu führen. Die Iraner beharren darauf, dass unnötige Zugeständnisse bei den Wiener Verhandlungen gegen die göttliche Mission des „verborgenen Imams“ verstoßen würden.

Die USA und der Iran sind mit unterschiedlichen Denkweisen und Erwartungen in die Wiener Gespräche gegangen. Da die Iraner sich weigerten, über das Raketenprogramm ihres Landes und die Aktivitäten der Iranischen Revolutionsgarde zu sprechen, betonten die USA, dass die Sanktionen im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm nur dann aufgehoben werden könnten, wenn Teheran die Bedingungen eines neuen Abkommens vollständig umsetzt. Die Iraner bestanden unterdessen darauf, dass die USA als Vorbedingung für Gespräche die Revolutionsgarde von ihrer Liste ausländischer terroristischer Organisationen streicht.

Jetzt sind die Verhandlungen festgefahren und werden wahrscheinlich nicht vor 2023 wieder aufgenommen, da der Widerstand des Kongresses gegen die Forderungen Teherans und der Ukrainekrieg die Verhandlungen ins Stocken gebracht haben. Der oberste US-Verhandlungsführer sagte kürzlich, dass die Aussichten auf eine Einigung in absehbarer Zeit bestenfalls gering seien. Jede Seite verhandelte, um ihre Vorteile zu maximieren, aber nach einem Jahr unregelmäßiger Gespräche entschieden die USA, dass sie die Revolutionsgarde nicht von der Terroristen-Liste streichen können. Die Amerikaner sind nicht nur wegen der iranischen Nuklearaktivitäten besorgt, sondern auch wegen der Gründung lokaler Milizen und ihrer subversiven Aktivitäten, die die Sicherheit vieler Länder des Nahen Ostens bedrohen, mit denen Washington gute Beziehungen pflegt.

Die Macht der Konservativen gefestigt

Nach der Wahl von Ebrahim Raisi zum iranischen Präsidenten im Jahr 2021, die die Macht der Konservativen festigte, wehrten sich die iranischen Unterhändler gegen jeden Kompromiss in den noch offenen Fragen, da ein Nachgeben die ideologischen Grundlagen der Islamischen Republik untergraben würde. In diesem Fall würde ein Kompromiss das Amt des Obersten Führers als Hüter des Glaubens irrelevant machen. Dennoch ist Teheran bestrebt, eine Eskalation zu vermeiden und in den Verhandlungen nicht den Punkt zu erreichen, an dem es kein Zurück mehr gibt – obwohl es nur noch Wochen davon entfernt ist, genügend spaltbares Material für die Herstellung mindestens einer Atombombe zu produzieren.

Die jahrelange Eindämmungspolitik der USA hat es dem Iran ermöglicht, ein effizientes System zur Umgehung der gegen ihn verhängten Sanktionen zu entwickeln. (Letzte Woche hat Washington neue Sanktionen gegen ein von der Revolutionsgarde geführtes internationales Netzwerk verhängt, das in Geldwäsche und Ölschmuggel verwickelt ist.) Der Anstieg der Ölpreise und die gewachsene Nachfrage Chinas nach iranischem Öl haben Teheran auch die finanziellen Mittel verschafft, um eine starke Verhandlungsposition zu halten.

Die Iraner haben immer behauptet, dass eine Einigung in greifbarer Nähe sei, auch wenn sie keinen Grund zum Optimismus hatten. Die Vereinigten Staaten wiederum wollen, dass der Iran im Rahmen der Wiener Gespräche akzeptable Forderungen vorlegt. Sie ziehen es vor, eine praktikable Einigung in der Nuklearfrage zu erzielen und gleichzeitig die Behandlung komplexer Probleme wie den Status der Revolutionsgarde und das iranische Raketenprogramm zu verschieben. Diese vorsichtige Herangehensweise mag in den USA auf weniger Widerstand stoßen, aber die Konservativen im Iran sind der Meinung, dass die Zeit auf ihrer Seite ist, um ein günstigeres Abkommen zu erzielen.

Irans Zweifel an China

Um den Schmerz über die Sanktionen etwas zu lindern, hat der Iran versucht, Partnerschaften mit anderen Großmächten einzugehen. Doch China und Russland werden die wirtschaftlichen Probleme des Irans nicht lösen, und es gibt Gründe, an der Aufrichtigkeit ihrer Gesten des guten Willens zu zweifeln.

Im Jahr 2016 besuchte der chinesische Präsident Xi Jinping den Iran, um über Investitionen in Höhe von 400 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von 25 Jahren in den Bereichen Banken, Kommunikation, Häfen, Eisenbahn, Gesundheit und Informationstechnologie zu sprechen. Das geheime Abkommen, das als „Pakt zwischen Löwe und Drache“ bezeichnet wird, hat die iranische Öffentlichkeit wegen seiner Auswirkungen auf die Souveränität des Landes gespalten. Viele Iraner bezweifeln, dass Peking Teheran als gleichberechtigten Wirtschaftspartner behandeln wird, und behaupten, Chinas Hauptziel bestehe darin, die Bemühungen der USA zur Eindämmung Pekings zu behindern. Zu diesen Bemühungen gehören ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit, das die USA, Großbritannien und Australien im vergangenen Jahr unterzeichnet haben, sowie das „Indo-Pacific Economic Framework“, das zwölf andere Länder der Region im vergangenen Monat unterzeichnet haben.

Der frühere iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad kritisierte den Pakt von 2016, der im Geheimen ausgehandelt und nur vage umrissen wurde, scharf mit dem Argument, dass die Chinesen oft Versprechen machen, die sie nicht einhalten. Auch iranische Nationalisten haben sich gegen stärkere Wirtschaftsbeziehungen mit China ausgesprochen und die Angelegenheit mit der Tabakkonzession verglichen, die 1891 Proteste auslöste, sowie mit der D‘Arcy-Konzession von 1901, die einem Engländer die Exklusivrechte für die Ölförderung in Persien einräumte.

Was Russland betrifft, so ist seine scheinbare Zusammenarbeit mit dem Iran im Kaukasus und in Syrien weniger als eine strategische Allianz. Das Erbe der imperialen Kriege und des territorialen Expansionismus Russlands ist im kollektiven Bewusstsein des Iran verankert. Ayatollah Ruhollah Khomeini war den Russen gegenüber ebenso misstrauisch wie den USA und bezeichnete die beiden Länder als „zwei Klingen derselben Schere“. Russland stand der iranischen Verfassungsbewegung von 1905 kritisch gegenüber, und 1911 beschoss die russische Artillerie die iranische Nationalversammlung. Russlands koloniales Erbe, einschließlich der Besetzung des Nordiran durch die Rote Armee im Jahr 1941, ist nach wie vor ein Hindernis für den Aufbau freundschaftlicher und vertrauensvoller Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Hat der „Revolutionsführer“ noch eine Zukunft?

Die Zukunft des Irans hängt von der Zukunft des Amtes des Obersten Führers („Revolutionsführers“) ab. Es ist zweifelhaft, dass dieses Amt den Tod von Ayatollah Ali Khamenei überleben wird. Während Ayatollah Ruhollah Khomeini die unerschütterliche Unterstützung und den Respekt des klerikalen Establishments im Iran genoss, hat Khameneis umstrittene religiöse Legitimation bei vielen seiner Kollegen nicht das gleiche Gewicht. Außerdem kann Khamenei, der von seinem Vorgänger persönlich in das Amt berufen wurde, den nächsten Obersten Führer nicht ernennen. Das Amt ist nicht institutionalisiert, und es ist zweifelhaft, dass Khameneis Nachfolger das religiöse Gebäude des Regimes bewahren würde. Es besteht nun die Gefahr, dass der Iran in die Hände der Revolutionsgarde fällt, die das Land als Militärdiktatur regieren würde.

Unter den regierenden Konservativen Irans gibt es keinen starken Königsmacher, der das politische System zusammenhalten und eine Verfassungskrise vermeiden könnte. Der Iran ist ethnisch heterogen – und der Schiismus bewahrt das Land vor dem Auseinanderfallen. Seit den Safawiden, die den Iran von Beginn des 16. Jahrhunderts an regierten, ist die Legitimität des Regimes in der religiösen Doktrin verankert. Der Schah verlor 1979 die Macht, weil er sich mit dem religiösen Establishment überworfen hatte. Der Aufstieg einer Militärdiktatur würde die ethnischen Spaltungen im Iran an die Oberfläche bringen und das Überleben des Landes als Einheitsstaat gefährden.

Eine neue Kleriker-Generation

Viele Ayatollahs in Nadschaf und Qom befürworteten die Trennung von Religion und Politik – eine Position, die der im Iran geborene Ayatollah Ali Sistani noch immer vertritt. Khomeini verfolgte den gegenteiligen Ansatz und beschloss, die Religion zu revolutionieren. Die meisten Iraner betrachten die Kleriker heute mit Verachtung, da sie sie als Vertreter eines korrupten politischen Systems ansehen. Sie fürchten sich sogar davor, ihre religiöse Kleidung in der Öffentlichkeit zu tragen, um Spott und mitunter auch körperliche Angriffe zu vermeiden. Es gibt eine neue Generation junger Kleriker, die sich den Reformisten anschließen und an die Demontage der heiligen Säulen des Staates, einschließlich des Amts des Obersten Führers, glauben. 

Irans politisches System zerfällt schneller, als es vielen Beobachter klar ist. Das iranische Volk erhebt sich nicht oft gegen den Staat. Aber wenn es das tut, schreibt es Geschichte.

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