Anschlag auf Daria Dugina - Ein Mord mit vielen Fragezeichen

Zu dem Mord an der Tochter des rechtsnationalen Ideologen Alexander Dugin in Moskau hat sich eine bislang unbekannte russische Widerstandsgruppe bekannt. Welche Folgen hat der Anschlag? Und wer hat ihn wirklich verübt?

Ermittler am Ort der Explosion des von Daria Dugina gefahrenen Autos außerhalb von Moskau / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Ein Terroranschlag in Russland? Als die Meldung über den Anschlag auf Daria Dugina am späten Samstagabend durch die Medien ging, mag mancher aufgehorcht haben: Der jüngste Anschlag in Russland – ein Islamist zündete in St. Petersburg eine Bombe – liegt fünf Jahre zurück, und er gehörte zu den späten Nachwehen der Tschetschenienkriege. Politische Morde, zumindest solche, die nicht vom Staat begangen wurden, liegen noch viel weiter zurück: In den 90er-Jahren gehörten sie zum Alltag.

So viel ist bislang bekannt: Das Auto der 29-jährigen Daria Dugina wurde am späten Samstagabend in einem Moskauer Vorort per Fernzündung in die Luft gesprengt. Dabei starb sie noch am Unfallort. Ihr Vater, der rechtsnationale Ideologe Alexander Dugin, war mit seinem Auto hinter ihr gefahren. Fernsehbilder zeigen, wie er fassungslos neben dem brennenden Autowrack seiner Tochter steht.

Während das russische Ermittlungskomitee bislang nur von Mord – und nicht von einem Terroranschlag – spricht, überschlagen sich die Deutungsversuche: Stehen Ukrainer hinter dem Anschlag – oder russische Putin-Gegner? Oder war der Anschlag eine „False-Flag-Operation“ der Geheimdienste, um jetzt die Legitimation zu haben, noch härter gegen Gegner des Ukraine-Kriegs im Land vorzugehen? Und galt der Anschlag in Wirklichkeit Dugin selbst?

In westlichen Medien wurde Dugins Rolle am Wochenende – und in den Jahren zuvor – deutlich überbewertet: Der 60-jährige Philosoph wird gerne als Putins Einflüsterer, als Chefideologe des Kremls, zumindest aber als Ideengeber dargestellt. In Wirklichkeit ist Dugin eine im russischen Machtgefüge marginale Figur, der sogar 2014 über radikale Äußerungen zur Ukraine seine Stellung an der Moskauer Lomonossow-Universität verlor. Gleichzeitig spiegeln sich in der heutigen russischen Staatspolitik viele seiner Positionen wider: Dugin propagiert einen von den Russen dominierten eurasischen Raum – eine genaue Beschreibung seiner Gedankenwelt hat das Portal Dekoder veröffentlicht.

Warum war die Tochter im Visier und nicht der Vater?

Dugin war auch in den russischen Talkshows kaum präsent. Stattdessen hielt er Vorlesungen auf Festivals – so auch am vergangenen Samstag. Zusammen mit seiner Tochter kehrte er von einem Festivalgelände außerhalb Moskaus zurück, jeder in seinem eigenen Auto. Im Gebiet Odinzowo, westlich von Moskau gelegen, zündete dann der Sprengsatz am Auto der Tochter. Wie Alexej Wenediktow schreibt, bis zuletzt Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskaus, war das Auto auf sie registriert, der Sprengsatz auch unter ihrem Sitz positioniert – deshalb geht er nicht davon aus, dass in Wirklichkeit ihr Vater Ziel des Anschlags war. Das wirft allerdings die Frage auf, warum es sie treffen sollte: Daria Dugina vertrat zwar ähnliche Ideen wie ihr Vater und äußerte sich in Talkshows radikal zur Ukraine – eine einflussreiche Publizistin war sie jedoch nicht.
Am Sonntagabend behauptete der ehemalige russische Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow, die Tat sei von russischen „Partisanen“ begangen worden, die sich „Nationale Republikanische Armee“ nennen.

 

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Dieselben Leute hätten auch schon vor Monaten Wehrdienstbüros der russischen Armee mit Molotow-Cocktails attackiert. Ponomarjow verliest auf seinem Youtube-Kanal auch ein Pamphlet der Gruppierung, die zum bewaffneten Kampf gegen das Putin’sche System aufruft: Attackiert werden sollen Vertreter des Regimes, der Geheimdienste – und Geschäftsleute, die von der staatlichen Korruption profitieren und das System stützen.

Das Problem: Ponomarjow liefert in seinem Auftritt keine stichhaltigen Belege dafür, dass es diese Leute wirklich gibt – und dass sie hinter dem Anschlag auf Dugina stehen. Der 47-Jährige lebt seit 2017 in der Ukraine, zuvor war er seit 2006 Duma-Abgeordneter. 2010 hatte Ponomarjow öffentlich die Proteste gegen den Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen unterstützt, 2014 stimmte er als einziges Duma-Mitglied nicht für die Annexion der Halbinsel Krim. Schließlich wurde seine Immunität aufgehoben, um ihn strafrechtlich zu verfolgen – Ponomarjow floh in die Ukraine, wo ihm später die Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Eine einflussreiche Figur der russischen Opposition war Ponomarjow in den vergangenen fünf Jahren jedoch nicht.

Ukrainer und Russen beschuldigen sich gegenseitig

Es ist nicht auszuschließen, dass sich in Russland militanter Widerstand gegen das Putin-Regime bildet: Der Frust von Millionen Menschen, die sich ein anderes Land wünschen und die spätestens im Februar 2022 verstanden haben, dass man mit friedlichen Demonstrationen nichts erreichen kann, ist groß. Allerdings wäre es für die Opposition ein gewaltiger Eskalationsschritt.

Vorstellbar ist auch eine „False-Flag-Operation“ russischer Geheimdienste: Ein Terrorakt, der den Kriegsgegnern im Land zugeschrieben werden kann, kann vom Regime instrumentalisiert werden, um sie noch härter zur verfolgen, als es heute schon der Fall ist. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Anschlagsserie auf Wohnhäuser in Russland ab August 1999 in Wirklichkeit vom russischen Geheimdienst FSB verübt wurden – den Putin leitete –, um in der Bevölkerung eine Legitimation für den dann äußerst brutal geführten zweiten Tschetschenienkrieg zu schaffen.

Oder standen ukrainische Spezialkräfte hinter dem Anschlag? Vertreter der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wiesen die Schuld am Anschlag ukrainischen Kräften zu. Die Ukraine wies die Anschuldigungen jedoch umgehend zurück.
Interessant ist zudem der Ort des Anschlags: Das Gebiet Odinzowo, westlich von Moskau gelegen, beherbergt die Villen und Paläste der russischen Oligarchen, Geheimdienstler und Minister. Und Putins Residenz Nowo-Ogarjowo.

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