Feministische Außenpolitik - Mit Gendersensibilität die Welt retten

Außenministerin Baerbock stellt an diesem Mittwoch ihre Leitlinien für eine feministische Außenpolitik vor. In erster Linie dient das Vorhaben der politischen Selbstprofilierung. Denn mit feministischen Fortbildungsseminaren im Auswärtigen Amt ist keiner Frau in Afghanistan oder im Iran geholfen.

Bundesaußenministerin Baerbock auf einer Staatsreise in Indien / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Auch wenn sich die Ampel-Parteien bei der Abfassung ihres Koalitionsvertrags noch mit der englischen Bezeichnung „Feminist Foreign Policy“ eine gewisse Distanz zum Thema verschaffen wollten, so ist nach etwas über einem Jahr das Projekt feministische Außenpolitik kräftig vorangeschoben worden. „Gemeinsam mit unseren Partnern“, wurde im Koalitionsvertrag geschrieben, „wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern. Wir wollen mehr Frauen in internationale Führungspositionen entsenden, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 ambitioniert umsetzen und weiterentwickeln.“ 

Da sind einerseits die drei R: Rechte, Ressourcen, Repräsentanz, die bald in jedem Statement zur Außenpolitik durchscheinen werden, andererseits das Ziel, gesellschaftliche Diversität zu fördern. Das alles gemeinsam mit Partnern, womit, wenn man die Einordnung im Koalitionsvertrag berücksichtigt, vor allem diejenigen Staaten gemeint sind, mit denen es keine grundsätzlichen Wertedifferenzen bei diesen Fragen gibt, auch wenn das Thema innenpolitisch überall umstritten ist. Schwierig wird es mit anderen Staaten. Falls überhaupt.

Anspruch und Wirklichkeit

Der Bezug auf die UN-Resolution 1325, die am 31. Oktober 2000 vom Sicherheitsrat einstimmig verabschiedet wurde, zeigt, dass das Thema schon lange politisch bearbeitet wird. Geschlechtsspezifische Gewalt in Konflikten soll, so heißt es dort, bekämpft, die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen und Sicherheitsvorhaben erhöht werden. Nachfolgeresolutionen wie 2467 von 2019 strebten danach, das Thema noch stärker im Bewusstsein und institutionell zu verankern. Betrachtet man die realen Entwicklungen in den Kriegen seither, muss die Wirkung als mäßig eingeschätzt werden. Geschlechtsspezifische Gewalt wird derzeit von den russischen Streitkräften systematisch und geplant eingesetzt. Da hilft auch nicht, dass die Resolution bindend ist.

Das Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit ist in der aktuellen Diskussion der Bundesaußenministerin sogleich widerfahren, als ihr mit Blick auf die zu Beginn etwas zögerliche deutsche Iranpolitik vorgeworfen wurde, im Härtetest über Rechte von Frauen gerade keine feministische Außenpolitik zu betreiben. Die Debatte wird auch stets wieder an den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan geführt, und zahlreiche andere Staaten ließen sich anführen, in denen die Rechte von Frauen und sogenannten Minderheiten auf eine Weise beschränkt sind, die mit Rechten und Repräsentanz nichts zu tun haben.

Weltanschauliches Gegenprojekt zu illiberalen Modellen

Dafür sollen nun Ressourcen aufgewendet werden. 85 Prozent der Projektmittel des Auswärtigen Amtes sollen „gendersensibel“ eingesetzt werden, 8 Prozent „gendertransformativ“. Da wie beim sprichwörtlichen Pudding auch hier der Beweis erst mit dem Essen kommt, wird man beobachten müssen, was dies in Zukunft denn tatsächlich bedeutet. In welchen Ländern werden welche Projektinhalte mit welchen Projektpartnern wie umgesetzt und evaluiert? Die Absicht dahinter ist, Zahl und Einfluss von Frauen zu erhöhen und die Diversität der Gesellschaft abzubilden. 

Das ist ein weltanschauliches Gegenprojekt zu illiberalen Modellen, die sich gerade anschicken, ihre autoritären Strukturen als eigentliche selbstbestimmte Demokratie zu lackieren. Ob es international erfolgreich sein wird, ist fraglich, denn einerseits bestimmen weiterhin sogenannte harte Faktoren die Außenpolitik; andererseits greifen wirksame Projekte tief in das Selbstverständnis von Gesellschaften, ihre traditionellen Rollen, religiösen Glaubensvorstellungen und politische Kultur ein. Das wird auf Gegenwehr stoßen, und welche Wirkungen dies entfaltet, kann im Vorhinein kaum abgeschätzt werden. 

 

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So wird der messbare Erfolg feministischer Außenpolitik wohl in Berlin und den Botschaften Deutschlands zu verzeichnen sein. Denn neben sechs Leitlinien für die Außenpolitik stehen ebenso viele für die innere Organisation des Auswärtigen Amtes. Die Zahl von Frauen in Führungspositionen soll erhöht, die Gendersensibilität durch Fortbildungsseminare gestärkt werden, sodass ein „feministischer Reflex“ ausgebildet wird. Die Anforderungen feministischer Außenpolitik soll die gesamte Arbeit des Auswärtigen Amts durchziehen und wird nach innen gerichtet ein schwerwiegendes Legitimationsargument für die Verteilung von Posten und Geldern werden. Das wird, soweit das absehbar ist, die zeitnahe Hauptwirkung des Projekts sein.

Ob diese Erwartung stimmt, wird man daran messen können, was die zu ernennende Botschafterin für feministische Außenpolitik unternehmen wird. Angesichts der Vielzahl neu geschaffener Posten durch die Ampel mag es auf eine Stelle mehr nicht ankommen, und die Außenministerin braucht diese Berufung gerade deshalb, weil ihr Vorhaben zwischen Afghanistan, Iran, Sudan und Nigeria keine greifbaren Ergebnisse wird liefern können. In solchen Lagen müssen symbolische Handlungen her: Beauftragte, Berichte, Arbeitstreffen, interministerielle Runden, neue Berichte, begleitet von einer Vielzahl an Presseaussendungen. Politik, die keine effektiven Ergebnisse liefern wird, braucht umso dringender ein Gesicht.

Quasi-kolonialistische Züge

Am Projekt der feministischen Außenpolitik wird in den nächsten Wochen und Monaten die Diskussion um eine wertegeleitete Außenpolitik nachgeholt, die durch Russlands Angriff auf die Ukraine ebenso verschüttet wie kurzzeitig beantwortet wurde. Die Frage lautet, wieviel an eigenem kollektiven Selbstbild die Bundesregierung anderen Staaten als Bedingung für Zusammenarbeit auferlegen möchte.

Selbst ohne hellseherische Fähigkeiten kann prognostiziert werden, dass dies mit einigen Staaten zu erheblichen Konflikten führen kann und zur Reproduktion eines Europabildes beiträgt, das – ganz entgegen den eigenen Intentionen und entgegen unterstützenswerter Ziele – erneut quasi-kolonialistische Züge weißer Politik trägt. Dieser Blick von außen ist machtgetrieben, patriarchalisch und unfair. Aber er ist. 

Frau Baerbock nutzt das Projekt feministischer Außenpolitik, um ihrem öffentlichen Bild neben der harten Unterstützung der Ukraine eine weitere Facette hinzuzufügen. Das ist mit Blick auf ihre Interessen an ihrer öffentlichen Erscheinung verständlich. Mutmaßlich wird es zur Beruhigung der Spannungen mit Bundeskanzler Scholz nicht beitragen. Aber das kommt wieder darauf an, wer dieses Projekt als Botschafterin vertritt und wie dies angelegt sein wird – als Projekt im Auswärtigen Amt oder als Projekt in der deutschen Außenpolitik. 

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