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AfD-Politiker: - Wir schätzen Europas Kultur, nicht seine Wirtschaft

Die europäische Identität leitet sich für die AfD nicht aus dem gemeinsamen Binnenmarkt ab, sondern aus den kulturellen Stätten Europas. Sprecher Konrad Adam erklärt, wie seine Partei zur Europäischen Union steht

Autoreninfo

Konrad Adam ist Mitbegründer der AfD. Ende September 2020 erklärte er seinen Austritt aus der Partei. Bis 2000 war er Mitglied der Feuilleton-Redaktion der FAZ, danach bis 2007 politischer Chefkorrespondent der Welt.

So erreichen Sie Konrad Adam:

Wenn man den Apologeten des restlos freien Marktes glauben will, gehen wir herrlichen Zeiten entgegen. Die Welt ist drauf und dran, sich von den Vorzügen der Marktwirtschaft, einer europäischen Erfindung, überzeugen zu lassen und ihre Politiker auf die Prinzipien des freien Handels einzuschwören. Von denen, die sich früher einmal zur Überlegenheit des staatlich gelenkten Handels bekannt hatten, haben fast alle ihren alten Glauben verloren; es wimmelt geradezu von Renegaten. Das Dogma vom Wohlstand durch Wirtschaft und Wachstum wird weltweit nachgesprochen, von ehemaligen Planwirtschaftlern wie den chinesischen Machthabern sogar besonders laut.

Die meisten sehen darin einen Fortschritt. Sie glauben, dass eine Welt, in der die Politik der Wirtschaft die Zügel überlässt, dem Zustand des ewigen Friedens näherkommen, ihn irgendwann sogar erreichen wird. Denn freier Handel schaffe eben nicht nur Wohlstand; er stifte auch Vertrauen, begründe Freundschaften und fördere die guten Sitten. Was ein Frühliberaler wie Benjamin Constant seinerzeit vorschnell verkündet hatte, realisiere sich heute: die Welt sei ins Zeitalter des Handels eingetreten, das „notwendigerweise“, wie Constant meinte, die kriegerische Epoche ablösen werde. Erobern wollen zwar beide, der Markt genauso wie die Macht, doch wo der Politiker seine Truppen aufmarschieren lasse, da setze der Unternehmer auf den gerechten Tausch von Geld und Waren. Der eben deshalb Frieden stifte.

Handel kann auch zu Krieg führen


Schon damals, als dieses menschfreundliche Programm zum ersten Mal verkündet wurde, stieß es bei erfahrenen Politikern auf Skepsis. Es erschien als das, was es bis heute geblieben ist, als schöner Traum. In einem Beitrag zu den Federalist Papers, einer Sammlung von Zeitungsartikeln, die nicht zu Unrecht als die zweite Verfassung der USA bezeichnet worden sind, hatte Alexander Hamilton die provokante Frage gestellt, ob denn nicht ebenso viele Kriege aus handelspolitischen Motiven geführt worden wären wie aus dem Wunsch nach Ruhm und Landgewinn. „Und hat der Geist des Handels“, fragte er dann weiter, „nicht immer neue Anreize für den Hunger auf das eine und das andere geliefert?“ Um seine Frage dann mit Hilfe der Erfahrung, „dieser untrüglichen Wegweiserin“, selbst zu beantworten: Mit Ja natürlich.

Hamilton erinnert an das Verhalten von Handelsrepubliken wie Karthago und Venedig, aber auch von ganzen Nationen wie Engländern und Holländern, die sich durch ihren ausgeprägten Handelssinn nie davon abbringen ließen, gegen ihre Konkurrenten vorsätzlich und ausdauernd Krieg zu führen. Und das beileibe nicht nur zur Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen, sondern als Angreifer mit dem erklärten Ziel, Macht über Land und Leute zu gewinnen. Hätte er später gelebt, wären Hamilton aus der Geschichte seines eigenen Landes, der USA, Belege genug für seine Ansicht zugeflossen, dass wirtschaftliche Ambitionen den Einsatz militärischer Mittel keineswegs ausschließen; ganz im Gegenteil. Der Irak hat das letzte Beispiel dieser Art geliefert.

Die Eurokrise hat die Völker von den Berufseuropäern entfernt


Den Europäern dürfte ein anderes Beispiel näherliegen, zumal in diesem Jahr. Denn 2014 gedenken sie der Juli-Krise, die hundert Jahre zuvor den Ersten Weltkrieg eingeleitet hatte. Auch damals war die Theorie vom Handel als dem großen Friedensbringer weltweit in Umlauf und überaus populär. Wer sie vertrat, pflegte sich auf den beträchtlichen Umfang der internationalen Handelsströme zu berufen, die im letzten Vorkriegsjahr auf rund ein Drittel des weltweit erwirtschafteten Sozialprodukts angeschwollen waren. Den großen Mächten, folgerten die Wirtschaftsweisen, könne nicht daran gelegen sein, die Quelle dieses kollektiven Reichtums zu verstopfen; weshalb ein großer Krieg so gut wie ausgeschlossen sei. Nur ein Jahr später gab es ihn dann doch. Die Handelsmächte machten mobil, fielen übereinander her und suchten sich vier Jahre lang gegenseitig abzuschlachten. Als wollten sie beweisen, wie weitschauend die Börse war, als sie den Bären und den Bullen zu ihren Wappentieren erkor, nicht die Taube.

Die Wirtschaft sei das Schicksal, hatte Walther Rathenau zur Zeit des Ersten Weltkriegs gesagt. Bill Clinton hat das dann in unseren Tagen mit den berühmten Worten „It‘s the economy, stupid!“ ins Amerikanische übersetzt. Der Slogan mag alles Mögliche bedeuten – als Friedensbotschaft taugt er sicher nicht. So ist er allerdings verstanden worden, nicht nur in Amerika, sondern auch von uns, den Europäern. Und das war falsch. Er hat die Politik dazu verführt, im Glauben an die Macht der Märkte die Wirtschaft zu überschätzen und von der Währung etwas zu erwarten, was Geld allein nicht schaffen kann. Seit Jahren zeigt die Dauerkrise, der sich die Europäische Gemeinschaft mit Einführung des Euro ausgeliefert hat, dass die Völker Europas zu jenem Maß an Gemeinsamkeit, das die Berufseuropäer von ihnen verlangen, nicht bereit sind.

Ähnlich wie Joseph Schumpeter, der große Ökonom der Zwischenkriegszeit, scheinen die Vorkämpfer der Union dem Geld geradezu magische Kräfte zuzuschreiben. Tatsächlich war Schumpeter davon überzeugt, im Geld das Wesen der Nation entdeckt zu haben. Im Geld, so einer seiner Lehrsätze, spiegele sich alles, „was das Volk will, tut, erleidet, ist“. Das gilt, auf seine Art, ja auch vom Euro. Auch er ist ein Spiegel: ein Zerrspiegel allerdings. Er zeigt das trügerische Abbild eines Volkes, das es nicht gibt und auch so bald nicht geben wird. Um im Euro sein Schicksal zu erkennen, zu erleben und durchzustehen, müsste das europäische Volk ja schon da sein; das ist es aber nicht. Die Berufseuropäer haben die falsche Reihenfolge gewählt, als sie mit der Wirtschaft begannen und mit der Währung weitermachten; und die Kultur dabei vergaßen.

Jean Monnet, der sich mit Robert Schuman den Ehrentitel eines Mustereuropäers teilen darf, soll den Fehler bemerkt und bedauert haben. Ihm wird der Satz zugeschrieben, dass er, wenn er die Aufgabe noch einmal zu erledigen hätte, mit der Kultur beginnen würde. Ob nun verbürgt oder frei erfunden, bringt diese Anekdote eine Wahrheit an den Tag, die Wahrheit der Geschichte. So lange Deutsche und Griechen, Engländer und Slowenen, Polen und Italiener an ihren unterschiedlichen, historisch tief verwurzelten Vorstellungen von dem festhalten, was einen Staat ausmacht, was die Gesellschaft zusammenhält, was eine Verfassung darstellt, was die Politik leisten und eine Verwaltung bewirken soll, wird nicht zusammenwachsen, was offensichtlich nicht zusammenpasst. Erzwungene Gemeinsamkeiten in Fragen der Wirtschafts- und der Währungspolitik werden daran auf absehbare Zeit nichts ändern.

Die großen Marktplätze Europas – Athen, Florenz oder Brügge – sind doch nicht deshalb in Erinnerung geblieben, weil dort Radieschen gehandelt oder Darlehen vermitteln worden sind. Überlebt haben sie als Stätten der Kunst und der Kultur. Auf diesen Plätzen sind sich die Menschen nicht als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, nicht nur als Produzenten oder Konsumenten begegnet, sondern als Bürger, die Wert darauf legten, zusammen mit sich selbst auch das Gemeinwesen zu bereichern und zu verschönern. Nur deshalb nehmen sie im Gedächtnis Europas und der ganzen Welt einen so vornehmen Platz ein. Was wüssten wir vom Bankhaus Arnolfini ohne das rätselhafte Bild, das Jan van Eyck von dem harten Geschäftsmann und seiner zarten Frau gemalt hat? Was wäre von den Medici geblieben, wenn sie ihr Geld für Hedgefonds und Commodities statt für Paläste und Kirchen ausgegeben hätten? Und wie stünde Griechenland da, wenn wir beim Wort Athen an irgendwelche Banker statt an die Künstler denken würden, die vor zweieinhalbtausend Jahren aus der Akropolis ein Museum für repräsentatives Bauen gemacht haben? In diesen Städten ist Europa gegenwärtig, nicht in Brüssel, wo die Kommission, in Straßburg, wo das Parlament, oder in Frankfurt, wo die Europäische Zentralbank ihren Sitz hat. Wer diese kulturellen Marktplätze besucht, der weiß, was Identität bedeutet, woher sie stammt und wie sie aussieht. Er hat sie ja vor Augen.   

Europäische Union nicht zugleich vergrößern und vertiefen


Die Wirtschaft kann vieles; das Gefühl der Zugehörigkeit, das Voraussetzung ist für das Entstehen eines gemeinsamen Willens, bringt sie aber nicht hervor. Wenn man zurzeit nach Schottland oder Katalonien, nach Belgien oder Norditalien blickt, scheint sie sogar das Gegenteil zu bewirken, denn die separatistischen Parolen, die dort laut geworden sind, bedienen sich ganz überwiegend ökonomischer Argumente. Man will die Arbeit und die Werte, die sie schafft, für sich behalten und nicht teilen. Angesichts solcher Erfahrungen ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich die Europäische Union, wie von ihren Sachwaltern verlangt, in ihrer jetzigen Verfassung zugleich vergrößern und vertiefen lässt. Um das zu erreichen, hätte die Wertegemeinschaft, als die Europa sich verstehen will, an andere Tugenden zu appellieren als an die des Kaufmanns. Der Status des Staatsbürgers verlangt nun einmal mehr als die bekannten vier Freiheiten - den freien Verkehr von Waren und Kapital, von Arbeit und Dienstleistungen -, die bis heute den Kern der europäischen Gemeinschaft bilden.

Hannah Arendt hat daran erinnert, dass die amerikanische Verfassung auch von denen ratifiziert worden ist, die an englische Kaufleute verschuldet waren und nun befürchten mussten, von ihren Gläubigern vor amerikanischen Gerichten verklagt zu werden. Diese Leute hatten allen Grund, sich durch die Konstitution einer neuen, selbstbewussten Gemeinschaft in ihren privaten Interessen bedroht zu sehen; sie stimmten aber trotzdem zu. Im ewigen Konflikt zwischen bürgerlichen Rechten und wirtschaftlichen Interessen haben sie dem Staatsbürger den Vorzug gegeben. Die Europäer sollten es ähnlich machen: sich auf Jean Monnet besinnen und so bald wie möglich das nachholen, was sie bisher vernachlässigt haben. Sie haben mehr zu bieten als die Idee vom freien Handel auf freien Märkten.

 Die Vorstellung von Menschenrecht und Menschenwürde ist europäischen Ursprungs. Die Europäer tun weder sich noch anderen einen Gefallen, wenn sie von der Wirtschaft etwas erwarten, was Wirtschaft allein nicht leisten kann.

Konrad Adam ist Mitbegründer und Sprecher der Partei Alternative für Deutschland. Bis 2000 war er Mitglied der Feuilleton-Redaktion der FAZ, danach bis 2007 politischer Chefkorrespondent der Welt.

 

 

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