Wohnungsbau-Pläne der Bundesregierung - „Wir haben in Wirklichkeit eine Materialkrise“

Der deutsche Immobilienmarkt steckt in einer handfesten Krise: Neubauprojekte werden abgeblasen und Firmen gehen pleite. Michael Halstenberg im Interview über die Pläne der Bundesregierung und die Notwendigkeit einfacherer Standards im Wohnungsbau.

Eine Baustelle in Köln-Ehrenfeld / picture alliance
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Michael Halstenberg hat über 20 Jahre in Ministerien auf Landes- und Bundesebene gearbeitet, zuletzt als Abteilungsleiter im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Seit 2009 ist er als Rechtsanwalt tätig, seit 2022 für die Kanzlei Franßen & Nusser, und berät Hersteller von Bauprodukten und deren Verbände zu Fragen des rechtssicheren Marktzugangs und der Produkthaftung. Er begleitet Bauvorhaben von Immobilienunternehmen und berät Ministerien in baurechtlichen Fachfragen.

Herr Halstenberg, die Bundesregierung hat auf ihrem Wohungsbaugipfel beschlossen, mit einem 14-Punkte-Plan den Bau von Wohnungen zu fördern. Von vielerlei Seiten gibt es Kritik, dass die Vorschläge der Ampel nicht weitreichend genug sind …

Ein Hauptproblem bei solchen Beschlüssen ist immer, dass nur Maßnahmen genannt werden und dann mehr oder weniger behauptet wird, dass diese Maßnahmen helfen werden. Das ist aber oft nicht zutreffend. So kann man eigentlich nicht agieren. Stattdessen müsste gesagt werden, welche konkreten Wirkungen die Maßnahmen haben werden. Das findet aber oft nicht statt, weil dann auffallen würde, dass diese entweder nicht oder nur eingeschränkt wirken. Die Kausalität wird ausgeblendet.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir senken den Energiesparstandard EH40 auf EH55 ab. Das hat bezogen auf die jetzigen Bauwerkskosten null Wirkung, weil der noch gar nicht eingeführt ist, er also auf die jetzigen Preise und den Markt gar nicht einwirken kann. Es bleibt aber dabei, dass die Förderprogramme, die Bauministerin Klara Geywitz am Markt anbietet, natürlich weiterhin auf den Energiesparstandard EH40 ausgerichtet bleiben müssen.

Weitere Punkte betreffen das sogenannte serielle Bauen, für Bundeskanzler Scholz eine Schlüssellösung. Damit könnten ohne aufwendige neue Verfahren einmal genehmigte Häuser auch in anderen Landkreisen gebaut werden. Die Kommunen und Länder sollen dafür mit 45 Milliarden Euro die Baubranche unterstützen.

Der Versuch, die Länder in Haftung zu nehmen, macht überhaupt keinen Sinn, weil die Länder sich nicht durch den Bund koordinieren lassen. Die haben ihre eigenen Strategien. Man kann zwar zum wiederholten Mal fordern, dass die Bauordnungen endlich vereinheitlicht werden. Das wird aber schon seit 20 Jahren gefordert, und es ist noch nie was passiert. Denn nach unserem Grundgesetz sind die Länderparlamente zuständig, und das muss man respektieren. Aktuell werden in mehreren Ländern Bauordnungen novelliert. Von einer weiteren Vereinheitlichung ist nichts zu sehen.

Der Bund will sich für eine höhere Sanierungsquote für den gesamten Gebäudebestand einsetzen.

Michael Halstenberg / Franßen & Nusser

Das ist zwar grundsätzlich richtig, aber Sanierung ist kein Neubau. Davon, dass der Nachbar für den Einbau einer neuen Heizung eine Förderung erhält, hat derjenige, der ein Wohnung sucht, nichts. 

Ein weiteres Beispiel ist die verbesserte Abschreibung für neue Gebäude. Für private Käufer bringt dies nichts, weil es sich um eine private Investition handelt. Für Bauträger, die aktuell Gebäude errichten, greift die verbesserte Abschreibung ebenfalls nicht. Gerät ein Bauträger aktuell in Schwierigkeiten, weil er wegen des stockenden Abverkaufs Liquidität braucht, nützen ihm Abschreibungen auf Gebäude, die er jetzt projektieren und planen könnte, nichts.

Denjenigen, die schon in den roten Zahlen sind, bringen Abschreibungen auch nichts, denn sie haben keine Gewinne, mit denen diese quasi verrechnet werden könnten. Die Maßnahme bringt nur dann vorübergehend mehr Liquidität, wenn der Errichter Gewinne macht. Steuern kann man eben nur minimieren, wenn man diese auch zahlen müsste. Das heißt, dass die verbesserte Abschreibung im Ergebnis nur für einen begrenzter Bereich hilfreich ist, nämlich für diejenigen, die jetzt noch bauen wollen und durch eine vorgezogene Abschreibung für einen gewissen Zeitraum mehr liquide Mittel haben. Denn im Prinzip ist die vorgezogene Abschreibung nur eine Art Steuerstundung, denn die Steuerlast verschiebt sich ja nur in die Zukunft. Wirtschaftlich gesehen ist das eine Art Darlehen des Bundes für vier oder fünf Jahre, weil sie erst viel und später eben weniger abschreiben können. Das hat über einen längeren Zeitraum gesehen nur einen Zinseffekt.

Ein großes Thema ist ja auch die Kreislaufwirtschaft. Diese wird als Lösung für effizienteres und nachhaltiges Bauen gepriesen.

Richtig ist, dass das Thema Klimawandel, Klimaschutz und Energieeinsparung oft im Vordergrund steht. Tatsächlich haben wir dafür aber eine Lösung, denn die Sonne stellt mehr Energie bereit, als wir jemals brauchen werden. Wir müssen nur schaffen, diese zu nutzen und zu verteilen. Beim Material gilt das nicht, denn Material ist endlich und wir verbrauchen definitiv viel zu viel Material. Wir haben in Wirklichkeit daher eine viel größere Materialkrise. Was wir vor allem in der westlichen Welt und in den anderen Industriestaaten und Schwellenländern gebaut haben, das könnten wir in den Entwicklungsländern nicht bauen, weil es so viel Material nicht mehr gibt. Für diese Materialkrise haben wir keine Lösung. Ergo ist es extrem blöd, Material wegzuwerfen.

Und könnte da die Kreislaufwirtschaft im Bereich des Bauens nicht helfen?

Die Kreislaufwirtschaft ist vom Prinzip her ein guter Gedanke. Aber wir haben keine ausreichende Grundlage für eine Kreislaufwirtschaft. Wenn Sie sich gedanklich einen Kreislauf vorstellen, ist das so wie ein Perpetuum mobile. Sie speisen etwas ein und bekommen das irgendwann wieder heraus. Und das was herauskommt, nutzen sie wieder. Was aber, wenn sie viel mehr brauchen, als sie aus dem Kreislauf herausbekommen? Dann haben sie keinen Kreislauf, sondern nur eine Minimierung des Verbrauchs neuer Materialien.

Zwei Zahlen dazu: Die Bundesregierung plant, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen. Gleichzeitig wollen wir aber aus Gründen des Umweltschutzes möglichst wenig abreißen. Also verfolgen wir zu Recht das Ziel, das Abreißen schwieriger zu machen und zu minimieren. Nach Angabe des statistischen Bundesamtes fielen 2022 nur knapp 16.500 Wohnungen durch den Abriss von Gebäuden oder die Umwidmung von Wohn- zu Gewerbeflächen aus dem Wohnungsbestand. Selbst wenn wir 100 Prozent dieses Materials nehmen würden, können Sie sich leicht ausrechnen, dass man von den Abbruchmaterialien von 16.500 Wohneinheiten niemals 400.000 Wohnungen bauen könnte. Außerdem kann man den sogenannten Bauschutt vielfach nicht gebrauchen, weil er entweder nicht sortenrein ist oder weil er in Kleinstmengen anfällt. Ein Hauptproblem ist zudem, dass er ist oft mit Asbest, PCB und irgendwelche anderen Gefahrstoffen kontaminiert ist. 

Wie sieht die Wiederverwertung sonst aus?

Es gibt positive Beispiele, z.B. in Bezug auf die Wiederverwertung von Metallen, zumal diese oft sortenrein sind und zum Teil, etwa bei Kupfer, auch einen erheblichen wirtschaftlichen Wert haben. Wenn Sie sich aber Kunststoffe ansehen, so gilt das nicht. Das Recycling von Kunststoff soll ja eigentlich gut funktionieren. Allerdings lassen sich viele Kunststoffe nicht recyceln oder werden nicht recycelt, sondern schlicht verbrannt, z.B. bei der Herstellung von Zement. Die offizielle Recyclingquote liegt ebenfalls nur bei rund 40%. Einiges wird unter zum Teil fragwürdigen Umständen exportiert. Immerhin hat der Bau noch die größten Rezyklat-Anteile an Kunststoffen.

Was nachhaltiges Bauen betrifft, gibt es Klagen von Unternehmen über die aktuelle Ersatzbaustoffverordnung.

Die Ersatzbaustoffverordnung gilt nur für mineralische Baustoffe, hat also etwa mit Kunststoffen nichts zu tun. Leider wird die Ersatzbaustoffverordnung die Recyclingquote wohl verschlechtern. Warum? Weil durch die Ersatzbaustoff- bzw. die Mantelverordnung im Prinzip Grenzwerte für Qualitäten festgelegt werden. Wenn sie diese Qualität nicht erreichen, dürfen sie das Material nicht wieder einbauen. Und diese neuen Grenzwerte sind höher als früher. Das heißt, man wird künftig weniger recyceln können. Wenn man aus Gründen des Wasser- und Bodenschutzes Grenzwerte immer weiter erhöht, dann hat man immer weniger Material, das diesen Anforderungen entspricht. Hier haben wir es mit umweltpolitischen Zielkonflikten zu tun.

 

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Was wäre denn eine Lösung, damit wir nachhaltiger mit Material umgehen?

Die Antwort ist unbequem. Wir müssten Materialverbrauch eigentlich extrem teuer machen, weil diese Stoffe wertvoll sind. Auch die Bodenversiegelung soll ja drastisch zurückgefahren werden. Ökonomisch und umwelttechnisch gesehen müssten die Preise für Baumaterialien und Bodenversiegelung also eigentlich weiter steigen. Damit hätten wir einen weiteren Zielkonflikt, weil wir aus sozialpolitischen Gründen eigentlich mehr Wohnungen zu günstigeren Preisen bauen müssen. Das sind unbequeme Themen für die Politik, weil man sich entscheiden muss.

Ein Lösungsansatz liegt darin, möglichst wenig an den bestehenden Gebäuden zu verändern und diese nur zu erweitern, zu verdichten und umzunutzen. Wir müssten den Bestand solange es irgendwie geht weiter nutzen. Je weniger verändert wird, desto besser. Das heißt, wir dürfen auch fast nichts mehr abreißen. Und wenn wir etwas abreißen, dann sollte das Gebäude geordnet zurückgebaut werden. Dafür bräuchten wir eine Art Abriss-Moratorium. Bevor ein Gebäude abgerissen wird, muss es im Hinblick auf die Weiternutzungsmöglichkeit analysiert werden. Zumindest müsste es geordnet zurückgebaut werden, damit wir die darin enthaltenen Rohstoffe möglichst weiter nutzen können. Das ist natürlich teurer, aber dadurch gewinnen wir Rohstoffe in einem größeren Umfang zurück als bisher. Mein Slogan lautet: Weiternutzen ist das beste Recycling.

Und wie bekommen wir das mit dem Wohnungsneubau hin?

Dazu gibt es leider auch eine unangenehme Nachricht. Wenn wir den Wohnflächenverbrauch der 60er Jahre beibehalten hätten, würde das ausreichen, um 200 Millionen Menschen mit Wohnraum zu versorgen. Die Deutschen haben zurzeit ungefähr 55 Quadratmeter pro Person. Das ist eigentlich völlig ausreichend. Tatsächlich haben wir aber immer noch zu wenige Wohnungen, weil diese Quadratmeter ungleich verteilt sind. Manche haben 200 Quadratmeter und manche haben nur 20 oder gar nichts. Das heißt, wir haben eigentlich kein Mengenproblem, sondern ein Verteilungsproblem. Für das Lösung des Verteilungsproblems gibt es aber keine politischen Konzepte. Eigentlich müssten die Kosten steigen, wenn man mehr Wohnraum in Anspruch nimmt, das ist aber ein schwieriges politisches Thema.

Also eine gerechtere Verteilung via ...?

Die Frage der Verteilung hat man sich schon in den 60er und 70er Jahren gestellt, als die meisten Wohnungen mit staatlichen Mitteln als sozialer Wohnungsbau errichtet wurden. Da gab es die Diskussion, ob eine Wohnung, die einmal als Sozialwohnung gebaut wurde, auf Dauer eine Sozialwohnung bleiben soll. In anderen Ländern wird das auch praktiziert, etwa in Österreich. In Deutschland hingegen haben damals vor allem liberale Politiker gemeint, dass wir das nicht brauchen und die Sozialwohnungen nach spätestens 30 Jahren aus der Bindung fallen können, weil der Markt das regelt. Leider können wir diesen Politikern vom damals nicht mehr zeigen, wie der Wohnungsmarkt 50 Jahre später aussieht.

Der Markt versagt, wenn alle Teilnehmer auf die Nutzung des Produkts angewiesen sind, die Verteilung sich aber nach der Kaufkraft richtet. Deshalb gibt es zwar extrem viel Wohnfläche, aber leider sind 10 Prozent der Bevölkerung immer noch un- oder unterversorgt. Und von den Millionen Sozialwohnungen, die der Staat gefördert hat, ist nicht mehr viel übrig. Es gibt ungefähr noch eine Million Sozialwohnungen, Tendenz fallend.

Also Sozialwohnungen dauerhaft erhalten und am besten serielles Bauen? Oder zurück zur Platte?

Bestrebungen, die darauf abzielen, dass Sozialwohnungen dauerhaft als solche erhalten bleiben, sind richtig, auch wenn das erst der übernächsten Generation hilft. Das serielle Bauen hingegen ist aus meiner Sicht kein Gamechanger. Wenn Sie seriell bauen wollen, geht es um die Nutzung von Skaleneffekten. Diese haben Sie aber nur, wenn Sie an einer Stelle viele Wohnungen eines Typs bauen, oder wenn sich in der Bundesrepublik nur noch bestimmte Wohnungstypen verkaufen. Das findet aber nicht statt, denn so ist Wohnungsbau in Deutschland nicht organisiert. Denn sonst hätten die Fertighaushersteller den Markt schon lange erobert. Tatsächlich gibt es, von Ausnahmefällen abgesehen, kein Unternehmen in Deutschland, das so viele Wohnungen auf einen Schlag bauen kann.

Offensichtlich ist vielen nicht klar, wer in Deutschland Wohnungen baut. Das sind in der Regel Bauträger und auch Privatleute. Wenn Sie sich privat ein Haus bauen, dann bauen Sie nicht seriell, Sie bauen ein einziges Haus, und das wird regelmäßig an das Grundstück angepasst. Bauträger hingegen bauen in der Regel zwar nur eine kleine Stückzahl, aber letztlich auch seriell. Denn Bauträger bauen ihre Haustypen schon seit 20 oder 30 Jahren. Sie wissen extrem gut, wie man kosteneffizient baut. Zum Teil geschieht dies sogar im Franchise-System und damit in größeren Stückzahlen. Der Markt weiß besser als jede Bundesregierung, wie man Bauwerkskosten optimiert.

Es bringt auch nichts, bestimmte Bauteile, etwa eine Platte, über hunderte von Kilometern zu transportieren. Bei Bauprodukten oder Bauteilen für den Rohbau, egal, ob es sich um Ziegel, Kalksandstein oder Beton handelt, ist der Transport dann teurer als die Ware. Das funktioniert ökonomisch nicht. Deswegen handelt es sich oft mehr oder weniger um Nebelkerzen. Wenn der Staat schnell helfen will, muss er ökonomische Rahmendaten verändern, also Kosten in Form von Grunderwerb- oder Umsatzsteuern senken. Das ist aber nicht beabsichtigt.

Was würde denn helfen?

Man könnte Standards absenken. Meistens wird in diesem Zusammenhang allerding auf den Staat geschimpft. Das zeugt aber von fehlendem Fachwissen. Denn das Thema ist komplex. Im Bauordnungsrecht gibt es relativ wenige Sicherheitsanforderungen, und deren technische Erfüllung ist relativ flexibel. Man könnte allerdings die Anforderungen beim Ausbau bestehender Gebäude spürbar reduzieren.

Anders sieht es beim Energieeinsparrecht aus. Die energetische Gestaltung von Gebäuden kostet Geld. Zwar wird immer darauf hingewiesen, dass man dadurch Energiekosten spart. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass der Energieverbrauch durch öffentliche Abgaben perspektivisch verteuert wird und sich Investitionen nur deshalb „rechnen“. Die Verteuerung des Verbrauchs fossiler Energien ist zwar erforderlich. Vermutlich wäre es aber zielführender, es dabei zu belassen und den Menschen die Freiheit zu geben, wie sie den Austausch von klimaschädlichen Gasen reduzieren, Stichwort: Technologieoffenheit.

Es macht auch klimapolitisch keinen Sinn, ein Gebäude mit großem Aufwand einschließlich der Freisetzung von klimaschädlichen Gasen für die Dauer von 100 Jahren energetisch zu optimieren, wenn wir spätestens in 20 Jahren ohnehin komplett auf fossile Brennstoffe verzichten müssen. Denn dann erzeugt das Gebäude auf den Lebenszyklus berechnet mehr klimaschädliche Gase als ein deutlich weniger energieeffizientes Gebäude. Daher ist die Ankündigung der Bundesregierung, auf die Einhaltung des EH40-Standards verzichten zu wollen, auch klimapolitisch richtig. Daher sollte man auch die Förderung dafür einstellen.

Im Übrigen gehört zur Wahrheit auch, dass ein ganz großer Teil von Standards durch die Marktteilnehmer selber bestimmt wird.

Inwiefern?

Vor allem durch Bauverträge, in denen nicht selten aus „Sicherheitsgründen“ vorsorglich die Einhaltung aller möglicher Standards vereinbart wird. Dann wird es natürlich teuer. Ein anderes prominentes Beispiel: Es gibt im Schallschutz eine Norm, die sieht technische Lösungen für zwei Schallstandards vor, einen normalen Standard und einen gehobenen Schallschutz. Das Bauordnungsrecht verlangt nur den normalen Standard. Trotzdem wird der erhöhte Standard in der Regel gebaut. Das verursacht viele zusätzliche Kosten und Materialverbrauch.

Warum ist das so? Die Bauträger haben in ihren Verkaufsprospekten oft versprochen, dass sie nur höchste Qualität liefern, das Beste vom Besten. Und dann sagen ihnen auch die Gerichte zu Recht, dass sie das, was sie den Kunden versprechen, auch schulden, im Zweifel also einen hohen Schallschutz. Als Branche haben Sie dann irgendwann das Problem, dass Sie nicht mehr einfach so einen einfachen Schallschutz bauen können, weil nämlich der höhere Schallschutz der übliche Marktstandart geworden ist.

Um davon wieder abzurücken, müssen Sie mit Ihrem Kunden rechtssicher vereinbaren können, dass sie nur einen einfachen Schallschutz bauen. Das ist juristisch aber extrem schwierig. Das heißt, die Branche hat sich mit den hohen Standards, die man lange versprochen hat, auch ein Problem geschaffen, ein Korsett, aus dem sie jetzt kaum wieder herauskommt. Deswegen werden jetzt rechtliche Änderungen diskutiert.

Und da müsste der Staat wiederum eingreifen?

Das Gesetz müsste die rechtssichere Vereinbarung einfacherer Standards besser regeln, ohne den Verbraucherschutz zu unterlaufen. Und die am Bau Beteiligten müssen bereit sein, einfachere Standards zu realisieren, was auch Haftungsfragen aufwerfen kann. Die Menschen müssen aber auch ernsthaft bereit sein, ihre eigenen Ansprüche zu senken. Nicht jeder braucht Leitungen unter Putz und nicht jeder ein Tablet, mit dem er seine ganze Wohnung steuern kann. Man muss vor allem über Komfortstandards reden und den Leuten vermitteln, dass man auch mit deutlich weniger auskommen kann. „Keep it simple“ ist die Lösung vieler technischer, ökonomischer und ökologischer Probleme.

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger.

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